US-Intellektueller Mark Greif in den Münchner Kammerspielen:Besserwisser in Röhrenjeans

Warum sind die Hipster die Buhmänner der Nation? Warum erkennt man in YouTube-Videos den wahren Kern der menschlichen Existenz? Und wie war es im Occupy-Wallstreet-Lager in New York wirklich? Mark Greif, einer der intellektuellen Köpfe der USA, erklärt in den Kammerspielen den Münchnern die Gegenwart.

Beate Wild

Was haben Hipster, YouTube-Videos und die Occupy Wallstreet Bewegung in New York gemeinsam? Im Grunde natürlich gar nichts, außer dass Mark Greif darüber Bücher geschrieben hat und seither als Experte für diese drei Themen gilt.

US-Intellektueller Mark Greif in den Münchner Kammerspielen: Zwei Phänomene auf einmal: Dieser Hipster demonstriert bei "Occupy Wall Street" im Zuccotti Park im Oktober 2011 in New York.

Zwei Phänomene auf einmal: Dieser Hipster demonstriert bei "Occupy Wall Street" im Zuccotti Park im Oktober 2011 in New York. 

(Foto: AFP)

Und so sitzt Mark Greif, Literaturprofessor und gegenwärtig einer der wortmächtigsten Intellektuellen der USA, am Mittwochabend im Werkraum der Kammerspiele und versucht den Münchnern die gegenwärtige Welt zu erklären. Sympathisch und locker kommt er rüber und stellt gleich zu Anfang klar: "Ich selbst bin kein Hipster, ich wollte nur das Phänomen analysieren."

Gerade ist sein Buch Hipster. Eine transatlantische Diskussion im Suhrkamp-Verlag auf Deutsch erschienen. Allein dass das Hipstertum mittlerweile wissenschaftlich abgehandelt wird, zeigt, wie weit es mit dem Phänomen gekommen ist.

Die Hipster, das sind jene dürren Jünglinge, die sich hautenge Röhrenhosen, Turnschuhe und ironisch bedruckte T-Shirts anziehen, im Gesicht ein Vollbart und auf der Nase eine überdimensional große Hornbrille tragen, auf dem Kopf einen angesagten Haarschnitt drapieren und sich um die Schulter einen Jute-Beutel mit aufgedruckter Aussage hängen.

Der Hipster ist äußerst trendbewusst, weiß die modischen Codes zu lesen und trifft seine Konsumentscheidungen aufgrund von Lifestyle-Überlegungen. Er ist meist männlich, oft Vegetarier und gehört der höheren Einkommensschicht an. Seine Identität bezieht er oftmals über die Anzahl der Gästelisten, auf denen er steht. Die richtige Biersorte, Party und Band sind elementar für ihn. Greif sagt: "Der Hipster ist ein existentieller Besserwisser."

Hört sich an, als sei von den Horden die Rede, die derzeit über den Berliner Stadtteil Neukölln herfallen und die sich anschicken, dieses Viertel gnadenlos zu gentrifizieren? Genau so ist es, bestätigt Greif. Doch warum wollen auch alle anderen dorthin, wo sich der Hipster, der Buhmann unserer Gesellschaft, tummelt? Ganz einfach, weil dort wo der Hipster ist, dort sei es cool, sagt der 36-jährige Kulturtheoretiker. Und man dürfe nicht vergessen, dass der Berliner Hipster anders sei als der Londoner Hipster und erst recht als das amerikanische Exemplar. Vom Münchner Hipster ist während der gesamten Lesung nicht die Rede.

Die amerikanische Original-Ausgabe von Greifs Buch heißt What was the Hipster? und ordnet mit der Vergangenheitsform den akademisch gewordenen Diskurs gleich richtig ein. Denn seit die Hipster-Mode den Mainstream erreicht hat - und das hat sie seit ein paar Jahren zweifelsohne - ist der Hipster ja nicht mehr hip. In Europa sei das vielleicht noch ein wenig anders als in den USA, konstatiert Greif. Aber hierzulande hinke man den Trends sowieso immer ein wenig hinterher.

Mittlerweile könne man die nötigen Accessoires für den Stil der urbanen Trendsetter bei jeder Billig-Mode-Kette erstehen, klagt der Professor. Sogar H&M hat Hornbrillen mit Fensterglas im Sortiment. Dabei gibt es wohl kaum Schlimmeres für den Hipster, als von der breiten Masse eingeholt zu werden.

Trommeln für eine bessere Welt

Auch das Internet, ehemals Tummelplatz der frühen Hipster, tauge nicht mehr als Identifikationsmerkmal. Denn die Gadget-verliebten Medienschaffenden seien längst nicht mehr unter sich. Und andersherum: Die Mitglieder der digitalen Bohème seien noch lange keine Hipster.

Mark Greif

Mark Greif: Literaturprofessor, Hipster-Versteher und Occupy-Botschafter.

(Foto: Nelson Villareal / oh)

Dann geht es bei der Lesung weiter - mit der Faszination von YouTube-Videos und Reality-Fernsehen. Auch zu diesem Thema hat der New Yorker ein Buch geschrieben, es heißt Bluescreen. Greif zeigt den sogenannten Double-Rainbow-Clip, bei dem ein Mann schier ausrastet, als er einen doppelten Regenbogen erblickt. Das Publikum lacht sich schlapp und plötzlich versteht jeder den Zauber dieser kleinen Videos im Netz. So einfach kann das sein.

Zum Schluss des Abends kommt dann endlich Greifs Lieblingsthema an die Reihe: Die Occupy Wallstreet Bewegung in New York. Auch darüber ist gerade ein Buch von ihm im Suhrkamp-Verlag erschienen. Greif ist nicht nur Literaturdozent, Kulturtheoretiker und Co-Herausgeber der Intellektuellen-Zeitschrift n+1, sondern auch Herausgeber der Occupy Gazette. Im Rahmen von Occupy Wallstreet hat sich Greif Verdienste in der Szene erworben, indem er zusammen mit Freunden die Zeitung zur Bewegung herausgegeben hat.

Die Gazette dokumentiert das Occupy-Phänomen seit seiner Entstehung in New York. Er habe in jenen Wochen im Zuccotti Park erstmals direkte Demokratie erlebt, sagt Greif. Und so kämpft der Professor auch nach der Räumung des Parks durch die Polizei weiter für die Ziele der Occupy-Bewegung. Diese sind: die Macht des Geldes über die Politik reduzieren, eine Regulierung der Finanzmärkte, eine höhere Besteuerung der Reichen und Hilfe für verschuldete Privatpersonen. Und auch jene sollen dazugehören, die sonst außen vor sind: Schwarze, Kinder, Arme, Einwanderer und Alte.

Wenn es um Occupy geht, kommt Greif ins Schwärmen. Er zeigt eine Dia-Show mit Fotos aus dem Zuccotti-Park, er erzählt von den vielen kleinen Details und zwischenmenschlichen Anekdoten, die er dort erlebt hat. Beispielsweise von dem "24-Hour-Drum-Circle", einem Zusammentreffen von Trommlern, wie es sie im Sommer auch im englischen Garten gibt, die rund um die Uhr getrommelt haben - und dabei anderen Aktivisten gehörig auf die Nerven gegangen seien.

Greif erzählt so lebendig, dass sich am Ende des Abends jeder im Saal wünscht, dabei gewesen zu sein, damals im Herbst 2011 in New York. Man geht mit dem Gefühl nach Hause, die Welt jetzt besser zu verstehen. Zumindest dieses total angesagte Gegenwarts-Zeug: die Hipster, die YouTube-Videos und die Occupy-Bewegung.

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