Interview mit Wettexperte Declan Hill:"Schmeißt sie raus!"

Wettexperte Declan Hill über chinesische Wetter in deutschen Stadien, die Struktur der Wettmafia und alte Kontakte zum WM-Gruppengegner Ghana.

Interview: Thomas Hummel

Der Journalist Declan Hill aus Kanada hat im Jahr 2007 mit seinem Buch "Sichere Siege: Fußball und organisiertes Verbrechen oder wie Spiele manipuliert werden" die Fußballwelt aufgeschreckt. Seine Recherchen vor allem in Asien machten das Problem Wettmanipulationen im Fußball deutlich wie nie zuvor. Der neue Wettskandal bestätigt viele seiner Thesen.

Wettskandal dpa

Wann ist ein Tor ein ehrliches Tor? Der Wettskandal hat einiges aus den Fußballfugen gebracht.

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Hill, der neue Wettskandal im Fußball betrifft die zweite deutsche Liga, osteuropäische Ligen und erste Europapokal-Runden. Viele Menschen glauben aber weiterhin, dass die Bundesliga, die WM oder die Champions-League-Hauptrunde sicher sind.

Declan Hill: Sie liegen falsch. Wir haben eine Vielzahl von Beweisen und Indizien, dass etwa Fifa-Wettbewerbe betroffen sind. Funktionäre des ghanaischen Fußballverbands, ghanaische Spieler, die Asiatische Fußball Konföderation (AFC), Top-Schiedsrichter - sie alle sagen, dass Banden von Spielmanipulatoren mindestens seit 1991 bei großen Turnieren auftauchen.

sueddeutsche.de: Welche Beweise gibt es?

Hill: Bei der U-20-WM 1995 in Doha gingen zwei portugiesische Spieler durchs Hotel und eine Thailänderin fragte sie, ob sie mit aufs Zimmer kommen wollten. Dort wartete eine Gruppe von Spielmanipulatoren. Der Tisch war bedeckt mit 100-Dollar-Noten, in einer Ecke standen Spieler aus Kamerun. Als die Portugiesen das meldeten, wurde ermittelt. Die AFC bestätigte, dass mindestens vier Mannschaften angesprochen wurden.

sueddeutsche.de: Von welchen Turnieren wissen Sie außerdem von Betrügereien?

Hill: Wir sehen immer wieder die gleiche Gruppe, die sich an die gleichen Leute heranmacht. Sie nähern sich Teams, die wenig verdienen und beuten sie aus.

sueddeutsche.de: Sie berufen sich häufig auf Informationen aus dem Team von Ghana.

Hill: Mittelfeldspieler Stephen Appiah bestätigt, dass er auf all seinen Turnieren von Manipulatoren angesprochen wurde und bei Olympia 2004 für einen Sieg 20.000 US-Dollar angenommen hat. Der Präsident des ghanaischen Verbands bestätigt, dass viele Spieler bei Turnieren angesprochen werden. In der Berichterstattung spielt aber ein gewisser Rassismus mit.

sueddeutsche.de: Rassismus?

Hill: Stellen Sie sich vor, ein Präsident eines europäischen Verbands würde so etwas sagen. Es gäbe Schlagzeilen rund um den Globus. Sagt es ein Afrikaner, glaubt man, es ignorieren zu können.

sueddeutsche.de: Warum haben Fußball-Funktionäre so zurückhaltend reagiert? Auch die Öffentlichkeit weiß wenig davon.

Hill: Als ich das alles in meinem Buch geschrieben habe, reagierten etwa in Deutschland die Medien und die Öffentlichkeit mit einer psychologischen Verweigerung. Die Leute wollten nicht glauben, dass so etwas passiert. Und dann drehten sie die Geschichte um: Declan Hill hat keine Beweise, er will nur sein Buch verkaufen. Sie attackierten lieber mich, als das Problem zu untersuchen. Außerdem starteten die Fußballverbände eine Medienkampagne.

sueddeutsche.de: Auch die Fans haben das Problem ingnoriert.

Hill: Die Fans wollen es einfach nicht wahrhaben, dass Ergebnisse abgesprochen werden. Sie sagen: "Unsere Jungs machen so etwas nicht, die WM ist zu groß, es kann nicht wahr sein." Ich verstehe diese Reaktion.

sueddeutsche.de: Was können Sie uns über die Bundesliga berichten?

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Auch die Bundesliga betroffen?

Hill: Vielleicht haben die Leute heute recht, wenn sie sagen, dass nur Jugendspiele, die kroatische, die bosnische Liga und so weiter betroffen sind. Aber woher kommen die Spieler von morgen? Wenn Jugend- oder Zweitliga-Spiele manipuliert sind, dann werden in fünf Jahren Profis des FC Bayern womöglich aus solchen Mannschaften kommen. Und wenn jemand einmal Geld von Betrügern genommen hat, wird er nie wieder nein sagen.

Interview mit Wettexperte Declan Hill: Declan Hill, Journalist aus Kanada.

Declan Hill, Journalist aus Kanada.

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sueddeutsche.de: Wird sich durch den massiven Wettskandal etwas verändern?

Hill: Wir haben ein Zeitfenster für Veränderungen. Die Leute verstehen jetzt, was da los ist. Die Reaktionen der nationalen Fußballverbände bereiten mir allerdings Sorgen. Wieder versuchen sie vorzugeben, dass es sich nur um eine kriminelle Gruppe handelt. Aber da sind viele Gruppen, die Spiele manipulieren wollen. Und die Bedingungen für Korruption sind noch da.

sueddeutsche.de: Wie kann man die Bedingungen ändern?

