Fehlende Steuereintreiber:Der Zoll, das unfähigste Inkasso-Unternehmen Deutschlands?

Der deutsche Zoll sollte mehr als fünf Milliarden Euro für den Bund eintreiben - doch eingenommen hat er nur knapp eine Milliarde. Die Bundesrepublik verschenkt täglich mehr als elf Millionen Euro. Aber warum?

Silke Bigalke

Im Jahr 2010 sollte der deutsche Zoll 5,3 Milliarden Euro für den Bund eintreiben - eingenommen hat er jedoch lediglich 1,2 Milliarden. Mehr als vier Milliarden Euro fehlen - wie kann das sein? Ist der Zoll das unfähigste Inkasso-Unternehmen in Deutschland? Peter Heesen, Vorsitzender des Deutschen Beamtenbundes, hatte auf dessen Jahrestagung Mitte Januar eine andere Antwort: Die Behörde, die für den Staat Schulden eintreibt, ist hoffnungslos unterbesetzt. Und dadurch verschenkt die Bundesrepublik jeden Tag Geld, mehr als elf Millionen Euro. "Geht es uns zu gut?", rief Heesen empört in den Saal.

Ganz so einfach, wie das Heesen vorrechnet, ist die Sache nicht. Bei vielen Schuldnern, von denen der Bund Geld zu bekommen hätte, ist einfach nichts zu holen - so begründet das Bundesfinanzministerium (BMF) einen guten Teil der Vier-Milliarden-Lücke. Der Zoll klingelt ohnehin nur an den Türen jener, die Rechnungen und Mahnungen der Arbeitsagentur, der Berufsgenossenschaft oder der Krankenkasse seit Wochen ignorieren. Oft handelt es sich dabei um Beiträge oder Leistungen, welche die Arbeitsagentur versehentlich überwiesen hat und jetzt zurückfordert. Es sei meist fruchtlos, dort überhaupt einen Zollbeamten vorbeizuschicken, sagt das BMF.

Insgesamt aber ist das Argument des Beamtenbund-Chefs Heesen nicht von der Hand zu weisen: Wenn der Zoll nicht nachsieht, weiß er auch nicht, wo doch etwas zu holen wäre. Doch dafür fehlt Personal. Die Fälle stapelten sich in den Zollämtern, klagt die deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft BDZ. Vier Millionen Aufträge bekämen die Ämter im Schnitt jedes Jahr. Mehr als eine Million dieser Aufträge hingen in der Warteschleife - mit einem geschätzten Gegenwert von bis zu 1,5 Milliarden Euro.

Für die Gewerkschaft ist die Sache klar: Sie fordert mehr Mitarbeiter. Theoretisch gibt das Finanzministerium ihr da recht: Die Zollverwaltung bräuchte 3600 Arbeitskräfte mehr. Doch dafür ist kein Geld da. Also legt das Ministerium fest, welche Aufgaben für den Zoll Priorität haben. Da stehen der Kampf gegen Schwarzarbeit, die organisierte Kriminalität und den Drogenhandel oben - und das Geldeintreiben steht unten. Von den 3600 Beamten und Angestellten, die das Finanzministerium gerne zusätzlich für seine Zollämter hätte (aber wohl nie bekommen wird), würde es gerade mal 98 in die Vollstreckung schicken. "Das ist ein Witz", sagt Stefan Walter, Vorsitzender des Personalrats beim Hauptzollamt Dortmund. Allein in Dortmund bräuchte er mehr als 100 weitere Mitarbeiter, um den Rückstau abzuarbeiten. Neun Monate liegt ein Auftrag hier im Schnitt, ehe er erledigt wird. Doch statt mehr Mitarbeiter bekommen die Zollbeamten nun neue Vorschriften, die ihre Arbeit effizienter machen sollen.

Rückt der Zoll noch aus, um 25 Euro Schulden einzutreiben?

Gute Zeiten für Schuldner des Staates, denn der Vollziehungsbeamte klingelt jetzt nur noch zweimal. "Früher gab es drei Besuche", sagt Stefan Walter. Öffnet der Schuldner nicht, gibt der Beamte den Fall zurück an den Innendienst, der ihn oft als hoffnungslos abhaken muss. So wartet derzeit die Minijobzentrale als Auftraggeberin des Zolls auf 40 bis 45 Millionen Euro.

2014 wird sich die Situation weiter zuspitzen; dann muss der Zoll auch noch die Kfz-Steuer eintreiben. "Dann stehen wir vor einer unlösbaren Aufgabe", sagt der BDZ-Vorsitzende Klaus Leprich. Wenn es bis dahin nicht mehr Personal gebe, könnte man über eine Bagatellklausel nachdenken. Doch das sei letztlich keine Lösung: Sobald sich herumgesprochen hätte, dass zum Beispiel Kfz-Steuer-Schulden bis 100 Euro nicht mehr eingetrieben werden, würde niemand mehr zahlen.

Faktisch ist das schon jetzt so: Bei einer Summe bis zu 25 Euro bekommt der Schuldner zwar noch Post, die den Besuch des Vollziehungsbeamten ankündigt. Glaubt man aber Stefan Walter vom Hauptzollamt Dortmund, macht sich dafür aber keiner mehr auf den Weg.

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