Astronomie:Ein All voller Erden

Ein internationales Team von Forschern ist zu einer erstaunlichen Erkenntnis gelangt: "Sterne mit Planeten scheinen in unserer Galaxie die Regel zu sein, und nicht die Ausnahme." Um zu dieser Beobachtung zu kommen, nutzten die Wissenschaftler die Krümmung der Raumzeit durch die Masse der Sterne.

Patrick Illinger

Sechs Jahre lang hat eine internationale Gruppe von Astronomen ausgiebig in den Weltraum geblickt. In jeder klaren Nacht haben die Himmelsforscher 100 Millionen Sterne beobachtet. Sobald einer der vielen Leuchtpunkte am Firmament an Helligkeit zunahm, richteten die Astronomen große Teleskope auf den betreffenden Stern, um die verräterische Lichtschwankung präzise zu vermessen.

Kepler-35 Kepler

Künstlerische Darstellung des Doppelsternsystems Kepler-35. Neue Daten des Weltraumteleskops Kepler zeigen: Die Produktionsrate von Planeten in der Milchstraße ist offenbar enorm.

(Foto: Lynette Cook)

Mit Hilfe dieser kosmischen Massenüberwachung sind die Forscher nun zu eine erstaunlichen Erkenntnis gelangt: Es gibt in der Milchstraße offenbar viel mehr Planetensysteme als bisher angenommen wurde. "Sterne mit Planeten scheinen in unserer Galaxie die Regel zu sein, und nicht die Ausnahme", schreiben 42 Astronomen in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Nature (Bd. 481, S.167, 2012), unter ihnen drei Experten der Europäischen Südsternwarte Eso.

Gemäß ihrer Analyse kreisen in der Milchstraße um jeden Stern durchschnittlich 1,6 Planeten in einer Entfernung zwischen einem halben und dem zehnfachen Erde-Sonne-Abstand. Außerdem haben die Astronomen aus den Daten des "Planet"-Projekts ermittelt, dass kleinere, mithin auch erdähnliche Planeten häufiger sind als schwere Gasbälle vom Format des Jupiter.

Seit 1995 haben Astronomen mehr als 700 extrasolare Planeten entdeckt, so genannte Exoplaneten. Bei einigen dieser Himmelskörper konnten sogar Details vermessen werden, etwa die Zusammensetzung der Atmosphäre. Doch eine grundlegende Frage blieb dabei offen: Wie häufig sind Planeten im All? Scharen nur wenige Sterne Begleiter um sich? Oder sind Planeten eher die Normalität in der Galaxis? Eindeutig Letzteres, sagen die Astronomen nun.

Solche Exoplaneten sind fast nie direkt mit Teleskopen zu sehen. Die meisten wurden bisher entdeckt, weil ihre Muttersterne am Nachthimmel aufgrund der Schwerkraft des um sie kreisenden Planeten leicht vibrieren. Oder man beobachtete die leicht absinkende Leuchtstärke der Sterne, sobald ein Planet ähnlich wie bei einer Sonnenfinsternis an ihnen vorüberzieht. Für die aktuellen Messungen haben die Astronomen sich jedoch eines anderen Werkzeugs bedient. Sie nutzten einen Effekt, mit dem im Jahre 1919 die Allgemeine Relativitätstheorie Albert Einsteins experimentell bestätigt worden war.

Gemäß Einsteins Gleichungen verbiegen schwere Objekte wie Sterne die Raumzeit, sodass sogar Lichtstrahlen gekrümmt werden, sobald sie in die Nähe eines massiven Körpers geraten. Diese seinerzeit gewagte Vorhersage wurde schließlich auf spektakuläre Weise bestätigt. Man fand Sterne, deren Licht auf dem Weg zur Erde von einem dazwischen liegenden Stern abgelenkt wurde. Dieser Effekt kann so weit gehen, dass das Schwerefeld eines Sterns auf das Licht eines dahinter liegenden Sterns wie eine optische Linse wirkt. Von einer Gravitationslinse sprechen Physiker in diesem Fall.

Planeten in der "habitablen Zone"

Mithilfe dieses Phänomens haben die Astronomen nun Sterne gesucht, bei denen sich von hinten kommendes Licht auf je zwei Seiten unterschiedlich stark krümmt. Dies deutet auf das zusätzliche Schwerkraftfeld eines Planeten hin, der die normalerweise symmetrische Gravitationslinse des Muttersterns leicht verformt.

Mit dieser Suchmethode findet man nicht viele Exoplaneten, aber sie ist besonders geeignet, um Planeten in einem mittleren Abstand vom Zentralstern zu entdecken - also in der "habitablen Zone" eines Sterns. Damit bezeichnen Astronomen einen Abstandsbereich vom Mutterstern, in dem es weder zu heiß noch zu kalt ist für biologische Moleküle oder gar Organismen.

Allerdings, und darauf weisen die Autoren der neuen Studie ausdrücklich hin, sei die nun gemessene große Häufigkeit von Planeten im All noch kein hinreichender Nachweis außerirdischen Lebens. Damit biologische Moleküle entstehen und ein Evolutionsprozess in Gang kommt, müssen noch viele weitere Faktoren stimmen.

Zum Beispiel brauchen kleine Planeten Schutz von einem großen Bruderplaneten, so wie Jupiter, der über Milliarden Jahre hinweg dank seiner Schwerkraft vagabundierende Kometen und Asteroiden von der Erde fernhält.

Dennoch: Die Produktionsrate von Planeten in der Milchstraße ist offenbar enorm. Das zeigen auch neue Daten des Weltraumteleskops Kepler, das derzeit auf der Suche nach fernen Planeten durch das All fliegt: Soeben hat der Späher zwei Planeten entdeckt, die um ein Doppelstern-Paar kreisen. Auch solche exotischen Planetensysteme dürften demnach weit häufiger sein als es mancher Himmelsforscher noch vor nicht langer Zeit für möglich gehalten hätte.

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