Ausgrenzung an Schulen:Wenn Homosexualität auf dem Lehrplan steht

Vor fast sechs Jahren nahm sich der homosexuelle Schüler Michael Schmidpeter das Leben. Ein nach ihm benannter Preis soll für mehr Toleranz in den Klassenzimmern sorgen. Doch noch immer sind Schimpfwörter wie "schwule Sau" Alltag auf Pausenhöfen, das Thema Homosexualität im Unterricht ist oft ein Tabu.

Lisa Sonnabend

Michael Schmidpeter war gerade einmal 17 Jahre alt, als er sich das Leben nahm. Ein fröhlicher Junge eigentlich, er lebte in Pöcking, nicht weit vom Starnberger See, hatte gerade beschlossen, nach der Schule Fußballschiedsrichter zu werden - und er war verliebt. In einen Klassenkameraden. Doch die Zuneigung blieb unerwidert. Michael sah in seinem Coming-out-Prozess plötzlich keinen Ausweg mehr, er brachte sich um.

Michael Schmidpeter Preis

Michael Schmidpeter: Er wurde nur 17 Jahre alt.

(Foto: Lambda Bayern)

Fast sechs Jahre ist der Tod von Michael Schmidpeter nun her. Sein Schicksal ist bis heute nicht vergessen - auch weil die Eltern die Geschichte ihres Sohnes öffentlich gemacht und gemeinsam mit dem Jugendverband Lambda einen Preis ins Leben gerufen haben, der jedes Jahr an engagierte Schüler in Bayern vergeben wird. Den Michael-Schmidpeter-Preis. Michaels Fotos ist auf den Flyern für den nach ihm benannten Preis zu sehen. Ein blonder, sportlicher Junge, in Fußballtrikot, der verträumt schaut und lächelt, ganz leicht zumindest.

Hendrik Terwort, der ehrenamtlich beim Jugendverband Lambda arbeitet, sitzt im Café am Nordbad in München und erzählt davon, wie er erlebt, dass noch immer homosexuelle Jugendliche diskriminiert werden. Schimpfwörter wie "schwule Sau" oder "Kampflesbe" sind in deutschen Pausenhöfen Alltag. Ein Outing traut sich deswegen nicht jeder Schüler zu, über Homosexualität zu reden, fällt vielen schwer. Viele ziehen sich zurück, verdrängen ihre Gefühle, reden mit niemandem. Auch für viele Lehrer ist Homosexualität noch immer ein Tabuthema.

Dabei "sind Fragen zur Homosexualität bereits seit Jahren Bestandteil des Unterrichts in Fächern wie Biologie und Religion oder Ethik", so das Kultusministerium auf eine Anfrage. Im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen steht: "Die Schulen haben insbesondere die Aufgabe, zu verantwortlichem Gebrauch der Freiheit, zu Toleranz, friedlicher Gesinnung und Achtung vor anderen Menschen zu erziehen."

In den Richtlinien für Familien- und Sexualerziehung an bayerischen Schulen ist für die Jahrgangsstufe 9 als ein Unterrichtsthema festgehalten: "Persönliche und soziale Aspekte der Homosexualität". Als ein Unterrichtsthema von vielen bei der Sexualkunde. Denn auch Bereiche der Sexualität wie Prostitution, Kommerzialisierung der Sexualität, Familienplanung, Geschlechtskrankheiten oder Schutz ungeborenen Lebens sind dort vermerkt. Da der Sexualkundeunterricht an den meisten Schulen in wenigen Stunden abgehandelt wird, bleibt oft nur sehr wenig Raum für das Thema Homosexualität.

Der Michael-Schmidpeter-Preis versucht dazu beizutragen, dass sich die Situation an den Schulen ändert, dass Homosexualität sehr wohl ein Thema wird - und dadurch vielleicht das Leben anderer junger Menschen gerettet wird. Die Suizidrate bei homosexuellen Jugendlichen ist vier Mal so hoch wie die bei heterosexuellen - laut einer Studie des Berliner Senats aus dem Jahr 2006, neuere Daten gibt es nicht. Michael Schmidpeter war und ist kein Einzelfall.

Wenn Lehrer nicht die richtigen Worte finden

"Mit dem Preis wollen wir diejenigen Jugendlichen würdigen, die Homosexualität zur Diskussion bringen", sagt Terwort. 2012 wird der Preis nun zum fünften Mal verliehen. Für den Gewinner stehen 500 Euro Preisgeld zur Verfügung, Einsendeschluss ist Mitte August. Beim vergangenen Mal gewann eine Schülerin aus Bruckmühl im Landkreis Rosenheim, die in einem Märchen die Schwierigkeiten eines Jugendlichen beim Coming-out geschildert hat.

Michael Schmidpeter Preis

Ein Bild von der Verleihung des Michael-Schmidpeter-Preis 2010 in Ingolstadt.

(Foto: Lambda Bayern)

Für den Michael-Schmidpeter-Preis könne jegliche Art von Beiträgen eingereicht werden, betont Terwort. Kurzgeschichten, Videos, aber auch Projekte, bei denen einen ganze Schulklasse beteiligt ist. Ein Radiobeitrag über Homosexualität, der in der Schule über Lautsprecher ausgestrahlt wird, zum Beispiel, oder die Initiative eines Fußballvereins, der eine Coming-out-Beratung nach dem Training anbietet. Lambda will Projekte, die auf Öffentlichkeit zielen, die das unmittelbare Umfeld zur Diskussion und zum Nachdenken anregen.

Lambda bietet zudem Jugendgruppen für Schwule, Lesben und Bisexuelle an, in München und in zehn anderen bayerischen Städten. Zudem besucht der Verein regelmäßig Schulen und Jugendzentren, um dort Workshops abzuhalten. Das Ziel von Lambda: Vorurteile abbauen, Aufklärungsarbeit leisten und sich für Toleranz einsetzen.

Vor allem in ländlichen Gebieten ist Homosexualität noch immer ein Tabuthema. In einem Klassenraum, in dem ein Kruzifix hängt und von dessen Fenster aus die Alpenidylle zu sehen ist, ist für Homosexualität oft kein Platz - so zumindest der Eindruck. Viele Lehrer wissen nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen, manche scheuen sich davor.

Terwort macht ihnen keinen Vorwurf. "Das ist völlig okay", sagt der 26-Jährige. Nicht jeder Lehrer fühle sich berufen, über Sexualität zu sprechen, schon gar nicht über Homosexualität, und halte sich an das, was die Lehrbücher im Sexualkundeunterricht vorgeben. "Wenn das Buch gut ist, reicht das meist", sagt Terwort. "Sonst kann gerne einer von uns vorbeikommen." Birger Nemitz, Sprecher im Kultusministerium, betont: "Es besteht für Schulen immer auch die Möglichkeit, homosexuelle Menschen als externe Partner mit einzubeziehen." Lehrer würden regelmäßig in einem Newsletter über die Projekte von Lambda informiert.

Einmal stellte Terwort zu Beginn eines Workshops die Frage: "Kannst du dir vorstellen, dass schwule Männer in einer langfristigen Beziehung zusammen leben können?" Ein Jugendlicher antwortete: "Ich glaube, dass Schwule immer nur Sex haben wollen und solche Beziehungen sind unnatürlich." Doch nachdem Terwort aus seinem Leben erzählt und die Schüler Fragen gestellt hatten, änderte der Jugendliche seine Einstellung. Terwort wollte wissen: "Glaubst du, dass schwule Männer ein Kind großziehen können?" Der Junge antwortete mit: "Ja."

Weitere Informationen unter www.schmidpeter-preis.de oder www.lambda-bayern.de.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: