Prozess um Doppelmord von Krailling:Thomas S. - der Onkel auf der Anklagebank

Der 51-jährige Thomas S, der seine beiden Nichten aus Krailling brutal ermordet haben soll, schweigt vor Gericht. Gelegentlich lächelt er. Die Staatsanwaltschaft und der Gutachter zeichnen am ersten Prozesstag ein detailliertes Profil des Angeklagten. Der Versuch einer Annäherung.

Beate Wild

Der Mann, der am ersten Prozesstag des Kraillinger Doppelmordes als Angeklagter ins Gericht geführt wird, ist leger gekleidet. Jeans, Sweatshirt, Turnschuhe. Die Fotografen und Kameramänner stürzen sich auf ihn, doch die Blitzlichter stören Thomas S. nicht. Im Gegenteil: Er wirkt selbstsicher. Mehrmals lächelt er in die Kameras.

Prozessbeginn: Doppelmord von Krailling

Seit diesem Dienstag muss sich der 51-Jährige Thomas S. in München vor Gericht verantworten. Der Vorwurf ist ungeheuerlich: Er soll seine beiden Nichten ermordet haben.

(Foto: dpa)

Die Anschuldigungen gegen ihn sind ungeheuerlich. Er soll am 24. März 2011 seine zwei kleinen Nichten, acht und elf Jahre alt, heimtückisch und brutal ermordet haben. Seit diesem Dienstag muss sich der 51-Jährige am Landgericht München II verantworten.

Wer ist der Mann auf der Anklagebank? Für die Staatsanwaltschaft ist Thomas S. der Täter. Sein Motiv: Habgier. Während die Anklage verlesen wird, verzieht Thomas S. immer wieder das Gesicht, schüttelt den Kopf. Er bläst Luft durch die Backen, rollt mit den Augen. Es ist offensichtlich, dass der Angeklagte nicht einverstanden ist mit dem, was die Staatsanwaltschaft vorliest.

Kurz nach seiner Festnahme stritt Thomas S. die Vorwürfe ab. Bald darauf verlegte sich der Postbote jedoch aufs Schweigen - und dabei blieb er bis heute. Auch an diesem ersten Prozesstag sagt der Beschuldigte kein Wort.

Thomas S. arbeitete als Postbote in Feldafing, ist seit 15 Jahren verheiratet mit Ursula S., der Tante der ermordeten Mädchen, und hat insgesamt sechs Kinder, zwei davon aus erster Ehe. Für seine zweite Familie wollte er den Traum vom Eigenheim verwirklichen. Er fing in der Gemeinde Peißenberg an zu bauen und stürzte die Familie tief in Schulden. Die monatlichen Raten in Höhe von 1000 Euro waren offenbar zu hoch für Thomas S. Schließlich musste der heute 51-Jährige auch Unterhalt für seine beiden Kinder aus erster Ehe bezahlen.

In der Anklageschrift heißt es, Thomas S. habe kurz vor der Tat erfahren, dass er finanziell am Ende sei. Am 4. März 2011 kündigte die Bank die Zwangsvollstreckung an. Für die Staatsanwaltschaft ist dies das Motiv für den Doppelmord.

An jenem 4. März soll der Postbote demnach beschlossen haben, seine Schwägerin Anette S. und deren Töchter zu töten. Er habe gehofft, dass nach dem Tod der Schwägerin seiner Frau die Eigentumswohnung zufallen würde. Es wäre die Lösung seiner finanziellen Probleme gewesen, sagt die Staatsanwaltschaft. Nur weil seine Schwägerin so spät nach Hause gekommen sei, sei sie dem beabsichtigen Mordanschlag entkommen.

Ein detailliertes Profil

Anschließend zeichnet der Gutachter Henning Saß ein detailliertes Profil von dem Angeklagten. Dem Gutachten zufolge sei seine Kindheit normal verlaufen, Thomas S. wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Er war kein besonders guter Schüler, aber 1982 hat er schließlich - nach einigen Verzögerungen - seinen Realschulabschluss gemacht, später sogar das Fachabitur.

Der Gutachter berichtet, dass Thoma S. drei Semester Informatik an der TU München studierte, doch mit dem Stoff kam er nicht zurecht, weswegen er das Studium abbrach. Nachdem ein eigener Laden mit billigen Teppichen in der Münchner Leonrodstraße auch nicht ordentlich lief, heuerte er bei der Post als Briefträger an.

