Traditionelle Betriebe statt Massenware:Der Bäcker von nebenan

Hauptsache billig lautet das Modell vieler Großbäckereien. Doch es gibt auch heute noch Betriebe, die Brezen und Semmeln von Hand herstellen. Die SZ stellt Münchner Bäckereien vor, in denen der Meister oder die Meisterin noch selbst in der Backstube steht.

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Brot und Semmeln aus der Bäckerei Artur Herrmann in München, 2012

Quelle: Stephan Rumpf

Im Jahr 1953 nahm Hans Müller die erste vollautomatische Semmelbackanlage der Welt in Betrieb und revolutionierte das Backhandwerk. Heute sind industriell hergestellte Teigwaren die Norm. Seit ein paar Jahren entstehen überall Backshops, in denen sich Kunden selbst bedienen. Das Modell: Hauptsache billig; wo und wie die Waren gebacken werden, interessiert oft nicht. Doch es gibt auch heute noch Betriebe, die Brezen und Semmeln von Hand herstellen, und Verbraucher, die bereit sind, dafür einen höheren Preis zu zahlen. Eine Auswahl von Bäckereien, in denen der Meister oder die Meisterin noch in der Backstube steht.

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Traditionelle Betriebe statt Massenware:Es ist Liebe

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Quelle: Stephan Rumpf

Gelassenheit scheint eine der Stärken von Bäckermeister Heinz Hoffmann zu sein. Wenn einer sein Handwerk versteht und einen Betrieb in der vierten Generation leitet, kann man wohl auch mit einem gewissen Selbstbewusstsein auftreten. Vor allem, wenn einem die Stammkunden jeden Tag bestätigen, dass sie sich ihre Semmeln und Brezen etwas kosten lassen - trotz der Billigangebote im Backshop.Hoffmann's Jahreszeitenbäckerei am Willibaldplatz in Laim ist mehr als ein Laden; die Leute sitzen hier im hübsch dekorierten Café, man trifft sich bei Latte Macchiato, Krapfen und Kuchen. Umsatz macht der 51-Jährige auch als Lieferant für Krankenhäuser und Altenheime in München - wichtige Aufträge für einen Familienbetrieb. 3000 Semmeln, 500 Vollkornsemmeln, 800 Brezen werden täglich in der Backstube produziert, und es ist eigentlich fast immer was los: Nachts um zwei bereiten die Gesellen und Lehrlinge den Teig vor, abends um halb sieben wird der Laden aufgeräumt und mehrfach am Tag sauber gemacht. Die regelmäßigen Eigen- und Fremdkontrollen, die strenge Dokumentation der Kühlvorgänge, die regelmäßige Schädlingsbekämpfung, das alles sei doch selbstverständlich, sagt Hoffmann.

Zur Krise bei Müller Brot will sich Hoffmann, der seit zwölf Jahren Obermeister der Münchner Bäckerinnung ist, nicht äußern. Aber vielleicht sei die Krise des Großproduzenten eine Chance: "Die Kunden stimmen immer mit den Füßen ab. Vielleicht spüren sie jetzt den Wert guter Arbeit - und wie wichtig es ist, dass die Dinge mit viel Liebe und fachlichem Können hergestellt werden." In der Bäckerei Hoffmann sieht man jedenfalls kein Nachwuchsproblem: Sohn Michael ist gerade in der Ausbildung, er soll das seit 1901 bestehende Geschäft irgendwann übernehmen.

Text: Christian Mayer

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Traditionelle Betriebe statt Massenware:Genießer und Entdecker

Bäcker Markus Schmidt , München, Carmen Wolf

Quelle: Carmen Wolf

Wenn Markus Schmidt mit dem Auto in den Urlaub fährt, hat er durchaus mal sein eigenes Brot dabei. Schmeckt eben doch am besten, vor allem wenn man selbst Bäcker ist. Und doch gehen er und seine Frau Sonja an keinem Bäckerladen vorbei, ohne sich das Sortiment anzuschauen. "Wir essen uns gerne durch", sagt er. Die ein oder andere Idee für die eigenen Produkte ist ihm dabei schon eingefallen. Seit 2004 ist der 38-Jährige Inhaber der Brotmanufaktur, einem Münchner Familienbetrieb mit Tradition. Seit 1870 gibt es ihn. Zuerst in der Mathildenstraße, von 1945 an in der Steinstraße.

