Armin Mueller-Stahl über die Malerei:"Ich bin für die Zerstörung von Schönheit"

Schauspieler Armin Mueller-Stahl vor einem seiner Gemälde, Juli 2008

Armin Mueller-Stahl vor einem seiner Gemälde: "Mir geht es um die Freiheit, die man in der Kunst hat. Die einzigen Momente, in denen ich wirklich fliegen kann, sind, wenn ich im Atelier male."

(Foto: Paul Katzenberger)

Er behauptet von sich, Zeichnen falle ihm viel leichter als die Schauspielerei. In dem Drama "Die Farben des Herbstes", das jetzt auf DVD erscheint, kann Armin Mueller-Stahl die zwei Disziplinen miteinander verbinden. Ein Gespräch über die Schönheit der Malerei, den menschlichen Überlebenskampf und Blut im Museum.

Paul Katzenberger

Er ist 81 Jahre alt, doch Armin Mueller-Stahl ist auch im Alter ein vielgefragter Mann. Vor sechs Jahren verkündete er seinen Abschied aus dem Filmgeschäft, doch er kann die Schauspielerei einfach nicht lassen: Seit seiner vermeintlichen Demission wirkte der gebürtige Ostpreuße in immerhin knapp zehn Filmen mit. Einer davon lief nur in den USA in den Kinos und kommt an diesem Donnerstag in Deutschland auf DVD heraus. In Die Farben des Herbstes geht es um eine Herzensangelegenheit des Multitalents: die Malerei, die er selbst mit großer Hingabe betreibt.

SZ: Ihr Film Die Farben des Herbstes über das Erwachsenwerden eines jungen Malers wurde schon 2006 gedreht, war in Deutschland aber nie im Kino. Warum?

Armin Mueller-Stahl: Möglicherweise hat er keinen Verleih gefunden. Es ist häufig so, dass es Independent-Filme schwerer haben als andere. Ein bisschen lag es vielleicht auch an Regisseur George Gallo. Er ist selber Maler und ein sehr angenehmer Mensch, mit dem wir viel gelacht haben. Aber ich glaube nicht, dass er intensiv für den Film gekämpft hat. Er war da ein bisschen lax und hat das dem Schicksal überlassen.

SZ: Es geht um die Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Malers, der einen Mentor gefunden zu haben glaubt. Ich gebe Ihnen recht, dass Die Farben des Herbstes somit eher ein Independent-Film ist. Erzählt wird die Geschichte aber nach Hollywood-Manier: Technisch perfekt produziert in einer Postkartenidylle und mit amerikanischem Pathos. War das für Sie ein Problem? Sie haben zuvor in sehr anspruchsvollen Produktionen mitgewirkt.

Mueller-Stahl: Das war für mich überhaupt kein Problem. Im Gegenteil, ich fand diesen Film absolut glaubwürdig und richtig.

SZ: Also nicht nur gefühlsselig, wie viele amerikanische Kritiker?

Mueller-Stahl: Nicoli Seroff, der Maler, den ich darstelle, geht es um Schönheit. Er betreibt sicher immer ein bisschen Hawaii-Malerei, da werden Sonnenuntergänge dargestellt, da werden die Blumen bunter gemalt als sie sind. Es geht in diesem Film aber auch um die Schönheit der Malerei vor dem Hintergrund dieser wunderschönen Landschaften um New Orleans, die der Kameramann eingefangen hat. Und es wird über ein wichtiges Thema diskutiert - die moderne Kunst. Das ist doch in Ordnung.

SZ: Sie malen selbst. Haben Sie sich in der Figur des Nicoli Seroff wiedergefunden?

Mueller-Stahl: Nein. Ich bin eher für die Zerstörung von Schönheit. Das hat ja genauso eine Tradition. Wenn mir das Gesicht einer Frau zu schön gelingt, dann versuche ich den Charakter hineinzumalen. Ich habe da eine etwas andere Auffassung als Seroff: Landschaften und Sonnenuntergänge - das hat mit mir wenig zu tun.

SZ: Die Verbitterung des alten Seroff, der mit Schimpfwörtern um sich schmeißt, ist ihnen wahrscheinlich auch fremd.

Mueller-Stahl: In der Tat: Diese Figur ist relativ weit von mir weg. Er ist ein Suffkopp, der frisst wie ein Berserker, morgens vier oder sechs Spiegeleier, er schluckt Pillen und benutzt viele Gewaltausdrücke. Aber in der rauen Schale steckt ein sanfter Kern. Es gibt viele solche Russen in Amerika, und beim sanften Kern sind wir wieder bei der Schönheit angelangt.

SZ: Die Sie ja zerstören wollen.

Mueller-Stahl: Ganz so kann ich es nicht sagen. Es ist eher so, dass ich die Schönheit der Natur, wie Sonnenuntergänge oder wunderschöne Frühlingslandschaften weitgehend auslasse. Die Natur ist so gewaltig und so schön, und das eins zu eins wiederzugeben, dafür habe ich nicht das Talent.

SZ: Für die Darstellung von Menschen aber schon?

Mueller-Stahl: Ja, weil ich auf Grund meiner Lebenserfahrung weiß, welch fragile Konstruktion der Mensch generell ist. Was wir alles tun müssen: Wir müssen schlafen, drei Mal am Tag essen, wir dürfen uns im Winter nicht anhusten lassen, müssen uns warm anziehen und dann kommen noch die privaten Sorgen, beruflicher Art und partnermäßig. Es ist ein unglaublicher Kampf, überhaupt zu überleben, und diese Kämpfe will ich in einem Gesicht sehen, weil sie jeder Mensch führt, ob schön oder nicht schön.

