Tod des Skicrossers Nick Zoricic:Aus Show wird Tragödie

Der tödliche Sturz des Skicrossers Nick Zoricic verschärft die Diskussion um den Actionsport, zumal sein Tod den bereits zweiten fatalen Unfall binnen weniger Wochen bedeutet. War Zoricics Sturz die Verkettung unglücklicher Umstände - oder ein kalkuliertes Risiko?

Thomas Hahn

Heli Herdt spricht mit gedämpfter Stimme, er ist mitgenommen, und eigentlich wäre es jetzt besser, ihn in Ruhe zu lassen mit Fragen nach Risiko und Realität seines rasanten Sports Skicross. Heli Herdt ist der sportliche Leiter im Skicross-Team des Deutschen Skiverbandes (DSV) und Mitglied im Freestyle-Komitee des Internationalen Skiverbandes Fis. Er steckt nicht drin in der Gefühlswelt der Kanadier, die an diesem Samstag beim Weltcup in Grindelwald zusehen mussten, wie ihr Fahrer Nick Zoricic am Zielsprung zu Tode stürzte, aber natürlich ist er jetzt auch traurig und verwirrt.

Ski-Welt trauert um Zoricic

Die Ski-Welt trauert um den kanadischen Skicrosser Nick Zoricic.

(Foto: dpa)

Die Vermarktung des Actionsports gehört zu Heli Herdts Geschäft als Funktionär, so gesehen auch die Vermarktung des Risikos, aber das heißt nicht, dass er je eine Tragödie wie diese in Kauf hätte nehmen wollen. Was man zu dem Unfall sagen könne? Jetzt schon etwas zu analysieren, sei "vollkommen verfehlt", sagt Heli Herdt in seine Ohnmacht hinein, "wir müssen selber erstmal zur Ruhe kommen".

Es geschah im vierten Achtelfinale. Nick Zoricic, 29, gebürtiger Bosnier und Gesamtweltcup-Sechster von 2011, war ein bisschen ins Hintertreffen geraten und kämpfte darum, sich von Platz drei noch auf einen der ersten beiden Plätze zu schieben, die ihn fürs Viertelfinale qualifiziert hätten.

Vor dem Zielsprung sah es so aus, als wolle er seine Konkurrenten rechts überholen. Er versteuerte sich, schoss zu weit rechts über die Rampe, kam neben der Piste auf, durchschlug einen Fangzaun und blieb leblos liegen. Sofort eilten Sanitäter herbei, ein Helikopter brachte ihn ins Krankenhaus von Interlaken. Um 12.35 Uhr schließlich folgte die Todesnachricht. Ein schweres Schädel-Hirn-Trauma wurde zunächst als Todesursache angenommen.

Und nun? Der Actionsport ist nicht erst am Samstag ins Gerede gekommen. Actionsport - das klingt ein bisschen nach Stuntshow, und eigentlich ist er das ja auch. Es geht um rasante Überholmanöver und halsbrecherische Akrobatik. Gerade die X-Games, die prestigeträchtigen Kommerzspiele des US-Sportsenders ESPN, inszenieren den Actionsport oft genug als Ereignis, bei dem der Effekt über der Gesundheit des Sportlers zu stehen scheint: Die Leute sollen staunen, wie sie auch im Kino über wilde Verfolgungsjagden staunen, und wenn es dabei zu einem bösen Unfall kommt, gehört das eben zum Geschäft.

Bevor Actionsportarten wie Snowboardcross oder Skicross olympisch wurden, hat sich mancher deshalb auch gefragt, ob der neue Medaillenwettbewerb das Tempo nicht zu sehr verschärfen könnte in den Parcours mit ihren engen Kurven und Schanzen.

So gesehen wirkt der tödliche Unfall von Nick Zoricic wie die traurige Bestätigung für die Zweifel, die man zum Beispiel bei der olympischen Skicross- Premiere in Vancouver bekommen konnte, als zu Beginn der K.o.-Läufe der Franzose Ted Piccard und der Amerikaner Daron Rahlves in der Luft die Ski kreuzten und unkontrolliert auf die Piste prallten (der Sturz ging glimpflich aus).

