Nachhaltige Ernährung:Sonntagsbraten für eine bessere Welt

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Jeden Tag Fleisch, saftige Tomaten das ganze Jahr über - Gedankenlosigkeit prägt unser Essverhalten. Dabei trägt dieses erheblich zur Not anderer Weltregionen bei. Ernährungswissenschaftler Karl von Koerber und Küchenchef Hubert Hohler haben ein Buch darüber geschrieben, wie man sich nachhaltig ernährt - ohne auf Genuss verzichten zu müssen.

Sophia Lindsey

Verbringt man nur eine halbe Stunde beim Einkauf im Supermarkt, sind in dieser Zeit mehrere hundert Menschen an den Folgen des Hungers gestorben. Im Laufe einer Sendezeit von Das perfekte Dinner sind es etwa tausend. Weltweit sind eine Milliarde Menschen von chronischer Unterernährung betroffen, täglich sterben deshalb etwa 25.000 Menschen. Somalische Kinder mit Wasserbäuchen und dürren Ärmchen starren aus traurigen Augen von Plakatwänden herab, eine Werbetafel weiter wirbt eine Fastfood-Kette für ihre neue Burger-Kreation. Diese Bilder stören oder schockieren kaum jemanden mehr - sie sind zur Kulisse unseres Alltags geworden.

Das Supermarktregal bietet schier unendlich viel Auswahl - doch nicht alles wurde ökologisch erzeugt und fair gehandelt. (Foto: Claus Schunk)

Hatten unsere Eltern also recht, wenn sie darauf drängten, den Teller leer zu essen, weil sich die hungernden Kinder in Afrika über eine so große Portion Spinat freuen würden? Schon damals klang das kaum plausibel. Wahr ist jedoch: Essen erfährt kaum mehr Wertschätzung. Fleisch gehört für die meisten zur täglichen Mahlzeit. Dass unser Essverhalten erheblich zu den Missständen in anderen Erdteilen beiträgt, weiß Ernährungsökologe Karl von Koerber. Gemeinsam mit Hubert Hohler, Küchenchef einer Fastenklinik am Bodensee, hat er das Buch Nachhaltig genießen verfasst - der Untertitel verspricht ein Rezeptbuch für unsere Zukunft. Eine kleine Auswahl der darin aufgebotenen Speisen: Kichererbsenküchle, Gefüllte Kalbsbrust, Fenchel-Zucchini-Lasagne und noch etwa 100 weitere. Laut den Autoren allesamt gesund und ökologisch - und damit nachhaltig.

Nachhaltigkeit: das Lieblingsschlagwort von Unternehmen, die besonders grün und zeitgemäß wirken möchten. In einem Bericht der UNESCO heißt es zur Klärung des Begriffs, der zu einer Worthülse zu werden droht: "Auf lange Sicht darf die Weltgemeinschaft nicht auf Kosten zukünftiger Generationen leben, dürfen einzelne Gesellschaften nicht zu Lasten der Menschen in anderen Regionen der Erde konsumieren."

Müssen wir Veganer werden, um die Welt zu retten?

Dabei ist die Erde in der Lage, genug Lebensmittel für alle zu produzieren. Das Problem: Der Verzehr von tierischen Produkten nimmt immer mehr zu, Pflanzliches wird zunehmend verschmäht. Doch es sollte genau andersherum sein. "Für die Herstellung von 1000 Kalorien in Form von Rindfleisch werden etwa 30 Quadratmeter Fläche benötigt, während dieselbe Kalorienanzahl in Form von Gemüse nur 1,7 Quadratmeter Fläche in Anspruch nimmt", erklärt Koerber. 15.000 Liter Wasser sind für die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch vonnöten - das entspricht etwa 75 vollen Badewannen. "Boden und Wasser sind knappe und kostbare Ressourcen", gibt der 56-Jährige zu bedenken.

Müssen wir also alle Veganer werden, um die Welt zu retten? Nein, erklärt Koerber, problematisch sei die betriebene Intensivtierhaltung. Denn für diese werden Futtermittel angebaut - auf etwa einem Drittel der weltweit vorhandenen Ackerflächen. "Würden auf diesen Äckern Getreide, Kartoffeln und Hülsenfrüchte angebaut und direkt für die menschliche Ernährung genutzt, stünde für die Sicherung der Welternährung erheblich mehr Nahrung zur Verfügung", heißt es im Rezeptbuch. Noch mehr Flächenkonkurrenz fände in Bezug auf andere Exportmittel wie Südfrüchte, Kaffee, Tabak oder Blumen statt. Denn: "Für Exportprodukte werden oft die besten Böden und die meiste Arbeitszeit verwendet."

