Genderdebatte in der Piratenpartei:Piraten leiden unter Feminismus-Paranoia

Feminismus ist der "Kampf gegen Männer"? Geschichtsvergessen verharren wesentliche Teile der Piratenpartei in uralten Vorurteilen. Dabei ist die Geschlechterpolitik gerade für eine Partei, die sich als neue Freiheitspartei etablieren will, ein essentielles Thema.

Hannah Beitzer

In der Piratenpartei gab es eine Umfrage zum Thema Geschlechterpolitik - Gott sei Dank, möchte man rufen! Denn bisher eierten die Piraten, die sich doch eigentlich als moderne Freiheitspartei verstehen, in dieser Frage dermaßen herum, dass man sich am liebsten die Ohren zuhalten wollte.

Mal hieß es sportlich, man sei über Geschlechterfragen hinaus, total "post gender". Der Berliner Fraktionsvorsitzende Andreas Baum verstieg sich zu der Aussage, Frauen arbeiteten lieber im Hintergrund, weil es ihnen schwerfalle, vor vielen Menschen ihre Meinung zu vertreten. Eine Frauenquote lehnen die Piraten in der eigenen Partei vehementer ab als die FDP.

In diesen ganzen Wirrwarr wollten die Initiatoren der Umfrage ein wenig Klarheit bringen. Einige Ergebnisse verschafften dann auch prompt Erleichterung: In der Partei fühlen sich die meisten Frauen wohl, sie würden eher als Mensch wahrgenommen, denn als Frau. Den meisten Piraten ist auch durchaus klar, dass wir keinesfalls in einer Post-Gender-Gesellschaft leben, dass es also mit der Gleichberechtigung der Frau in Familie, Wirtschaft und Beruf nicht weit her ist. Auch ein Pluspunkt: Frauen nutzen bei den Piraten eifrig die parteiinternen Beteiligungstools.

Wenn man jedoch ein wenig weiter liest, dann stößt man auf Meinungen, die man heute wohl höchstens noch auf CSU-Stammtischen in der tiefsten Provinz so ungefiltert hört: Dass in einer Partei, die sich selbst mit dem Begriff "post gender" schmückt, die Mehrheit der Befragten nicht einmal die gebräuchliche Definition von "gender" kennt - geschenkt. Dass jedoch 22 Prozent denken, beim Feminismus ginge es um die Bevorzugung der Frau, ja 13 Prozent sogar finden, das Hauptziel sei der "Kampf gegen Männer" und insgesamt 46 Prozent aller Befragten mit dem Begriff etwas Negatives assoziieren, ist einfach nur erschreckend.

Zum einen offenbart sich hier eine Geschichtsvergessenheit, die einem schlicht die Worte raubt. Denn gerade, wer die Freiheit als Wert schätzt, sollte den Feministinnen auf Knien danken: dafür, dass Frauen heute in Deutschland Universitäten besuchen dürfen, dafür, dass sie wählen dürfen, dafür, dass sie auch ohne die Zustimmung ihres Ehemannes arbeiten dürfen, dafür, dass sie nicht mehr automatisch als Mündel des Gatten gelten, dafür, dass Vergewaltigung in der Ehe heute eine Straftat ist. Dass Feministinnen die männerdominierte Gesellschaftsform angreifen, ist deswegen kein "Kampf gegen Männer" - es ist ein Kampf für Freiheit, für Gleichheit und für Gerechtigkeit.

Und leider muss man zweitens feststellen, dass die Piraten zwar Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern wahrnehmen - aber selbst anscheinend keine große Lust verspüren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen: Nur 14 Prozent der Befragten in der Umfrage gaben an, sich besonders für Geschlechter- und Familienpolitik zu interessieren.

Die Initiatorinnen der Umfrage erhielten Reaktionen wie: "Das nervt nur noch! Wir haben wichtigere Themen" oder gar: "Die Genderdebatte und Quotengewichse ist überflüssig." Nur knapp die Hälfte der Umfrageteilnehmer findet die Debatte überhaupt wichtig - das ist in Zeiten, wo sogar die CDU und die FDP über Frauenquoten diskutieren, nicht gerade berauschend.

Denn eine Partei ist nur dann eine Freiheitspartei, wenn sie aktiv etwas dagegen tut, dass die eine Hälfte der Menschen in Deutschland immer noch nicht gleichberechtigt neben der anderen Hälfte existieren kann - das gilt intern wie extern. Besonders aufhorchen lässt deswegen ein anderes Ergebnis der Umfrage: 36 Prozent der Befragten stört an der Genderdebatte in der Partei, dass sie nur auf Frauen abziele - und "andere Minderheiten" vernachlässige. Frauen - eine Minderheit? Dies zeigt, wie schwer sich die Piraten mit der Debatte tun.

Dass das unbequeme Thema Genderpolitik durch die Umfrage überhaupt einmal umfassend auf den Tisch kommt, ist für die Piraten ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch insgesamt gilt, was auch für die Unternehmen gilt, die es seit Jahren nicht schaffen, die Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern zu beseitigen: Erkenntnis ist gut, Diskussion ist besser - am allerbesten aber sind Taten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: