Ratingagentur Standard & Poor's:Götter im Anzug

Die Herabstufung der Euro-Länder läutet eine ganz neue Qualität in der Auseinandersetzung zwischen krisengeschüttelten Regierungen und selbsternannten Bonitätsprüfern ein: Die Ratingagentur Standard & Poor's will kräftig mitmischen und schreckt dabei nicht davor zurück, Länder des Euro-Klubs auf eine Höhe mit Entwicklungsländern zu stellen. Das ist absurd, das ist lächerlich.

Cerstin Gammelin

Jetzt wird's hässlich. Die amerikanische Agentur Standard & Poor's hat den meisten Ländern des Euro-Klubs schwindende Kreditwürdigkeit bescheinigt. In einem ebenso frechen wie in sich widersprüchlichen Rundumschlag stufte der amerikanische Rating-Gott gleich neun der 17 Euro-Länder herunter und schickte die Warnung hinterher, dass es im Laufe des Jahres überall noch weiter abwärts gehen könnte. Ein Monopolist droht, den Stab über der Politik demokratisch gewählter Regierungen zu brechen. Das ist an Chuzpe kaum zu überbieten.

Demonstrators from the left-wing Parti de Gauche protest the rumored downgrade of France's AAA rating outside Standard and Poor's offices in Paris

Demonstration gegen den Rating-Abstieg in Frankreich. Das Land muss erstmals seit 1975 auf das Triple-A-Rating verzichten.

(Foto: REUTERS)

Es wird damit eine ganz neue Qualität in der Auseinandersetzung zwischen krisengeschüttelten Regierungen und selbsternannten Bonitätsprüfern eingeläutet. Standard & Poor's will kräftig mitmischen. Die Agentur startete den Rundumschlag von sich aus, sozusagen ungefragt - und rechtzeitig vor dem nächsten EU-Gipfel, der in zwei Wochen in Brüssel stattfindet. Macht, was wir sagen, ihr habt keine Wahl - so lautet die klare Botschaft.

Eingriff in die Politik

Die Agentur schreckt dabei nicht davor zurück, Länder des Euro-Klubs auf eine Höhe mit Entwicklungsländern zu stellen. Wer Italien oder Spanien Geld leiht, geht nach ihrer Ansicht das gleiche Risiko ein, als würde er sein Geld nach Indien, Kolumbien oder auf die Bahamas schicken. Das ist absurd, das ist lächerlich. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieses verbale Urteil tatsächlich auch in ein monetäres wandelt. Das wird sich spätestens dann zeigen, wenn die betroffenen Länder wieder Staatsanleihen ausgeben.

Richtig gefährlich ist etwas ganz anderes: Standard & Poor's hat nicht einfach nur seine Meinung kundgetan, wo Investoren mit welchem Risiko ihre Milliarden Dollar anlegen können - sondern ganz massiv den Versuch gestartet, direkt in die europäische Politik einzugreifen und diese zu beeinflussen. Das ist nicht Aufgabe einer Rating-Agentur. Die Amerikaner drängen die Kontinentaleuropäer immer offener, die angelsächsischen Grundsätze ihrer eigenen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu übernehmen. Das heißt Geld drucken, wann immer nötig, etwa um Banken zu retten oder um Konjunkturprogramme aufzulegen. Wer das nicht macht, bekommt dann schlechte Noten.

In der Begründung zur Herabstufung der Euro-Länder nehmen die amerikanischen Experten zwar zur Kenntnis, dass es so etwas wie eine europäische Krisenpolitik gibt; dass die Euro-Länder viele Pakete zum Sparen und Reformieren geschnürt haben und dass es einen Fonds gibt, der notfalls klamme Partner retten kann. Nur: Verstanden haben sie das offenbar nur bedingt. Und so richtig trauen sie den Beschlüssen ohnehin nicht: zu kompliziert, zu wenig Geld im Fonds, zu viel Gespare, zu wenig Konjunkturspritzen; es sind die bekannten Argumente der Rating-Leute.

Die Aktionen der Europäischen Zentralbank freilich werden von diesen Rating-Leuten mit Lob überschüttet, etwa so: Die Notenbank habe in riesigem Ausmaß Staatsanleihen klammer Euro-Länder gekauft und damit geholfen, diese zu stützen. Sie habe sich erfreulich flexibel gezeigt, die Banken mit milliardenschweren Krediten zu billigsten Zinsen zu versorgen. Und es ist auch im Sinne der Rating-Experten, dass die Notenbank den europäischen Leitzins bei nur einem Prozent belässt - Inflationsängste hin oder her, schließlich sollen sich ja die Unternehmen billig Geld leihen können, damit wieder produziert und Arbeitsplätze geschaffen werden.

Italien gerät zum Schmuddelkind

Je mehr sich also die Europäische Notenbank den amerikanischen finanz- und wirtschaftspolitischen Prämissen annähert, umso freundlicher fällt die Beurteilung aus. Oder, anders gesagt: Solange sich die Europäer nicht den Kriterien der Agentur beugen, wird herabgestuft, und wenn schlechte Noten tatsächlich Länder in den Ruin treiben und die Euro-Gruppe auseinanderbrechen lassen würde, so wären dies wohl nichts als logische Kollateralschäden.

Euroländer gegeneinander ausgespielt

Schon jetzt gelingt es Standard & Poor's, die Euro-Länder mit ihren Bewertungen gegeneinander auszuspielen. Deutschland wird zum unbeliebten Musterschüler, Italien gerät trotz aller Mühen zum Schmuddelkind, Frankreich scheint hinter Deutschland zurückzubleiben. Der Zerfall des Euro in einen Nordeuro und einen Südeuro - das von vielen Politikern gefürchtete Horrorszenario - existiert längst in den Köpfen und den Noten von Standard & Poor's. Die Ratings aus Amerika dividieren die Europäer auseinander. Auffällig ist auch, dass man nur noch von sechzehn Euro-Ländern spricht, das siebzehnte, Griechenland, wird nicht erwähnt. Es scheint als Euro-Land schon abgeschrieben zu sein.

Den EU-Regierungen bleiben zwei Möglichkeiten. Sie können das Spiel der Rating-Agenturen mitspielen und, den Blick starr auf die Note gerichtet, deren Hinweisen folgen. Oder aber sie ziehen Konsequenzen und entmotten das aus dem vergangenen Jahrhundert stammende Bewertungssystem. Das Monopol der drei großen Agenturen gehört abgeschafft. Bonitätsprüfer müssen für ihre Urteile haften und die Skala der zu vergebenden Noten muss reformiert werden. Andernfalls wird das Spiel munter so weitergehen und erst dann beendet sein, wenn alle Länder ihre Kreditwürdigkeit verloren haben. Dann allerdings sind auch die Ratingagenturen pleite.

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