Reden wir über Geld: Alice Schwarzer:"Die Erotik der Macht"

Emma-Verlegerin Alice Schwarzer über Liebe und Abhängigkeit, ihre Lehre in einer Autofirma und warum die Männer schuld an der Krise sind.

Caspar Dohmen

Alice Schwarzer gilt bis heute als die erste Adresse, wenn in Deutschland über Frauenthemen diskutiert wird. Im Herbst 1970 war sie eine der Initiatorinnen der Pariser Frauenbewegung. Zum Gespräch empfängt die 66-Jährige Gäste in einem alten, am Rhein gelegenen mittelalterlichen Stadtturm, hier sind die Redaktion der Zeitschrift "Emma" und ein Frauenarchiv untergebracht.

Alice Schwarzer, Foto: ddp

"Ich komme aus einer Familie, die große Probleme mit Geld hatte": Alice Schwarzer begann ihre Lehre in einem Betrieb für Autoersatzteile.

(Foto: Foto: ddp)

SZ: Reden wir über Geld, Frau Schwarzer. Was bedeutet es für Sie?

Alice Schwarzer: Unabhängigkeit. Ich komme aus einer Familie, die große Probleme mit Geld hatte. Deswegen war für mich immer klar, ich muss mein eigenes Geld verdienen.

SZ: Wann war es so weit?

Schwarzer: Mit 16 Jahren - da begann ich eine kaufmännische Lehre in einem Betrieb für Autoersatzteile. Es war nervend. Debitoren, Kreditoren, Mahlzeit. Ich habe gelitten. Und ich lebte wie viele junge Frauen in der Freizeit auf: Jazzkeller, Twen-Lektüre und so weiter.

SZ: Flüchteten Sie?

Schwarzer: Ja, ich habe die Branchen und Städte gewechselt, erst zu einem Marktforschungsinstitut in Düsseldorf, dann zu einem Verlag in München, blieb aber immer im Sekretariat hängen. Da begriff ich, es muss sich grundlegend etwas ändern. Ich studierte Sprachen in Paris, um später bei einer Zeitung zu volontieren. Was auch klappte.

SZ: Bedeutete dies Verzicht?

Schwarzer: Nein. Als Sprachstudentin hatte ich drei Francs am Tag, das war eine D-Mark. Da aß ich Reis mit Ei, ging zu Fuß. Ich putzte und führte Kinder aus, um Geld zu verdienen. Aber das machte mir nichts aus. Ich war sehr wohlgemut. Ich habe nämlich das Talent, immer genau mit dem zufrieden zu sein, was ich habe. Damals musste ich immer an dem Restaurant "Closerie des Lilas" vorbei, das ich mir nicht leisten konnte. Jedes Mal, wenn ich heute nach Paris fahre, gehe ich da essen.

SZ: Und wie war später das Leben, als junge Korrespondentin in Paris?

Schwarzer: Anfangs konnte ich mir nicht mal ein Telefon leisten und musste immer von der Telefonzelle aus recherchieren. Aber das war nach ein paar Wochen vorbei.

SZ: Sie hatten bald Erfolg und haben von Ihrem ersten Buchhonorar für das Buch "Der kleine Unterschied" die Frauenzeitschrift Emma gegründet.

Schwarzer: Ja, ich hatte plötzlich eine Viertelmillion Mark - das erschien mir ungeheuer viel Geld. Und damals hatte ich schon einige Zeit sinniert: Wir Frauen müssten unser eigenes Blatt haben!

Ich mache prinzipiell keine Schulden

SZ: Wie kam das?

Schwarzer: Ob über Arbeiterstreiks oder Reform der Psychiatrie oder alternative Kultur, nie hatte ich als Korrespondentin ein Problem gehabt, meine Artikel zu veröffentlichen. Schwierig wurde es erst, als ich mit Frauenthemen ankam. Da hörte ich: Das hatten wir schon. Oder: Frauen sind zu engagiert bei solchen Themen, da sollen doch lieber Männer drüber schreiben. Und meinen engagierten Kolleginnen ging es nicht anders.

SZ: Um welche Themen ging es?

Schwarzer: Es fing an mit der Abtreibung, da sollte nun nicht mehr vom Leben der Frau und der selbstbestimmten Mutterschaft die Rede sein, sondern von Bevölkerungspolitik und ethischen Fragen. Es ging weiter mit Gewalt, eben mit all den brisanten Themen der 70er Jahre.

