Gisbert zu Knyphausen in München:Meister der Melancholie

"Fick dich ins Knie, Melancholie": Gisbert zu Knyphausen vertont die Hasslieben des Lebens - und ist richtig gut darin. Beim München-Gastspiel in der Muffathalle entfaltet der Wahlberliner seine große Songwriter-Kunst.

Bernhard Blöchl

Da steht er nun, dieser schüchterne Zweifler, im Rampenlicht der Muffathalle. Er wirkt verloren - hier ist er richtig. Noch vor zwei Jahren spielte er im benachbarten Ampere, heute gehört er zu den Großen. Musikdeutschland will ihn sehen, aber der Mainstream ignoriert ihn.

Gisbert zu Knyphausen

Melancholie ist die mächtigste seiner Musen: Gisbert zu Knyphausen (rechts) mit Band.

(Foto: oh)

Gisbert zu Knyphausen kann das nur recht sein: Der Wahlberliner aus dem hessischen Rheingau liebt den Widerspruch. Er singt "Die Welt ist grässlich und wunderschön" oder "Fick dich ins Knie, Melancholie" - dabei weiß jeder, der seine Alben kennt, dass Melancholie die mächtigste seiner Musen ist.

Der 32 Jahre alte Singer-Songwriter hat ein Faible für Differenzierung, für Unentschieden und Komplexität. Für "Morsches Holz" und "Kräne", wie zwei seiner Lieder heißen. Er singt über "großkotzige Computer", den Müll des Lebens und die Schmerzen im Herzen. Er vertont die Hasslieben des Lebens.

Hin und wieder liest man von Bezügen zu Element of Crime. Das ist natürlich Quatsch, und fast ist man geneigt, den Vorschlaghammer rauszuholen. Denn wenn Sven Regener vom Leben gezeichnet ist, ist Gisbert zu Knyphausen vom Leben skizziert. Mit Verlaub, aber der Mann ist zu jung für Gräben im Gesicht und Furchen in der Seele.

Gleichwohl verbindet die beiden Geschichtenschnodderer die Magie der Poesie. Und wenn man schon nach Orientierung sucht: Im schönen neuen Feld der jungen deutschen Songwriter ist Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen wohl am ehesten zwischen Philipp Poisel, Bosse, Nobelpenner und Niels Frevert zu verorten. Irgendwo und doch weit vorn.

Am stärksten ist dieser freundlich zurückhaltende Künstler, wenn er sich erlaubt, auszubrechen. Gegen Ende etwa, wenn er die schützende Gitarre beiseitelegt und zum eigenen Gesang ein Tänzchen wagt; wenn seine Musik die zarten Songwriter-Bahnen verlässt und auf der asphaltierten Mehrspurstraße des Rock dahinscheppert; oder wenn er alleine eine glückliche Liebe ziehen lässt und sich im Schmerz verliert ("Dreh dich nicht um").

Gisbert zu Knyphausen ist als singender Gefühls- und Gitarrenarbeiter stark genug, er braucht eigentlich keine Mitmusiker. Blöd nur, dass er mit Frenzy Suhr, Jens Fricke, Sebastian Deufel und Gunnar Ennen eine herausragende, weil präzise und eingespielte Band im Rücken hat (die schon den Liedermacherkollegen Joachim Zimmermann im Vorprogramm begleitete). Eine Gruppe, die ihm erlaubt, das musikalische Spektrum der widersprüchlichen Liederkunst voll auszuschöpfen.

"Hurra! Hurra! So nicht." heißt die zweite Platte des schüchternen Zweiflers. Nach dem Konzert möchte man erwidern: "Verdammt! Verdammt! Genau so!"

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