Tierische Produkte dürfen keine billige Massenware sein

Ackerboden ist knapp, etwa 70 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ist Weideland. "Dieses sollte zur Erzeugung von Milch und Fleisch genutzt werden", erklärt Koerber. Wenn Wiederkäuer artgerecht behandelt würden und weiden dürften, würden sie nicht mehr mit den Menschen um Nahrung und Ackerfläche konkurrieren, aber trotzdem erheblich zur Nahrungsversorgung beitragen. Für den Ernährungswissenschaftler steht fest: Diese Art der Haltung ist nur möglich, wenn wir weniger Schnitzel, Wurst und Schinken essen. Höchstens ein bis zweimal Fleisch pro Woche, legt das Rezeptbuch nahe - das Luxusprodukt "Sonntagsbraten", das mit Liebe und Bedacht zubereitet und gegessen wird, muss aus Omas Erzählungen in die Küchen deutscher Haushalte zurückkehren. Und: "Auch wenn uns manche Kühltheke das Gegenteil suggeriert: Tierische Produkte sollten keine billige Massenware sein."

Abwechslung auf dem Teller bringt die wechselnde regionale und saisonale Auswahl. Die Nachhaltig genießen-Autoren empfehlen zudem, die Verwendung von Fertigprodukten zu reduzieren, da ihre Verarbeitung und aufwendige Verpackung hohe Mengen an Energie und Wasser verbrauchen. Überhaupt sei "ohne Bio alles nichts", findet Koerber. So enthält das Buch eine Erklärung zu den verschiedenen Bio-Logos und die Empfehlung, sich von Bauern sogenannte "Bio-Kisten" im Internet zu bestellen und direkt nach Hause liefern zu lassen. Doch Küchenchef Hohler weiß in Bezug auf die Forderung nach Regionalität um eine Kontroverse: Äpfel aus Argentinien zu importieren, sei häufig energiesparender als sie hier in Deutschland über Monate hinweg zu lagern.

Produkte aus Fairem Handel sind meist Ladenhüter

Dem Fairen Handel widmet Nachhaltig genießen ein eigenes Kapitel: Nicht nur um die Unterstützung der heimischen Bauern geht es dem Autorenteam, sondern auch um Hilfe für demokratische Bauern-Genossenschaften in Entwicklungsländern, die das Mehreinkommen für soziale Projekte, Fortbildungen, Gesundheitsvorsorge und Infrastruktur nutzen könnten. Darüber hinaus stärke der Faire Handel das Selbstbewusstsein der Produzenten und schließe ausbeuterische Formen der Kinderarbeit aus. Doch im Ladenregal würden Produkte aus Fairem Handel aufgrund des Preises meist liegen bleiben - "Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit" sollen dies ändern.

Weil aber niemand gerne den moralischen Zeigefinger auf sich gerichtet spürt und keiner diese Konzepte umsetzen würde, "wenn es nicht schmeckt", wollten Karl von Koerber und Küchenchef Hubert Hohler mit ihrem Buch eine "Brücke bauen zwischen den hohen Ansprüchen der Nachhaltigkeit und dem Genuss": Mit Rezepten für vergessene Gemüsesorten wie Chinakohl, rote Beete und Chicorée etwa, die laut des im Buch abgedruckten Saisonkalenders bei geringer Klimabelastung ganzjährig zur Verfügung stehen. Mit Tipps wie: "Öl ist das Parfüm des Essens" - deshalb sollte es erst zum Schluss beigefügt werden. Gemüse könne bei niedriger Temperatur auch im eigenen Saft anbraten. Oder auch: "Das genialste Süßungsmittel ist die frische Frucht", weshalb einem Quark lieber pürierte Birnen als Zucker beigemischt werden sollten.

Den oftmals exotisch klingenden, aber mit einfachen Zutaten zubereiteten Rezepten ("Linsenkroketten") merkt man zweierlei an: Die große Liebe zum Essen und die enorme Achtung vor seiner Herkunft - etwas, das der deutschen Gesellschaft irgendwann verloren gegangen zu sein scheint: Nur 14 Prozent ihres Einkommens geben die Deutschen im Durchschnitt für Nahrung aus, ein Viertel der Lebensmittel landet wieder auf dem Müll - weil das Mindesthaltbarkeitsdatum einen Tag zurück liegt oder weil die Banane braune Flecken hat.

Essen ist unser Schicksal

"Essen ist schicksalhaft", schreibt Karl-Ludwig Schweisfurth im Vorwort zu Nachhaltig genießen - der 81-jährige Unternehmer und frühere Besitzer des Fleischvertriebs Herta ist Gründer der Hermannsdorfer Landwerkstätten, die als Vorreiter auf dem Gebiet der ökologischen Lebensmittelerzeugung gelten. "Wir sind mit der intensiven Tierhaltung und automatisierten Verarbeitung von Tieren vom rechten Weg abgekommen", betont Schweisfurth. "Die Tiere der Reichen fressen das Brot der Armen", heißt es in seinem Vorwort weiter, und: "Gemeinsam mit den Tieren fressen wir die Erde kahl."

Seine Worte ändern nicht das Schicksal des somalischen Kindes mit dem Wasserbauch, dessen Bild am U-Bahn-Aufgang hängt. Wahrscheinlich ändern sie nicht mal den nächsten Gang zum Supermarkt und den Griff zur Napoli-Tütensoße. Doch Karl von Koerber ist überzeugt, dass sich etwas verbessern kann, "Schritt für Schritt". Denn unser Schicksal, schreibt Schweisfurth, "muss nicht unabwendbar sein."

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