Landkreis Dachau:Endlich angekommen

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Haiko Grejyan und Hratschui Bostanchjan sind in Dachau zu Hause - aber auf das Bleiberecht mussten sie trotz hohen Engagement und einer guten Ausbildung neun Jahre warten.

Walter Gierlich

Der Oktober 2011 ist ein Glücksmonat für Hratschui Bostanchjan und ihren Mann Haiko Grejyan gewesen: Am 2. des Monats kommt ihr Sohn Edgar zur Welt, und am 27. Oktober erhalten sie die erlösende Nachricht: Neun Jahre Stress, Angst und Nervenkrieg haben ein Ende, die Härtefallkommission ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Flüchtlingspaar aus Armenien und ihre beiden Kinder ein Bleiberecht in Bayern erhalten. "Als der Anruf kam und die Frau von der Härtefallkommission sagte, ich habe eine gute Nachricht für Sie, da habe ich geweint", sagt Hratschui Bostanchjan immer noch sichtlich bewegt. Nach einigen Wochen des Wartens hat die Familie nun Gewissheit: Der bayerische Innenminister hat den Bescheid der Härtefallkommission unterschrieben. Ein schöneres Weihnachtsgeschenk hätte sie sich nicht wünschen können.

Die armenischen Flüchtlinge Haiko Grejyan und Hratschui Bostanchjan mit ihrem Sohn Edgar und ihrer Tochter Annemarie haben nach jahrelangem Bangen eine Zukunft in ihrer neuen Heimat gefunden. (Foto: DAH)

Rückblende: Die heute 36 Jahre alte, zierliche Frau arbeitet in ihrem Heimatland, das einst Teil der Sowjetunion war, als Fernsehjournalistin. Das kleine Land in der unruhigen Kaukasus-Region, das seit den neunziger Jahren nach einem Krieg und der Besetzung der Enklave Berg-Karabach mit dem Nachbarland Aserbaidschan in einem Konfliktverhältnis lebt, ist zwar auf dem Papier eine Demokratie, doch sitzen Dutzende Oppositioneller in politischer Haft, und es steht schlecht um die Pressefreiheit. Die Vereinigung "Reporter ohne Grenzen" stufte Armenien im Index der Pressefreiheit 2010 auf Platz 101 ein, knapp vor Angola und Niger. Dass hier eine kritische junge Fernsehjournalistin Probleme mit Regierung und Behörden bekommt, erstaunt also nicht weiter.

Da hilft es ihr auch nichts, dass sie für ihren beeindruckenden Dokumentarfilm "Auf dem Grund" bei einem Festival in Rumänien mit dem ersten Preis ausgezeichnet wird. Der Streifen über das unsagbar beschwerliche Leben von Hasmik Hovhannisyan ist keine Werbung für Armenien: Die junge Frau bestreitet ihren Lebensunterhalt und den ihrer siebenköpfigen Familie mit dem Graben von Brunnen. Mit Spitzhacke und Schaufel stößt sie in den harten Boden vor - bis zu 20 Meter tief und immer in Lebensgefahr. Ein erschütterndes Dokument über die Lebensverhältnisse in armenischen Elendsvierteln, das wie so viele kritische Berichte auf das Missfallen der Regierung in Eriwan stößt. Den Film zeigt sie mehrmals in Dachau, bei der Frauen- und Familienberatung des Landratsamts etwa oder bei der Caritas. Aus Angst vor Verfolgung verlassen daher Hratschui Bostanchjan und ihr neun Jahre älterer Mann die ehemalige Sowjetrepublik und kommen nach Dachau. Ihre Familien haben die zwei seitdem nicht mehr gesehen.

