Im Kino: Wilde Kerle:Ihr macht mich wuschelig

Max streift sich ein zotteliges Wolfskostüm über und probt den Aufstand. Dann landet er im Reich der wilden Ungetüme. Spike Jonze hat aus Maurice Sendaks "Wilden Kerlen" einen herrlich ruppigen Film gemacht.

Fritz Göttler

Krawallmachen und durch den Wald oder die Wohnung rumpeln, den anderen rumschubsen und durch die Luft werfen, Schneeballschlacht und Wolfsgeheul, darum geht es in diesem Film. Um den ganz großen Krach also, den wilden rumpus, wie es in dem Buch so schön heißt, das ihm zur Vorlage diente, "Where the Wild Things Are/Wo die wilden Kerle wohnen" von Maurice Sendak.

Wilde Kerle

Max (Max Records) Freunde, die "Wilden Kerle", sind unförmig und kuschelig, in ihren Bewegungen nicht sehr subtil, aber sie haben Sinn für seelenvolle Blicke und Ansätze zur Individualität.

(Foto: Foto: Filmverleih)

Ein Buch, vor dem damals, in den Sechzigern, die Eltern gewarnt wurden und das manche Bibliothekare nicht in ihr Regal ließen. Das die Schmerzgrenze verschob für all das, was Kindern zuzumuten ist, und den Erwachsenen auch, in Büchern und im Elternhaus. Der Film geht ganz in diesem Sinne an die Anfänge des Kinos zurück, zum frühen wilden Slapstick, wo es wirklich weh tat, bevor dann Chaplin und Keaton für ein wenig Eleganz und Sophistication sorgten.

Die Kinder der Sechziger sind inzwischen erwachsen, haben diverse revolutionäre Entwicklungen er- und überlebt, antiautoritäre Erziehung und '68, Hippie und Hip-Hop, und der Film, den Spike Jonze aus dem Bilderbuch gemacht hat, kommt einem heute vor wie ein Katastrophenfilm - das Genre ist gerade wieder stark im Kommen, da sind all die Warnungen vor dem Klimawandel -, ein Film also nach dem großen Abräumen, ein Neubeginn in Anarchie und Urtümlichkeit. Vor vielen Jahren schon wollte Jonze das Buch verfilmen, sein allererster Film sollte das werden. Aber dann hat er erst "Being John Malkovich" gemacht, 1999, und "Adaptation.", 2002, und eine Menge Musikvideos, deren eruptive Kraft in den "Wild Things" gesammelt zu sein scheint (man sollte auch im Deutschen eher von wilden Dingern sprechen, die Kerle wirken ein wenig anbiedernd).

Auf den "Malkovich"-Film hin hat Dave Eggers, der große Erzähler und Zeitschriftenmacher der Westküste, begeistert an Jonze geschrieben, und so haben sich die beiden daran gemacht, ein Drehbuch für die "Wild Things" zu basteln, unter Aufsicht von Sendak, der das Chaos immer mehr liebte als die Kontrolle, der das Wilde mit dem Sublimen zusammenbringt in seinen Bildern. Sein großer Held ist Mickey Mouse, der junge, aufsässige, böse; aber vor dem Schlafengehen hört er Mozart und liest John Keats.

Toben auf der Tagesordnung

Die Neunjährigen-Probleme des Sendak-Helden Max (Max Records) haben Eggers und Jonze ausgeschmückt: alleinerziehende Mutter, bewegend verloren gespielt von Catherine Keener, ein abwesender Vater, der dem Jungen einen leuchtenden Globus hinterließ mit einer Widmung, die ihn zum Herren der Welt machte, eine Schwester, die anfängt, mehr mit ihren Freunden rumzuhängen als mit dem Bruder, ein Typ, der sich von der Mutter aushalten lässt (Mark Ruffalo) . . .

Max streift sich sein altes zotteliges weißes Wolfskostüm über und macht einen Aufstand, er tobt, heult, beißt, rennt aus dem Haus. Am Ufer liegt ein Boot, Max steigt ein und segelt drauflos und landet im Land der wilden Ungetüme, wo Rennen, Heulen, Toben, Beißen an der Tagesordnung ist - wenn man von einer Ordnung wirklich sprechen könnte. Eine solche kommt dann, im jugendlichen Experimentierstadium, mit Max, der sich als der Wilden König präsentiert und ihnen zeigt, was Organisation ist: ein Haus bauen, eine Parade veranstalten oder einen Krieg. Es geht wirklich existentiell zu, ruppig und grausam. Wenn Kinder ihre eigenen Geschichten schreiben, das weiß Eggers, sind die immer voll von diesen Sachen: Tod und Enthauptung, Enttäuschung und Verrat.

Die Ungetüme sind unförmig und kuschelig, in ihren Bewegungen nicht sehr subtil, aber sie haben Sinn für seelenvolle Blicke und Ansätze zur Individualität. Im Buch waren sie Schemen von Sendaks Verwandten, die aus Osteuropa nach Amerika gekommen waren, sonntags zu Besuch da waren und es kaum erwarten konnten, bis die Mutter das Essen auf den Tisch brachte, die neue Sprache kaum beherrschten, gerade mal um dem kleinen Maurice ein freundlich gemeintes "Du bist ja zum Fressen niedlich" zukommen zu lassen.

Zauberer, Magier und Manipulateur

Im Film stammen sie aus der Werkstatt von Jim Henson, dem Schöpfer der "Sesamstraße" und bewegen sich mit ungelenker Würde durch dunkle Wälder oder gewaltige Wüsten, Peripatetiker einer Urzeitwelt. Sie reflektieren über Grundsatzfragen des Zusammenseins, erproben Ansätze von Vergesellschaftung. Die natürliche Gesellschaftsform, die hier propagiert wird, ist der Haufen - alle Monster aufeinandergetürmt, und im Innern dieses wuscheligen, feuchten, muffelnden Haufens ist eine Höhle, in der Max mutterschoßhaft sich geborgen fühlen kann.

Der Film ist, stärker noch als Sendaks Buch, ein Plädoyer gegen Überprotektionismus - das hat Dave Eggers vom "Wizard of Oz" übernommen, den er Dutzende Male anschaute, während er am Drehbuch arbeitete und an dem Roman, den er aus den "Wild Things" fabriziert hat (deutsch bei Kiepenheuer & Witsch). Max ist am Ende selbst ein wenig Zauberer geworden, Magier und Manipulateur. Am Anfang des Films sah man, wie er die Mutter und seine Beziehung zu ihr sieht, er liegt auf dem Boden, sie sitzt am Tisch, erschöpft und überarbeitet, Tischbein und -platte formen einen Rahmen, in dem sie gefangen ist. Sie braucht seine Hilfe. "Es gab zig Möglichkeiten", heißt es in Dave Eggers' Roman, "da war er sicher, um jemanden aus einem dunklen Korridor im Kopf herauszuführen." Der Blick von Max, das ist der Ruhepunkt des Films, sein magisches Zentrum.

WHERE THE WILD THINGS ARE, USA 2009 - Regie: Spike Jonze. Buch: Dave Eggers. Nach dem Buch von Maurice Sendak. Kamera: Lance Acord. Mit: Max Records, Catherine Keener, Mark Ruffalo. Stimmen der Monster: Chris Cooper, James Gandolfini, Forest Whitaker, Catherine O'Hara. Warner, 101 Minuten.

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