Für Schmidt war immer klar, dass er das Unternehmen einmal übernehmen wird. Er besuchte das Gymnasium, wollte nach der neunten Klasse eine Lehre machen. Die Eltern aber verboten es. Erst zwei Jahre später setzte der Junior seinen Kopf durch. Mittlerweile aber hat er das Abitur nachgeholt. Fertige Backmischungen findet man in der Brotmanufaktur nicht. "Bei uns sieht keine Breze gleich aus", sagt Schmidt. Deren Herstellung hat sich verändert. Die klassische bayerische Breze sei heute kaum noch gefragt. Sie sei an allen Stellen gleich dick und sehr kross gebacken. ,,Der Kunde heute bevorzugt eine Semmel in Brezenform'', erklärt Schmidt. Schwäbische Breze nennt der Profi die weichere Variante.

Wer in der Brotmanufaktur einkauft, kann solche Dinge erfahren. Welche Vorteile das handgemachte Brot denn im Vergleich zu Billigprodukten hat? Schon allein ökologisch gesehen, antwortet Schmidt, hätten seine Backwaren eine bessere CO2-Bilanz, weil sie eben nicht als Teiglinge durch halb Europa gekarrt werden. Alle Zutaten sind frisch. Daher traut Schmidt sich auch zu wetten: "Unsere Semmeln schmecken auch am nächsten Tag noch."

Text: Melanie Staudinger

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Traditionelle Betriebe statt Massenware:Die Brot-Patin

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Anstrengend sei der Job schon, sagt Mona Feckl, aber trotzdem möchte sie mit keinem tauschen. Die 24-Jährige ist eine der wenigen Frauen, die sich in den Bäckerberuf gewagt haben. In einer Männerdomäne zu arbeiten, macht ihr nichts aus. Im Gegenteil: Feckl schwärmt davon, wie lustig es in der Backstube zugehe. Gezicke: Fehlanzeige. "Es gibt eigentlich nichts Besseres, als mit Männern zusammenzuarbeiten", sagt sie. Sofort aber fügt sie hinzu: "Im Allgemeinen, meine ich." Gerade macht sie im Café Widmann in Großhadern eine zweite Ausbildung zur Konditorin. Hier sind natürlich mehr Frauen beschäftigt, "und mit den Mädels klappt es auch super".

Die Bäcker- und Konditorausbildung sind für die junge Frau die idealen Voraussetzungen, um später einmal einen eigenen Betrieb zu führen. Wahrscheinlich wird sie die elterliche Bäckerei "Silbernagel" in Sankt Wolfgang (Landkreis Erding) übernehmen. Damals, in der Schule, haben sich sicherlich einige Klassenkameraden über diesen Plan gewundert. Feckl machte Abitur. Als Einzige ihres Jahrgangs entschied sie sich für einen Handwerksberuf, die meisten anderen studierten lieber. Wenn ihre Bekannten abends weggingen, lag sie schon im Bett. Während der Ausbildung in der Bäckerei Hoffmann in Laim musste Feckl um ein Uhr morgens aufstehen. "Man gewöhnt sich daran", sagt sie. Ihr Engagement hat sich gelohnt. Vor drei Jahren gewann die junge Bäckerin den bayerischen Landesentscheid im Leistungswettbewerb der deutschen Handwerksjugend in Straubing. Im Bundesentscheid belegte sie den dritten Platz. Die Bäcker-Innung weiß ihr weibliches Aushängeschild übrigens zu schätzen. Als die Vereinigung ihr 125-jähriges Bestehen feierte, war Mona Feckl Patin des Münchner-Kindl-Brots, das eigens zu diesem Jubiläum entworfen wurde.

Text: Melanie Staudinger

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Traditionelle Betriebe statt Massenware:Meister Blogger

Martin Schönleben

Quelle: Günther Reger

Krapfen gibt es bei Martin Schönleben nur bis Faschingsdienstag. Am Aschermittwoch backt er traditionell nur noch Apfelkücherl, dann wird die Fettpfanne weggestellt bis Kirchweih. So wolle es der Brauch, sagt der Bäcker und Konditor aus Puchheim im Landkreis Fürstenfeldbruck. Der 49-Jährige kann sich nicht vorstellen, das ganze Jahr über das Saisongepäck anzubieten. "Dann müsste ich es so machen, wie es alle machen, und das will ich nicht."

