Kultusminister in der Kritik:Forscher erzürnt Zensur von Pisa-Daten

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Die Pisa-Tests sind in Deutschland immer noch ein Politikum. Eigentlich stehen die Daten aus vergangenen Jahren den Forschern offen - doch die Kultusminister schränken laut einem niederländischen Bildungsforscher die Freiheit der Wissenschaft ein.

Tanjev Schultz

In diesem Frühjahr werden in Deutschland wieder mehrere Tausend Schüler an den internationalen Pisa-Tests teilnehmen. Es ist bereits das fünfte Mal, dass die Kultusminister die Leistungen der 15-Jährigen untersuchen lassen. Obwohl die Tests damit schon fast Routine sind, ist Pisa hierzulande noch immer ein großes Politikum. Das zeigt sich sogar im Umgang mit den alten Daten aus früheren Pisa-Studien. Im Prinzip stehen sie Forschern für weiterführende Analysen offen. Aber nur im Prinzip. In der Praxis versuchen die Kultusminister, heikle und unliebsame Veröffentlichungen, in denen einzelne Bundesländer schlecht aussehen könnten, um jeden Preis zu verhindern.

Der Bildungstest Pisa bleibt ein Politikum. Wie Schüler aus einzelnen Bundesländern abgeschnitten haben, dürfen Forscher nicht näher vergleichen. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Zensur statt freier Forschung - das ist die frustrierende Erfahrung, die der renommierte niederländische Bildungsforscher Jaap Dronkers von der Universität Maastricht mit den deutschen Kultusministern gemacht hat. Für eine Studie, in der er die guten Resultate der niederländischen und flämischen Jugendlichen untersucht, hatte der Professor auch Zugang zu deutschen Pisa-Werten beantragt. Er bekam ihn auch. Doch nun will ihm die Kultusministerkonferenz (KMK) die Veröffentlichung einer wichtigen Tabelle nicht mehr gestatten.

In der Tabelle wollte Dronkers unter anderem beschreiben, wie die Schüler ohne Migrationshintergrund in den 16 Bundesländern und in den Schweizer Kantonen abgeschnitten haben, im Vergleich mit niederländischen und flämischen Schülern. Für einige Bundesländer könnte dabei auf einen Blick sichtbar werden, dass ihre relativ schlechten Pisa-Werte keineswegs (nur) aufs Konto von Migranten gehen. Der auch von deutschen Kollegen geschätzte Niederländer hat zunächst erwogen, die Daten trotzdem zu veröffentlichen. "Ich habe eine Verantwortung, die Freiheit der Wissenschaft zu verteidigen und die Transparenz der Bildungssysteme in Europa zu fördern", sagt er. Aber das Risiko, dass die KMK den Zugang zu Daten ganz sperrt und ihm eine Vertragsstrafe von 10 000 Euro aufbrummt, ist dem Professor zu hoch.

Um an die deutschen Pisa-Daten zu kommen und mit ihnen eigene Forschung zu betreiben, müssen Professoren einen strengen Nutzungsvertrag unterzeichnen. Was im Einzelnen erlaubt wird und was nicht, lässt sich aus dem Vertrag nicht unbedingt ableiten. Er verbietet jedoch strikt die Identifikation einzelner Bundesländer in den Veröffentlichungen. "Die Restriktionen sind übertrieben und wirken aus europäischer Sicht willkürlich", beklagt sich Dronkers.

Eine Antwort der KMK auf eine entsprechende Anfrage der Süddeutschen Zeitung steht noch aus. Personenbezogene und damit datenschutzrechtlich sensible Angaben sind in den Pisa-Datensätzen von vornherein ausgeschlossen. Umso unverständlicher finden es auch deutsche Wissenschaftler, wie die Politik versucht, sich in Studien einzumischen. Oft regen sie sich allerdings nur hinter vorgehaltener Hand auf, denn viele Bildungsforscher erhalten Geld und Aufträge von den Kultusministern; nicht zuletzt für Pisa. Der Bildungsökonom Ludger Wößmann vom Münchner ifo-Institut dagegen sagt es offen: Es sei ein Unding, dass die Politik derart in die Forschung eingreife, "das ist einer offenen Gesellschaft nicht würdig".

© SZ vom 30.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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