Dann erzählt Saß noch zwei Episoden über den Tatverdächtigen, die einen Einblick in die Persönlichkeit des Angeklagten geben. Einmal beschloss Thomas S. nach Griechenland auszuwandern. Er fand die Kultur interessant, wollte weg von zu Hause, sagte er dem Gutachter. Ohne jemandem von seinen Vorhaben zu erzählen, fuhr er am 1. April 1980 los. Doch bereits einen Tag später, am 2. April, beschloss er, wieder umzukehren. Thomas S. hatte erst ein paar Tage davor ein Mädchen kennengelernt, das ihn interessierte. Er fuhr also zurück zu der Frau und zog - wieder einen Tag später, am 3. April - bei ihr ein. Die Freundin wurde später seine erste Ehefrau und Mutter seiner ersten beiden Kinder.

Die zweite Episode: Um zu verhindern, dass er bei der Bundeswehr eingezogen wird, beschloss Thomas S., eine depressive Störung vorzutäuschen. In Büchern las er sich an, welche Symptome bei einer Depression auftreten - und imitierte daraufhin das Krankheitsbild. Er aß nichts mehr, trank nur noch Tee und schauspielerte so lange, bis er einen Arzt fand, der ihm ein Attest für die Ausmusterung schrieb.

"Wenn ihm was nicht gepasst hat, hat er die Kinder geschlagen"

Eine andere Seite von Thomas S. kennt man bereits aus dem Interview, das seine Ehefrau Ursula S. dem Nachrichtenmagazin Stern im Juni gab. Sie beschreibt ihren Mann als cholerisch, ungeduldig und handgreiflich. "Mein Mann war sehr dominant", sagte sie dem Magazin. "Er war unzufrieden, unausgeglichen. Ging auf die Kinder los wegen Kleinigkeiten. Wenn der sechsjährigen Julia mal ein Glas umkippte, hat er sich aufgeführt, hat sie zusammengeschrien." Und: "Wenn ihm was nicht gepasst hat, hat er die Kinder auch geschlagen, geohrfeigt."

Auch Nachbarn der Familie berichten, dass Thomas S. die Kinder oft angebrüllt hätte und gewalttätig gewesen sei. Ein herrschsüchtiger Mann, dem sich in der Familie alle unterordnen mussten.

"Mein Mann war bei meiner Familie unbeliebt", erzählte Ursula S. der Presse. "Er mochte wiederum weder meine Schwester noch meine Mutter besonders." Angeblich sei Thomas S. der Familie nicht gut genug gewesen. Er war von einfacher Herkunft, aus einer Arbeiterfamilie. "Sein Vater war Maurer, die Mutter beim TÜV." Außerdem erschien Thomas S. der Familie wohl zu ungepflegt: "Er achtete nicht besonders auf sein Äußeres, rasierte sich ungern."

Vor Gericht ist der Angeklagte nun kaum wiederzuerkennen. Er trägt seine Haare mittlerweile kurz, verschwunden sind die langen wirren Locken, die er bei seiner Festnahme trug. Der Bart ist abrasiert. Es ist nicht zu übersehen, dass Thomas S deutlich an Gewicht verloren hat.

Am ersten Prozesstag sind viele Menschen erschienen, die die grausame Tat immer noch nicht fassen können. "Ich bin immer noch schockiert, wie man zwei kleine unschuldige Mädchen so bestialisch ermorden kann", sagt eine Zuhörerin. Eine andere sagt: "Er gibt es nicht zu, aber die Indizien sind eindeutig, oder?" Die Stimmung im Gerichtssaal ist klar gegen den Tatverdächtigen.

Die Zuschauer fragen sich: Hat er die Tat wirklich begangen? Sind finanzielle Probleme das Motiv? Sah er keinen anderen Ausweg, als seine beiden Nichten, Sharon, elf, und Chiara, 8, zu ermorden? Und: Kann der Mörder der beiden kleinen Mädchen überhaupt "normal" sein? Ist so jemand nicht unzurechnungsfähig, geisteskrank, verrückt?

Die psychiatrische Untersuchung von Thomas S. ergab keinen Hinweis darauf, dass er "vermindert schuldfähig" sei.

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