"Captive" und "Metéora" bei der Berlinale 2012:Vom zerstörerischen Clash der Kulturen

Diese Filme im Berlinale-Wettbewerb sind mit ihrem Plot nicht zimperlich: Im philippinischen Geiseldrama "Captive" werden europäische Geiseln in den Dschungel verschleppt und vergewaltigt. Das griechische Drama "Metéora" zielt mit der Liebe zwischen einem Mönch und einer Nonne ins Perverse.

Fritz Göttler

Noch einmal der 11. September im Berlinale-Wettbewerb, der in Stephen Daldrys Film "Extremely Loud and Incredibly Close" von einem Buben verarbeitet werden musste, dessen Vater in den Twin Towers sein Leben verlor. In "Captive" von Brillante Mendoza kommt die Nachricht von dem Terrorangriff in New York aus einem Kofferradio im philippinischen Dschungel.

Berlinale 2012 - 'Captive'

Müde, somnambul: Isabelle Huppert st eine der entführten Geiseln in "Captive".

(Foto: dpa)

Kämpfer der Terrorgruppe Abu Sajaf hatten auf der Insel Palawan eine Reihe von Touristen und Missionarinnen gekidnappt und für Monate in den Dschungel verschleppt - bis Lösegeld für sie gezahlt wird. Die Gefangenen - christlich, westlich orientiert, familiär gebunden, also: immer noch kolonisatorisch - sind bestürzt über die Schreckensnachricht.

Die Entführer - muslimisch, philippinisch, jung und einzelgängerisch, ihre Familien haben sie verloren - brüllen euphorisch ihr wildes "Allahu akbar" und recken ihre Waffen hoch. Dann vergewaltigen sie einige der Frauen. Heirat nicht ausgeschlossen.

Von Gesellschaften im Verfall erzählt Brillante Mendoza, der in Cannes zum internationalen Regiestar geworden ist, vom zerstörerischen Clash der Kulturen - und was aus solcher Zerstörung an produktiven Momenten hervorgehen könnte. Die Filme sind nicht zimperlich, aber im Vergleich zum Beispiel mit dem depressiven "Kinatay", über den Mord an einem Nuttenmädel in Manila durch eine miese kleine Gangstergruppe - ist "Captive" eher zurückhaltend.

Revolutionäres Gehabe überlagert sich mit fad gewordenen bürgerlichen Ritualen. Isabelle Huppert ist eine der Geiseln, sehr schön in ihrer Müdigkeit, und ihre Stimme scheint, wenn sie mal zum Sprechen ansetzt, sich vom Körper gelöst zu haben.

Es gibt schöne Momente des Zusammenseins, die rein utopisch sind und nicht dauern können. Ein paar Tage in einer Schule im Dschungel, wo die Europäer etwas rasten können und den Kindern dafür Unterricht geben. Die Beerdigung einer alten Frau, die eigentlich keinen Lösegeldwert hat - aber nun geschieht das Unmögliche, und muslimische Krieger beerdigen die tote Christin.

Der Ariadne-Faden ist zu kurz

Religionskonflikte, Blockbildung gibt es auch in "Metéora", dem Beitrag aus Griechenland, von Spiros Stathoulopoulos, der in einer wilden Berglandschaft spielt, zwischen zwei Felsenklöstern. Eine merkwürdig statische Feier der Natur, von allen aktuellen politischen und ökonomischen Konflikten des Landes unberührt.

Eine Liebe zwischen zwei Nachbarn, einem Mönch und einer Nonne, die sich an antiken Modellen orientiert und ins Perverse zielt. Ein Animationsfilm, stilisiert wie eine psychoanalytische Traumfabel, treibt zwischendrin den Bildern den Rest von Unschuld aus. Einmal kriegt da der Mönch von der Nonne das Ariadne-Knäuel und begibt sich ins Labyrinth. Aber der Faden ist zu kurz.

Im Zentrum des Labyrinths, am Minotaurus-Ort, sieht er einen Mann ans Kreuz gebunden. Als er dem zwei Nägel in die Hände einschlägt, fängt Blut zu sprudeln an, es wird zum Strom, der durch die Gänge des Labyrinths schwappt und hinaus in die Welt. Und schon ist auch eine Ahnung der Schrecken der Gegenwart wieder da, des Untergangs.

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