"Die Musik und die Malerei haben verwandte Seelen"

SZ: Sie zerstören die Schönheit und Sie malen Menschen statt Landschaften, ganz im Gegensatz zu Malern wie Nicoli Seroff. Trotzdem äußert dieser im Film Dinge, die Sie so ähnlich auch gesagt haben. Einmal doziert er: 'Die Farben sind wie die Tasten auf dem Klavier', während von Ihnen das Zitat stammt: 'Alle Kunst will Musik werden.'

Armin Mueller-Stahl

In den USA im Kino, nun in Deutschland auf DVD: "Die Farben des Herbstes".

(Foto: SUNFILM Entertainment)

Mueller-Stahl: Das ist richtig. Aber er meint damit etwas anderes als ich. Er meint damit die Ordnung in der Malerei. Er will damit sagen, die Farben müssen wie die Noten verteilt werden. Man muss sie blind finden können. Das heißt, das ist ein technischer Vorgang, es geht um Ordnung. Da beginnt wieder die Schönheit, da ist wieder der sanfte Kern Seroffs da.

SZ: Die Musik dient Seroff also als Ordnungsfaktor. Und wie hilft sie Ihnen?

Mueller-Stahl: Mir geht es um die Freiheit, die man in der Kunst hat. Die einzigen Momente, in denen ich wirklich fliegen kann, sind, wenn ich im Atelier male. Die Musik und die Malerei haben verwandte Seelen, sie helfen sich gegenseitig, Grenzen zu überschreiten. Damit meine ich aber nicht verkitschte Natur und Schnulzengedöns.

SZ: Spiegelt die vehemente Ablehnung von abstakter Kunst, die Seroff in dem Film vertritt, Ihre Auffassung von Kunst wider? In einem Interview haben Sie einmal gesagt: 'Wenn ein Künstler blutige Tampons zusammenfügt und teuer verkauft, liegt etwas schief.'

Mueller-Stahl: Ja, das ist wahr. Das habe ich im Lacma-Museum in Los Angeles erlebt. Ich fand das scheußlich und widerwärtig, denn nicht der Künstler verkauft das, sondern die Leute, die an ihm verdienen wollen. Da werden Namen aufgebaut, mit denen man verkaufen kann. Und an diesen Verkäufen verdienen dann viele Leute. Infolgedessen werden die Preise immer höher geschraubt. Das hat tatsächlich aber nichts mit Kunst zu tun. Das hat mit Marketing und dem Talent der Verkäufer zu tun.

SZ: Ohne Zweifel explodieren auf dem Kunstmarkt die Preise. Zu Unrecht?

Mueller-Stahl: Wenn es tatsächlich um Kunst geht, können hohe Preise gerechtfertigt sein. Aber neulich habe ich ein Bild gesehen, da zeichnet einer mit dem Bleistift Kreise, einfach Kreise, nach links rum und nach rechts rum. Zehn Millionen Dollar kostet dieses Bild, einfach weil da ein Name kreiert worden ist. Da fasse ich mich doch an den Kopf. Mein Inneres ist nicht berührt, wie Kaffeesatz bleibt das liegen. Was soll das? Es hat nichts mit Kunst zu tun. Es hat auch nichts mit Schönheit oder Hässlichkeit zu tun.

SZ: Ist Ihre Aversion gegen blutige Tampons im Museum oder Bleistiftkreise als generelle Ablehnung von abstrakter Kunst zu verstehen?

Mueller-Stahl: Nein, überhaupt nicht. Der Strich macht meistens Kunst konkret und die Farben machen die Kunst häufig abstrakt, jedenfalls bei mir. Ich nenne das immer den organisierten Zufall. Das merken Sie, wenn Sie viel Wasser bei Wasserfarben und auch bei Acryl benutzen. Dann laufen die Farben ineinander und haben plötzlich ihr Eigenleben. Und Sie sind überrascht, was da geschieht und sagen: 'Das habe ich nicht gewusst, aber es ist eigentlich viel schöner als das, was ich gewollt hatte." Die Kraft des Zufalls spielt häufig - nicht immer - eine Rolle.

SZ: Eine gewisse Gegenständlichkeit ist Ihren Werken trotzdem zu eigen. Sie malen nicht völlig realistisch, aber vollkommene Abstraktion gibt es bei Ihnen auch nicht.

Mueller-Stahl: Das ist in der Regel auch nicht meine Absicht. Obwohl es einige Sachen gibt, die meinem Können entsprechend, glaube ich, gelungen und abstrakt geworden sind. Generell ist aber die Abstraktion, die nur Dekoration ist, nicht mein Bier.

SZ: In welcher Preislage ist ein "Mueller-Stahl" zu bekommen?

Mueller-Stahl: Darum kümmere ich mich nicht. Ich habe die Preislisten nicht da, ich schwöre es Ihnen. Das macht bei mir der Galerist. Einer wollte da gleich ganz hoch ran, doch zu dem habe ich gesagt: 'Lass mal. Ich habe ja das erste Mal mit siebzig überhaupt erst ausgestellt.' Aber es nimmt zu. Die Leute kaufen jetzt mehr, und darüber freue ich mich natürlich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: