Gedenken an Opfer der Zwickauer Neonazis:Ein Wunsch, der Ängste weckt

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Halit Yozgat wurde von den Zwickauer Neonazis in der Holländischen Straße in Kassel erschossen - dort, wo er auch zur Welt gekommen war. Sein Vater wünscht sich nun, dass diese Straße nach seinem Sohn benannt wird. Die Stadt Kassel zögert. Manche fürchten den Aufwand, andere die Vorurteile ihrer Mitbürger.

Marc Widmann

Eine Straße, benannt nach einem Vornamen, das wäre eigentlich nichts Neues im Norden von Kassel. Die Heinrichstraße gibt es da, die Moritz- und auch die Ludwigstraße: traditionsreiche deutsche Namen. Und bald auch eine Halit-Straße? Für Halit, den Ewigen, wie es ursprünglich im Arabischen heißt?

Ismail Yozgat, der Vater eines Opfers der Mordserie der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund", spricht bei der zentralen Gedenkveranstaltung für die Opfer der Terrorzelle. Er wünscht sich, dass eine Straße nach seinem Sohn Halit benannt wird. (Foto: dapd)

Halit Yozgat war das neunte Mordopfer der Zwickauer Terrorzelle, umgebracht - nein: hingerichtet am 6. April 2006 mit zwei Kopfschüssen hinter dem Tresen des Tele-Internetcafés in der Holländischen Straße in Kassel. Geboren 21 Jahre zuvor ebenfalls in der Holländischen Straße.

Sein Vater Ismail rührte am Donnerstag auf der großen Berliner Gedenkfeier viele zu Tränen. Er wolle kein Geld, sagte der VW-Arbeiter, er habe nur drei Wünsche: Dass man die Mörder und Hintermänner fasst. Dass man einen Preis auslobt im Gedenken an die Opfer. Und "dass die Holländische Straße nach ihm benannt wird: Halit-Straße".

In Kassels Kneipen wird diskutiert

Seither diskutieren sie in Kassel. Abends in den Kneipen, da wurde es an manchen Tischen etwas lauter. Und tagsüber rufen Reporter im Rathaus an, wo man sich ein bisschen windet bei dem Thema und vorsichtig bleibt. Schließlich ist die Holländische Straße nicht irgendeine in der 195.000-Einwohner-Stadt. Sie ist eine der zentralen Verkehrsadern, vierspurig, kilometerlang, sie gibt einem ganzen Stadtteil ihren Namen, den sie Nord-Holland nennen. Einem Stadtteil, wo heute viele Migranten und Studenten wohnen, aber auch viele Firmen sitzen.

"Das wird ein ganz schwieriger Diskurs", sagt Jürgen Kaiser, Sozialdemokrat und Bürgermeister. Er stellt erst einmal klar, dass er den Vorstoß des Vaters für sehr unterstützenswert hält, grundsätzlich. Nur wie man Halits am besten gedenkt, darüber müssten sie sich alle in Ruhe unterhalten, Politiker, Familie, Ausländerbeirat. Die Straße? Ja, das würde er auch unterstützen - falls alle zu dem Ergebnis kommen, dass der Aufwand angemessen sei.

Aber er selbst hat da eine andere Idee: "Vom persönlichen Gefühl wünsche ich mir einen Ort, an dem ich auch innehalten kann, also eine Stele oder einen Gedenkstein - das ist eventuell besser als eine Straße, wo man nur durchrast."

Ein Gedenkstein wäre weniger kompliziert

Vor allem wäre es weniger kompliziert. In Kassel haben sie schon 150 Vorschläge für neue Straßennamen gesammelt, aber nur sehr wenige Straßen tatsächlich umbenannt. So ein Verwaltungsakt kann nämlich eine langwierige Sache sein: Erst prüfen Vermessungsbehörde und Stadtarchiv. Dann muss der Magistrat einen Vorschlag beschließen, den der Ortsbeirat annimmt. Jeder Anwohner bekommt schließlich einen Bescheid über die neue Adresse - und kann widersprechen oder gar klagen.

An der Holländischen Straße gibt es 178 Anwohner mit eigener Hausnummer. Einer von ihnen, ein Geschäftsmann, fragt sich am Freitag schon mal, ob er bald neues Briefpapier bestellen muss für viel Geld. Erfreut klingt er nicht.

Jahrelanger Streit, das Aufflammen plumper Ressentiments gar, davor haben sie Angst in Kassel. Der CDU-Fraktionschef bringt schon mal den nahen Uni-Campus als Gedenkort ins Spiel. Oder doch einen Platz an der Fulda? Seit 2009 erinnert dort das "Hiroshima-Ufer" an eine andere Tragödie.

© SZ vom 25.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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