Bemannte Raumfahrt:Houston, wir müssen mal

Wann immer Astronauten öffentlich auftreten - irgendjemand fragt mit Sicherheit nach ganz bestimmten Bedürfnissen im All. Denn auch Raumfahrer brauchen eine Toilette. Die US-Wissenschaftsautorin Mary Roach hat eine höchst menschliche Geschichte der bemannten Raumfahrt geschrieben.

Alexander Stirn

Die Toilette, letztlich ist es immer die Toilette: Raumfahrer können noch so tolle Taten vollbringen. Sie können neue Welten erkunden, sie können die Rätsel der Astronomie lösen, sie können beeindruckende Fotos schießen. Doch sobald sie öffentlich auftreten, dreht sich eine der ersten Fragen - egal ob von kichernden Kindern oder leicht verschämten Erwachsenen - stets um die menschlichen Bedürfnisse im All.

Die Faszination fürs Fäkale ist groß, mitunter sogar skurril: Wenn die Toilette auf der Internationalen Raumstation ISS mal wieder defekt ist, nimmt die ganze Welt Anteil. Nachrichtenagenturen verschicken Eilmeldungen, Zeitungskorrespondenten werden nachts herausgeklingelt, das Fernsehen würde am liebsten live ins Weltraum-WC schalten. Es ist die größte anzunehmende Unpässlichkeit.

Höchste Zeit also, dass sich jemand dieser weniger glamourösen Aspekte der Raumfahrt annimmt. Die amerikanische Wissenschaftsautorin Mary Roach hat sich nun erbarmt. Ihr Buch, das dieser Tage auf Deutsch erscheint, trägt den unmissverständlichen Titel "Was macht der Astronaut, wenn er mal muss?" Mit viel Witz und einem scharfen Blick fürs Absurde durchkämmt Roach die Abgründe, für die kein Platz in den Hochglanz-Broschüren der Raumfahrtagenturen ist.

Detailliert widmet sie sich dabei den menschlichen Körperfunktionen und ihrem fortwährenden Kampf mit der Schwerelosigkeit. Sie beschreibt aber auch die Auswahl und das Training von Astronauten, und sie geht - aus einer sehr persönlichen Perspektive - den Fragen nach Essen, Hygiene und, natürlich, Sex im Weltall nach.

Zwei Jahre lang hat Roach nach eigenen Angaben für ihr Buch recherchiert. Sie hat Raumfahrtzentren rund um die Welt besucht und ist dabei in parallele Galaxien vorgedrungen, die Nasa & Co. allzu gerne vor neugierigen Blicken verstecken. In eine Toilette auf dem Gelände des Johnson Space Centers der Nasa im texanischen Houston zum Beispiel: "Positionstrainer" steht dort auf einem kleinen Plastikschild neben dem WC. Und: "Setzen Sie sich auf den Trainingssitz und spreizen Sie das Gesäß." Es ist jener Ort, an dem angehende Astronauten, gestandene Männer und Frauen, die Besten ihrer Generation, noch mal lernen, aufs Töpfchen zu gehen.

Das klingt paradox - und folgt doch einer zwingenden Logik: Normale Toiletten haben eine Öffnung von etwa 45 Zentimetern. Weltraumtoiletten, wie sie jahrelang im amerikanischen Spaceshuttle verwendet wurden, bringen es nur auf zehn Zentimeter Durchmesser. Präzisionsarbeit ist angesagt, zumal ohne Schwerkraft das Gefühl für den korrekten Sitz fehlt: Die meisten Astronauten, erfährt Roach bei ihren Recherchen, landen zunächst zu weit hinten. Deshalb ist tief im Positionstrainer auch eine nach oben gerichtete Kamera verbaut, deren Bilder über einen Monitor neben dem Weltraum-WC flimmern. Sie eröffnen den Astronauten völlig neue Perspektiven.

Einbringung ohne Erdanziehung

Die zweite große Herausforderung, die selbst in Houston nicht simuliert werden kann, ist die Schwerelosigkeit. Ohne Erdanziehungskraft folgen die "Einbringungen", wie es die Ausscheidungsexperten formulieren, nicht dem gewohnten Weg. Vielmehr kringeln sie sich, als wären sie Orangenschalen - ein Effekt, den Toilettenforscher während vieler Missionen im Detail untersucht haben. Auch das "Abreißen", noch so ein Nasa-Fachbegriff, funktioniert in der Schwerelosigkeit nicht wie erhofft. Das Weltraum-WC arbeitet daher wie ein Industriestaubsauger, dessen Luftstrom die Aufgabe der Anziehungskraft übernimmt. Er sorgt für gute Abrisse und somit für saubere Geschäfte.

Apolli 10 Crew

"Wer war das?" Die Astronauten der Apollo-10-Mission: Eugene Cernan, Thomas Stafford und John Young (von links) umrundeten mit ihrem Raumschiff den Mond. Dabei entdeckten sie ein unangenehmes Flugobjekt im Inneren ihrer Kapsel. Woher es stammte, ließ sich nicht eindeutig klären - immerhin nahmen die Männer das Malheur mit Humor.

(Foto: Nasa)

Mary Roach, das macht die große Stärke ihres Buches aus, ist sich dabei nicht zu schade, tief in den unangenehmen Details zu stochern. So erfährt der Leser, dass das System alles andere als perfekt funktioniert. Mitunter kommt es demnach vor, dass die "Einbringungen" wie Popcorn im Luftstrom der Toilette tänzeln. Schließt der Astronaut just in jenem Moment den Schieber, der die Toilettenöffnung versiegeln soll, droht eine "Fäkal-Enthauptung", so der Nasa-Fachbegriff. Die Folge: Das Weltraum-WC wird an seiner Oberseite verschmutzt. Einer der Toiletteningenieure meint dazu: "Das wird ihnen stinken."