Geschmack ist für Martin Schönleben alles. Deshalb verzichtet er auch auf vorgefertigte Backmischungen. Und er probiert immer wieder Neues aus. Vor ein paar Jahren hat er sich dazu sogar mit seinen Nachbarn in der Lagerstraße von Puchheim, dem Metzgermeister und einem Restaurantbesitzer zusammengetan und die ,,Puchheimer Bärlauchtage'' erfunden. "Keiner konnte sich vorstellen, wie das zusammengeht, doch alle waren dann überrascht, was man alles machen kann", erinnert sich Schönleben.

Die Bärlauchtage haben sich gehalten und ziehen in Puchheim und Gröbenzell neue Kunden an, die Lust am Ausprobieren von handwerklichen Backprodukten ist geblieben. Dabei hält Schönleben, der einen Bäcker und eine Konditorin beschäftigt, drei Konditorlehrlinge ausbildet und vier Angestellte in seinem Laden stehen hat, mit seinem Wissen nicht hinterm Berg. Sein Backblog im Internet, sagt er, sei unter den 100 besten Kochblogs Deutschlands auf Platz 45. Seine Homepage hat Schönleben mit seinem Berufsmotto überschrieben: "Ich backe anders." Der Handwerksmeister, der keinen Filialbetrieb hat und auch nicht ausliefert, weiß, dass er mit dieser Haltung mittlerweile ziemlich allein ist. Und dass er dadurch auch Kunden verliert. Nämlich die enttäuschten Krapfenliebhaber zwischen Aschermittwoch und Kirchweih.

Text: Erich C. Setzwein

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Traditionelle Betriebe statt Massenware:Der Mann im Keller

Bäcker Ludwig Neulinger , München, Carmen Wolf

Quelle: Carmen Wolf

Wer die Backstube von Ludwig Neulinger besuchen will, muss zuerst einige Stufen nach unten steigen. Der 50-Jährige hat eine Kellerbäckerei. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie wichtig: Die Stadt war ausgebombt, die Betriebe im Untergrund aber gab es noch. Sie stellten die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung sicher, wie Neulinger sagt. Er hat seine Bäckerei in der Volkartstraße in Neuhausen vor elf Jahren übernommen, von einem Kollegen, der nach 40 Jahren aufhörte. Neulinger stammt aus einer niederbayerischen Bäckerfamilie. "Meine Mama wollte, dass ich Akademiker werde." Doch dazu kam es nicht. Dafür arbeite er zu gerne mit seinen Händen. "Wenn ich nicht Bäcker geworden wäre, dann vielleicht Schreiner."

Mittlerweile hat Neulinger zwei weitere Filialen mit insgesamt 40 Angestellten. Viel Prunk ist in seinen Läden nicht zu erwarten - das ist Absicht. "Wir sind eine simple traditionelle Bäckerei", sagt er. Neulinger bietet keine Phantasieprodukte an, er wirbt nicht mit bunten Hochglanzbroschüren. Dafür hat er alle Rezepturen selbst entwickelt. "Die Produkte, die wir anbieten, essen auch wir gerne", sagt er. Diese Einstellung führt der 50-Jährige auf ein Erlebnis aus seiner Schulzeit zurück: Während eines Wandertags ist seine Klasse an einem Bauernhof vorbeigekommen. Der Landwirt musste einen Stier notschlachten, selbst essen aber wollte er ihn nicht. "Er meinte, dass er sein Fleisch anders herzüchten würde. So etwas würde ich nie tun", sagt Neulinger. Er wünscht sich, dass sich wieder mehr junge Menschen für das Bäckerhandwerk entscheiden. Das, glaubt Neulinger, würde Abwechslung und Außergewöhnliches in einen Beruf bringen, der derzeit leider im Bild der Öffentlichkeit eher von der großen Monokultur der Backshops und Discounter geprägt werde.

Text: Melanie Staudinger

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Traditionelle Betriebe statt Massenware:Geduldiger Kunsthandwerker

Gut Kerschlach, Bäckerei Kasprowicz

Quelle: Georgine Treybal

Der Chef greift in einen Trog und hebt eine seidig-luftige Teigmasse hoch: "Ganz weich, das geht nur in Handarbeit", sagt Fritz Kasprowicz mit leuchtenden Augen, "unser Wurzelbrotteig wird 18 Stunden geführt." Diese spezielle, ganz im Sinne von Slow Food gepflegte "Langzeitführung" lässt er den meisten Backwaren angedeihen: Sie müssen im Kühllager reifen und ruhen, bevor sie in den Ofen kommen. Wer sich vom lebhaften 59-Jährigen durch seine hochmoderne Backstube führen lässt, spürt die Begeisterung, mit der er sein Handwerk ausübt. "Man braucht halt schon Leidenschaft dafür, denn vom Sozialen her ist es ja ein harter Job", sagt er mit leichtem steirischem Akzent.