Wie alle Asylsuchenden in Bayern mussten sie zunächst Anfang 2003 in einer Sammelunterkunft leben, in diesem Fall in den Baracken an der Kufsteiner Straße. Das erste Jahr, in dem sie nicht arbeiten dürfen, ist schlimm für Hratschui und Haiko. Als es endlich um ist, findet die Fernsehfilmerin Arbeit als Servicekraft im Klinikum Dachau und zahlt fortan Miete für den schäbigen Raum in der Flüchtlingsbaracke. Die beiden wollen raus aus dem Lager. "Doch mit unserem Status war das nicht leicht, aber wir haben gekämpft", sagt Hratschui. Mit Unterstützung der Hilfsorganisation "Journalisten helfen Journalisten" gelingt es ihnen tatsächlich, dass sie in eine kleine Wohnung des Krankenhauses ziehen dürfen, für die sie auch stets die Miete selbst bezahlen.

Haiko, der gelernter Kunstschreiner ist, findet Arbeit bei der Diakonie der evangelischen Kirche: In einem Kindertreff am Hasenbergl in München leitet er Bastelstunden für Kinder. Er spricht inzwischen ebenso wie seine Frau fast fehlerfrei deutsch. Später kommt ein zweiter Job in Dachau dazu, im erlernten Beruf. Hratschui engagiert sich neben ihrer Arbeit im Krankenhaus ehrenamtlich bei Radio Lora in München, wo sie zwei Jahre lang Sendungen in deutscher und armenischer Sprache über die politische, soziale und kulturelle Lage in ihrem Heimatland macht.

Als sie mit der heute dreieinhalb Jahre alten Tochter Annemarie schwanger wird, muss sie die Rundfunkarbeit aufgeben. Aber als die Kleine auf der Welt ist, meldet sie sich bei der Stadt Dachau, als Befrager zur Fortschreibung des Mietspiegels gesucht werden. "Wenn ich mit dem Kinderwagen angekommen bin, haben manche aufgemacht, die mich sonst vielleicht nicht hereingelassen hätten", sagt Hratschui Bostanchjan lachend. Diese Tätigkeit hat dem Paar zu einem Empfehlungsbrief der Stadt Dachau an die Härtefallkommission verholfen - neben zwölf anderen. Es gibt ein armenisches Sprichwort, das heißt, dein Echo kommt zurück. "Wenn man sich bemüht, bekommt man auch Unterstützung", erklärt Haiko.

Und bemüht haben sich die beiden: Hart gearbeitet und mit der Tochter, die inzwischen einen Kindergarten besucht, schon als Kleinkind den Eltern-Kind-Treff der Friedenskirche und eine ähnliche Gruppe beim Frauenforum besucht; beim Biopoly-Projekt der Volkshochschule ein Stück Land gepachtet und gemeinsam mit Menschen aus vielen anderen Ländern Gartenbau betrieben. Im Frühjahr und Sommer hat Hratschui einen Kurs für Führungen in der KZ-Gedenkstätte gemacht und erfolgreich abgeschlossen. Sie kann nun deutsche und russische Gruppen durch das ehemalige Konzentrationslager führen.

Vor einem Jahr wurde der Asylantrag von Haiko Grejyan und seiner Frau endgültig abgelehnt, doch weil sich mittlerweile schon die Härtefallkommission ihres Falls angenommen hatte, durften sie bleiben. Die Kommission, der Vertreter der Kirchen, der Wohlfahrtsverbände und der kommunalen Spitzenverbände angehören, gibt es in Bayern seit 2006. Sie ist die letzte Hoffnung für viele Flüchtlinge, die sich seit langem in Deutschland aufhalten und die sich hier integriert haben. "Wir haben bis zuletzt gezittert", sagt Hratschui. "Doch jetzt ist die Erleichterung umso größer - und auch die Hoffnung." Die Hoffnung nämlich, vielleicht einmal wieder in ihrem Beruf als Journalistin arbeiten zu können. Ihr Fazit nach neun Jahren Dauerstress: "Wenn man zurückschaut, hat es sich gelohnt zu kämpfen, trotz aller Härten und Schwierigkeiten."

© SZ vom 27.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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