Roach, eine gelernte Psychologin, liebt es, die bizarren, mitunter peinlichen Aspekte der menschlichen Existenz auszuloten. In ihren anderen Büchern hat sie bereits die wissenschaftlichen Abgründe der Pathologie und des Sex ergründet - präzise und erfrischend respektlos. Mit der gleichen Hingabe widmet sie sich nun der Raumfahrt, wobei ihr Buch keine große Geschichte erzählt, sondern eher eine Nummernrevue ist, eine Ansammlung von Anekdoten und Wissenshäppchen für die nächste Cocktailparty.

Dass es nicht komplett zerfällt, dafür sorgen Roachs Neugier und ihre plastischen Schilderungen aus der weiten Welt der Raumfahrt. In Japan beobachtet die Journalistin zum Beispiel, wie Astronautenkandidaten unter Zeitdruck tausend Origami-Kraniche falten müssen. Die Qualität der Faltkunst, vor allem aber deren Entwicklung im Laufe der Zeit, fließt in das psychologische Profil der potentiellen Raumfahrer ein.

In der Kantine des Ames-Forschungszentrums der Nasa im kalifornischen Mountain View trinkt sie zusammen mit ihrem Gesprächspartner Urin - gefiltert und entsalzt mit den gleichen Methoden wie auf der Internationalen Raumstation. Roachs Urteil: "Klar und süß, in Richtung Maissirup". Doch selbst dort, in den heiligen Hallen der Nasa, zieht sie die entsetzten Blicke der anderen Angestellten auf sich. "Eines der Dinge, die ich an der bemannten Erforschung des Weltraums liebe, ist, dass sie die Menschen zwingt, bestimmte Vorstellungen darüber zu überdenken und zu hinterfragen, was akzeptabel ist und was nicht", schreibt Mary Roach.

"Schwerelosigkeit ist wie Heroin"

Hoch über den USA fliegt sie mit dem amerikanischen "Kotzbomber", einem umgebauten Passagierjet, der auf parabelförmigen Flugbahnen unterwegs ist. Dabei herrscht 22 Sekunden lang Schwerelosigkeit - im Grunde die einzige Möglichkeit, diesen Zustand auf der Erde halbwegs vernünftig zu simulieren. Roach erklärt dabei im Detail, wie wichtig das Timing der Verdauung ist, wenn eine neu entwickelte Weltraumtoilette während dieser kurzen Phasen unter möglichst realistischen Bedingungen getestet werden soll. Sie hat Mitleid mit Passagieren, die nach wenigen Parabeln von der Raumkrankheit gepackt werden und mitsamt Kotztüte in ihren Sitzen festgeschnallt werden müssen (im Nasa-Jargon "Abschüsse" genannt). Und sie beschreibt ihre eigene Euphorie: "Schwerelosigkeit ist wie Heroin - oder wie ich mir vorstelle, dass Heroin sein muss."

Es ist vor allem Roachs hintergründiger, nur selten ins Pubertäre abgleitender Humor, der das Buch so lesenswert macht (und in der deutschen Übersetzung leider viel von seiner Kraft einbüßt). Und es sind die Schätze aus den Nasa-Archiven, aus den Anfängen der bemannten Raumfahrt, die die Journalistin ausgegraben hat.

Die Protokolle und Anekdoten beschreiben zum Beispiel erste Hygiene-Experimente, bei denen Probanden wochenlang in einem Raumanzug ausharren mussten. Sie umfassen Aufzeichnungen von Darmgeräuschen eines Astronauten oder sind - wie ein Transkript von Apollo 10, der Generalprobe für die erste Mondlandung - noch näher am eigentlichen Titel des Buches: Weltraumtoiletten waren im Jahr 1969, als sich die Apollo-Crew auf den Weg zum Mond machte, noch Science Fiction. Die Astronauten nutzten stattdessen Plastikbeutel mit einer anatomisch geformten Öffnung, die von selbst an ihrem Ziel klebte. Eine Ausstülpung für zwei Finger sollte zudem das "Abreißen" erleichtern.

Nach getaner Arbeit mussten die Astronauten ein keimtötendes Mittel mit ihren Fäkalien verkneten, nur so konnten sie Gärungsprozesse und Faulgase verhindern. Anschließend galt es, den Beutel sicher zu verschließen. Nicht immer klappte das reibungslos. Im Mai 1969 zum Beispiel, irgendwo in der Mondumlaufbahn, entwickelte sich zwischen den drei Apollo-Astronauten Thomas Stafford, Gene Cernan und John Young der folgende skurrile, gleichzeitig völlig entspannte Dialog:

Stafford: Wer war das? (Gelächter)

Cernan: Wo kommt das denn her?

Stafford: Gib mir eine Serviette, schnell. Hier schwebt ein Häufchen durch die Luft.

Young: Ich war's nicht. Das ist keines von meinen.

Cernan: Ich glaube nicht, dass es eines von meinen ist.

Stafford: Meines war ein bisschen klebriger als das hier.

Die Unterhaltung geht noch minutenlang weiter. Das Schöne an Mary Roachs Buch ist dabei: Sie lacht mit ihren Protagonisten, aber sie lacht nicht über sie. Sie nimmt ihnen das Heroische, macht sie im gleichen Atemzug aber zu Helden des Alltags. "Der Weltraum umfasst das Erhabene ebenso wie das Lächerliche", schreibt Mary Roach. "Und er lässt die Trennlinie zwischen beidem verschwinden."

Mary Roach: "Was macht der Astronaut, wenn er mal muss? Eine etwas andere Geschichte der Raumfahrt." Rowohlt Taschenbuch Verlag. März 2012.

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