Zweiter Todesfall binnen weniger Wochen

Zumal es jetzt der zweite Todesfall in einer jungen Sportart binnen zwei Monaten ist. Mitte Januar starb das kanadische Freeski-Idol Sarah Burke an den Folgen eines Sturzes in der Halfpipe. Ganz so einfach aber ist die Debatte nicht, denn dazu gehört auch die Frage, was Schicksal ist und was Fahrlässigkeit. Ist an jedem Unfall im Sport auf Schnee und Eis jemand schuld? Abgesehen von der Tatsache, dass man jedem Risiko vorbeugen kann, auf das man sich erst gar nicht einlässt?

Trauer und Entsetzen nach Tod des Kanadiers Zoricic

Der kanadische Skicrosser Nick Zoricic (Foto vom 15.09.09) verunglückte tödlich.

(Foto: dapd)

Die Tragödie der Sarah Burke zum Beispiel wirkt eher wie eine besonders böse Laune der Natur. Sie stürzte beim Halfpipe-Training in Park City bei einem Trick, der für sie als Profi im Grunde keine Herausforderung war. Bei diesem Todesfall verfing noch nicht einmal so richtig der Verweis auf die Tatsache, dass die Freestyle-Szene seit einigen Jahren einen atemlosen Wettbewerb um die spektakulärste Trickabfolge ausficht.

Bei Nick Zoricic liegt der Fall ein bisschen anders, schon weil seine Disziplin ganz anders ist als die von Sarah Burke, auch wenn die Fis Ski-Halfpipe und Skicross, also Trickcontest und Rennen, unter Ski-Freestyle führt. Aber er liegt auch anders, weil der Unfall sich im Wettkampf ereignete, bei der atemlosen Jagd auf eine bessere Platzierung, und dieser Umstand automatisch die Frage nach den Sicherheitsstandards aufwirft.

Wirkte der Zielraum nicht sehr eng? Muss nicht jede Strecke so konzipiert sein, dass man gefahrlos einen Fahrfehler begehen kann? DSV-Sportdirektor Wolfgang Maier sagt im Sportinformationsdienst: "Mit ein bisschen Weitsicht hätte das verhindert werden können. Es musste leider erst einer sterben, damit jetzt alle schreien." Die Sicherheitsvorkehrungen im Skicross gehörten überdacht.

Die Polizei untersucht den Fall. Heli Herdt findet es noch zu früh, Vorwürfe zu erheben. Es stimme schon, der Sport habe sich entwickelt. "Die Athleten werden immer besser, immer fitter, da entstehen immer höhere Geschwindigkeiten. Die Risikobereitschaft steigt, weil man sich mehr vertraut."

Aber die Strecken seien eher sicherer geworden, sorgfältig geprüft und ausjustiert, damit alle Sprünge und Kurven gut zu befahren sind. "Aufgrund der Strecke haben wir keine Stürze mehr." Fehler der Veranstalter in Grindelwald? "Ich sehe keinen." Und Heli Herdt findet auch nicht, dass der Wettbewerb durch den olympischen Status ungesund geworden ist. "Da wird nicht auf Teufel komm' raus gefightet."

Die ganz harten Diskussionen um die Zukunft des Mediensports Skicross werden später kommen. Was auch immer wer sagte am Tag nach der Tragödie - es wirkte klein neben der Trauer um den Verlust. Nach dem Tod von Nick Zoricic war das Weltcup-Programm von Grindelwald beendet.

Am Sonntag gab es einen Lauf zum Gedenken an ihn. Die Weltcup-Starter fuhren einzeln in Jeans die Strecke hinunter, weil Nick Zoricic sein erstes Skicross-Rennen in Jeans bestritten hatte. Es gab ein Kondolenzbuch, Blumen und eine traurige Ansprache, in der auch die Rede davon war, dass es irgendwie weitergehen müsse.

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