Proteste in Syrien:Warum das Gewaltregime Assads scheitert

Baschar al-Assad ist der Thronfolger eines Despoten und als solcher scheitert er jetzt: Es ist nicht mehr die Frage, ob das Assad-System untergeht, sondern nur noch, wann es fällt. Wer nach dem absehbaren Ende auf die Strahlkraft der Demokratie hofft, dürfte aber übel enttäuscht werden.

Tomas Avenarius

Was das Internet angeht, gilt Baschar al-Assad als aufgeschlossener Mensch. Bevor der Apple-Aficionado begonnen hat, sein aufständisches Volk zusammenzuschießen, hat er seine Bürger mit der Informationsgesellschaft vertraut gemacht: Als Vorsitzender der Nationalen Computergesellschaft hat Syriens Präsident Internet und Mobiltelefonie verbreitet. Das war Assads erstes, aber auch sein einziges Reformprojekt.

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Der Druck der Straße wächst: Weil Syriens Präsident Assad die Freiheit seines Volkes immer missachtete, steht sein Regime jetzt vor dem Aus.

(Foto: REUTERS)

Mit dem iPad durch die globalisierte Sphäre kostengünstiger Konsumangebote und politischer Ideen zu surfen, ist das eine. Eine Diktatur zu einem menschenwürdigen Gemeinwesen umzubauen, verlangt allerdings weit mehr als spielerisches "drag and drop" auf der glänzenden Apple-Oberfläche. Gefordert sind Mut, Durchsetzungskraft und Vertrauen in die Bürger. Dem Internet-Hedonisten aus Damaskus fehlt jede einzelne dieser Reformer-Qualitäten. Deshalb droht seinem Land nun auch der Bürgerkrieg.

Die Syrer hatten Assad junior beim Amtsantritt als Erneuerer vertraut. Er hat ein Jahrzehnt tatenlos verstreichen lassen. Assads Biographie erklärt dieses Desaster. Der Präsident ist der Sohn eines Diktators: Wenn der Vater die Schreckenskraft der Folterbank preist, wird aus dem Sohn selten ein Humanist. Der Gedanke der Freiheit war bei den Assads jedenfalls nie heimisch.

Auch der kurze Aufenthalt im Westen hat daran nichts geändert. Als junger Augenarzt hat der Junior zwei Jahre in London gelebt. Das liberale Denken, für das Großbritannien steht, hat er beim verengten Blick durch den Augenspiegel ausgeblendet. Der Syrer ist nach Damaskus zurückgekehrt als der, zu dem er erzogen worden war: Thronfolger eines Despoten. Und als solcher scheitert er jetzt.

Es geht aber nicht allein um das Überleben oder den Untergang des Assad-Regimes. Nach den Selbstmordanschlägen von Damaskus zeichnet sich im Vielvölkerstaat das libanesische oder irakische Szenario ab. Ob die Bomben in der Hauptstadt wirklich von Militanten gelegt oder ob doch Assads Büttel die Anschläge inszeniert haben, spielt keine entscheidende Rolle. Das Regime hat allen Kredit verspielt. Selbst ein reformierter Assad-Staat ist für einen beträchtlichen Teil der Menschen keine Alternative mehr, ein islamistisch geprägter möglicherweise schon.

Aber eben auch nicht für alle. Neben dem Kampf zwischen einem Teil des Volks und seinem Herrscher deuten daher alle Zeichen auf Krieg zwischen den Volksgruppen: Muslime, Christen, nahöstliche Sekten, Säkulare.

Es ist nicht die Frage, ob Assad untergeht - sondern wann

Es ist nicht mehr die Frage, ob das Assad-System untergeht, sondern nur noch, wann es fällt. Wer nach dem absehbaren Ende auf die Strahlkraft der Demokratie hofft, dürfte aber übel enttäuscht werden. Demokratie klingt säkular. Und der Damaszener Säkularismus ist das, was er in allen arabischen Staaten war: eine auf die Gesellschaft aufgepfropfte Kultur und Ordnung, die nie Wurzeln schlugen. Ja, gewisse Schichten haben Islam und Religion den Rücken gekehrt - Oberklasse, Bürokraten, Offiziere, Künstler, Schriftsteller. Aber die breite Masse? Nein, die nicht.

In den arabischen Ländern sind der Staat und die Gesellschaft nicht gleichberechtigt miteinander verwoben, sie existieren nebeneinander her. Die Menschen leben ohne Hilfe des Staats, müssen froh sein, wenn er sie nicht behelligt. Auf sein propagiertes Selbstverständnis pfeifen sie. Sie ziehen sich lieber in den Schutz ihrer Religionsgruppe, Kirche oder Sekte zurück.

Dass es in Syrien anders gewesen sein könnte, ist die Illusion derer, die beim Besuch fremder Länder selbstgefällig immer nur vor einem Spiegel posieren. Sie wollen bei den anderen stets nur die eigenen Wertvorstellungen entdecken. Aber Syrien hat sich in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren reislamisiert: über Koranschulen, soziale Netzwerke, den Alltagsislam.

Warum der alte und der junge Assad dies zugelassen haben, bleibt ihr Geheimnis. Sie jagten jeden politisierenden Islamisten gnadenlos, aber die Straßenprediger ließen sie gewähren. Das erweist sich im Aufstand als folgenreicher, als es eine islamistische Oppositionsfraktion im Parlament je hätte werden können.

Der Name Assad bleibt Sinnbild für Unfreiheit, Korruption und Gewalt. Der Staat des Vaters war drei Jahrzehnte lang Garant für bleierne Stabilität; sein weltlicher Staat war untrennbar mit der Daumenschraube verbunden. Auch der Junior zeigt den hässlichen Januskopf arabischer Macht: einerseits säkular, andererseits repressiv. Assads neue Reformpläne sind daher durchschaubar, sie zielen auf den Umbau des Staats von oben, mit unverhohlenem Anspruch auf den Machterhalt. Wer dem "Angebot" widerspricht, verlebt die Wartezeit auf das neue Syrien hinter Gittern, bestenfalls.

Wollte der Präsident den wirklichen Neuanfang, müsste er seine Schergen zügeln. 16 Geheimdienste, eine Armee, die auf aufsässige Bürger schießt, eine Polizei, die foltert und Kinder quält. Mit diesen menschenverachtenden Strukturen wird Assads neues Syrien keinen Staat machen. Und ohne sie wohl auch nicht mehr. Erfolgreiche Reformen verlangen inzwischen auch im Nahen Osten mehr als Wischen und Klicken auf dem iPad. Sie verlangen die Abkehr vom Alten und offenes Denken.

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