Hill: Sehr einfach. Wenn Sie und ich drei Wochen lang den DFB führen dürften, würden wir das Spiel reinigen und Korruption für die nächste Generation verhindern.

sueddeutsche.de: Klingt interessant. Was also tun wir?

Hill: Erstens gründen wir im DFB eine Sicherheits-Einheit. Wir würden zwei, drei Ex-Polizisten nehmen, einen Wettexperten mit Kontakten zu asiatischen Buchmachern, weil dort das Geschäft läuft. Und zwei Fußball-Experten, die nicht aus dem Fußball-System kommen.

sueddeutsche.de: Sie vertrauen dem System nicht?

Hill: Nein. Zweitens richten wir eine unabhängige Hotline ein. Hier können sich Jugendspieler melden, wenn sie von einem Betrüger angeworben werden. Die Betrüger sind gut, sie versuchen, den Spieler von Mannschaft und Verein zu isolieren.

sueddeutsche.de: Schön und gut. Aber das größte Problem ist doch, dass viel Geld geboten wird.

Hill: Wenn Betrüger beispielsweise 10.000 Euro für ein Spiel bieten, müssen wir diese Summe für Fußballer so unattraktiv wie möglich machen. Für Zweitliga-Profis sind 10.000 Euro für 90 Minuten ja viel Geld. Folgendes könnten wir tun: Für jede Partie bekommen die Spieler zehn Euro für eine Kranken-Zusatzversicherung für sich und ihre Familien. In der zweiten Saison 20 Euro, in der dritten 30 Euro und so weiter. Erwischen wir jemanden beim Manipulieren, ist das Geld weg. Berichtet er einen Anwerbeversuch, verdoppeln wir sein Geld. Die Kicker würden nachdenken: Was passiert, wenn ich in ein paar Jahren wegen Krankheit oder Pflegefall viel Geld benötige?

sueddeutsche.de: Der DFB wird sagen, so etwas ist unmöglich, es kostet zu viel Geld.

Hill: Meine Antwort lautet: Bringt mich nicht zum Lachen! In der riesigen Wettindustrie wird sehr viel Geld gemacht mit deutschen Fußballspielen. Der DFB würde ein Prozent des Erlöses bekommen, um das Modell zu finanzieren. Der DFB garantiert den Buchmachern dafür ein ehrliches Spiel.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, die asiatischen Buchmacher machen da mit?

Hill: Nein. Aber das macht nichts. Die europäische Wettindustrie ist groß genug.

sueddeutsche.de: Können Polizei oder Klubs akut etwas unternehmen?

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Der Held des Declan Hill

Hill: Ich würde den asiatischen Wettspielern den Krieg erklären. Schmeißt sie aus euren Stadien! Schauen Sie sich um beim TSV 1860 München oder kleineren Klubs, und Sie werden die chinesischen Spieler sehen, die ihren Auftraggebern berichten.

sueddeutsche.de: Haben Sie das den europäischen Verbänden gesagt?

Hill: Jedem, der mich hören will. Einige Verbände haben mich einbezogen - der niederländische, der dänische und die Uefa. Der DFB aber hat mich nie kontaktiert. Ich würde sehr gerne mit DFB-Vertretern einen Kaffee trinken.

sueddeutsche.de: Wie ist die Struktur der Betrügergruppen? Ist es eine Art Mafia, zentral gesteuert in Hongkong oder Malaysia?

Hill: Es handelt sich um eine Gruppe unabhängiger Manipulatoren und Wettspieler, die manchmal miteinander kooperieren, manchmal konkurrieren. Viele kennen sich.

sueddeutsche.de: Die großen Spieler kommen aus Asien?

Hill: Es ist komplizierter. Wenn man mit Spielmanipulationen Geld verdienen will, steht man vor zwei Problemen: Erstens muss das Ergebnis manipuliert werden, also muss man an Spieler, Schiedsrichter und andere herankommen. Die asiatischen Wetter tun sich damit in Europa sehr schwer. Also suchen sie europäische Partner, korrupte Klub-Präsidenten, korrupte Berater, kriminelle Freunde von Fußballern. Das zweite Problem ist der Wettmarkt.

sueddeutsche.de: Weil die Buchmacher die Rechnung zahlen müssen.

Hill: Ja, Buchmacher sind nicht fair. Wenn ein Spieler viel Geld gewinnt, sperrt der Buchmacher einfach sein Konto. Spielmanipulatoren gewinnen sehr oft mit hohen Einsätzen. Das ist der Teil des Betrugs, in dem die Asiaten besser sind.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass nach der Veröffentlichung des Wettskandals die Betrüger nun pausieren?

Hill: Viel wird derzeit nicht manipuliert. Aber gegen Saisonende kaufen die Klubs selbst Spiele, um Abstiege zu verhindern. Außerdem sind die ersten Europapokal-Runden eine Einladung für Betrüger. Für die vielen Teams, die keine Chance haben, je die Champions League zu gewinnen, haben wir ein Sprichwort im Englischen: Eher überlebt ein Schneeball in der Hölle, als diese Teams im Wettbewerb. Es ist sehr einfach, sie zu überreden, für eine Zusatz-Prämie mit einem bestimmten Ergebnis zu verlieren.

sueddeutsche.de: Wie bewerten Sie die aktuellen Untersuchungen der Uefa?

Hill: Der Experte für Spielmanipulationen bei der Uefa, Peter Limacher, ist ein Held, ein großer Mann. Er hat eine sehr schwierge Position inne, aber er ist ein wahrer Retter des Fußballs.

sueddeutsche.de: Und die Fifa?

Hill: Es ist fürchterlich. Ihr Frühwarnsystem ist ein erster Schritt, hilft aber fast nichts.

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