Ein holzbefeuerter Gueulard-Steinofen war für Kasprowicz der Grund, weshalb er 2007 die Biobäckerei im Hofgut Kerschlach östlich des Ammersees übernahm. 2010 richtete er die Hauptproduktionsstätte im Gut ein. Seitdem hat sich der 1981 in Inning am Ammersee gegründete Familienbetrieb recht rasch entwickelt. Demnächst wird die 14. Verkaufsstelle zwischen Landsberg, Starnberg und Weilheim eröffnet. Vier weitere Läden hat er nach dem Müller-Skandal angeboten bekommen, Kasprowicz lehnte ab: Die Grenzen des Wachstums seien erreicht, wenn er an der Qualität seiner Waren keine Abstriche hinnehmen will. 43 Semmelsorten und 37 Brotarten bietet er an. Nicht nur Aussehen, Geruch und Geschmack seiner Produkte bestätigen, dass Kasprowicz ein Vorzeigebetrieb des mittelständigen Backkunsthandwerks ist.

Ein Institut zeichnete ihn als Fünf-Sterne-Bäckerei aus - was nur fünf Prozent der rund 30.000 geprüften Läden erreichten. Als ein Fernsehteam einen Werbefilm für das deutsche Bäckereiwesen drehen sollte, fiel die Wahl auf Kerschlach. Am stolzesten ist Kasprowicz aber auf die Urkunde, die im Café neben der Backstube hängt: der Staatsehrenpreis, den Sohn Julian 2010 als Bayerns Bester der Zunft erhielt.

Text: Armin Greune

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Traditionelle Betriebe statt Massenware:Vorreiter des Bio-Trends

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Quelle: npj

Eine Mehlstauballergie, möchte man meinen, sei das Dümmste, das einem Bäcker passieren kann. Für Thomas Polz war es vielleicht ein Glücksfall. Denn wer weiß, ob der Ampermochinger sonst einer der ersten Biobäcker der Region geworden wäre? Ein Bäcker, der heute 20 Mitarbeiter in der Backstube beschäftigt, der fünf Verkaufsstellen im Landkreis Dachau betreibt und dessen Produkte von der Laugenbreze über Ciabatta bis zum Roggen-Walnuss-Kürbisbrot in Reformhäusern, Biomärkten und Naturkostläden zu kaufen sind.

Als Thomas Polz eine Mehlstauballergie bekommt, ist er Mitte 20. An einen Berufswechsel denkt er gar nicht. "Für mich ist nie was anderes in Frage gekommen als Bäcker", sagt er; der Vater war schon Bäcker. Seine Heilpraktikerin empfiehlt dem Allergiker, gesundes Bio-Brot zu essen. Es ist das Jahr 1979, als Bio noch als esoterische Spinnerei gilt, sich die Grünen gerade erst zur Partei sammelten. Polz bäckt sich selbst Bio-Brot, sein Vater bekommt einen Wutanfall. Im Ort sagen sie alle: "Du hast einen Vogel!" Thomas Polz ist vor allem ein guter Bäcker: 2010 erhielt sein Betrieb den Staatsehrenpreises für dauerhaft hervorragende Ergebnisse bei den Qualitätsprüfungen des Bayerischen Bäckerhandwerks. Eine hohe Auszeichnung, gerade für eine Biobäckerei. "Die anderen Betriebe können beim Mehl mit Enzymen mankeln und nachfrisieren", sagt Polz. "Das können wir nicht." Und er will es vermutlich auch gar nicht. Ehrensache.

Polz ist ein freundlicher Mensch, der jeden grüßt. Es kommen viele vorbei: Seine Bäckerei in Ampermoching ist auch der Tante-Emma-Laden im kleinen Ort. Im Kühlregal gibt es Coca Cola und Bionade. "Jeder, wie er's mag", sagt er. Für ihn selbst ist Bio das Beste. Es ist die schützende Nische, in dem sein Betrieb überleben konnte und wachsen. Sein Sohn, eigentlich Steuerfachgehilfe, lernt jetzt Bäcker.

Text: Gregor Schiegl

© Süddeutsche.de/sonn
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