SZ: Eine Viertelmillion Mark Startkapital reichte?

Schwarzer: Damals galt die achtfache Summe als das Minimum, zuzüglich journalistischer Gratisarbeit und einem billigen Druck. Die meisten gaben mir deswegen null Chance. Allerdings hatten mich das Streitgespräch mit der Autorin Esther Vilar und "Der kleine Unterschied" populär gemacht. Mein Name war also für den Start von Emma mehr wert als die Viertelmillion.

SZ: Und Emma war unabhängig?

Schwarzer: Ist unabhängig, vom ersten Tag an. Dabei zahlen wir übertarifliche Gehälter und angemessene Honorare. Etwa so viel wie die Zeit zum Beispiel, trotz kleiner Differenz in der Auflage.

SZ: Gab es mal Schwierigkeiten?

Schwarzer: Nicht wirklich. Ich habe Honorare, Gehälter und Druck immer pünktlich gezahlt. Das geht auch gar nicht anders. Eine ökonomisch abhängige Emma wäre nach wenigen Ausgaben erledigt.

SZ: Wie wichtig ist Ihre Präsenz im Fernsehen, um die Marke Alice Schwarzer zu stärken?

Schwarzer: Auf die Marke Alice Schwarzer pfeife ich. Acht von zehn Fernsehauftritten mache ich allerdings wegen Emma, das dürfte doch klar sein. Wir haben schließlich kein Geld für Werbung.

SZ: Sie haben für die Bild-Zeitung geworben. Viele warfen Ihnen einen Verrat an den eigenen Idealen vor.

Schwarzer: Ich scheine der letzte Mensch zu sein, dem man noch Ideale zutraut. Es war eine Imagekampagne von Bild. Und apropos Geld: Das habe ich an ein Projekt für türkische Mädchen gespendet.

SZ: Müssen Sie als Verlegerin in der Wirtschaftskrise sparen?

Schwarzer: Etwas, aber nicht einschneidend. Ich hatte die Zeitschrift von Anfang an so konzipiert, dass sie sich zu 90 Prozent durch den Verkauf des Heftes trägt. Und so ist es bis heute. Deswegen haben wir keine Probleme. Ich erinnere mich noch genau an die Gespräche mit meinem Steuerberater oder Bankern in den Anfangsjahren. Alle rieten mir: mach Schulden. Da habe ich geantwortet: Ich mache prinzipiell keine Schulden. Dabei ist es geblieben.

SZ: Auch privat standen Sie nie in der Kreide?

Schwarzer: Niemals (lacht).

SZ: Gehen Frauen anders mit Geld um als Männer?

Schwarzer: Sicher, das belegen auch viele Studien. Frauen haben ja noch gar nicht lange eigenes Geld. Bis 1958 verlor eine deutsche Frau ihr Vermögen, wenn sie einen Mann heiratete. Wenn sie sich scheiden ließ, hatte sie gar nichts mehr. Und erst 1922 durfte die erste Frau in Deutschland eine Börse betreten. Viele Frauen sind es noch immer nicht gewöhnt, überhaupt eigenes Geld zu haben oder mehr zu verdienen, als sie zum Leben brauchen. Wir Frauen müssen also noch lernen, mit Geld umzugehen.

Heute begegnen mir die Männer stolz mit dem Kinderwagen

SZ: Drei Viertel der heute 40- bis 55-jährigen Frauen droht eine Rente unter Hartz-IV-Niveau.

Schwarzer: So ist es: das Grauen. Frauen sind leider über Generationen gewöhnt, ökonomisch abhängig zu sein und irgendwie aufgefangen zu werden. Sie sind es immer noch nicht gewöhnt, eine eigenständige Alterssicherung zu planen. Es ist zum Verzweifeln.

SZ: Dies wird Ihnen nicht passieren?

Schwarzer: Ganz bestimmt nicht. Ich finde alt sein, Frau sein und arm sein ist mindestens ein Faktor zu viel (lacht).

SZ: Mit Ines Kolmsee steht bei SKW Stahl-Metallurgie gerade einmal bei einem Unternehmen aus der Dax-Familie eine Frau an der Spitze - und dies nach 35 Jahren Frauenbewegung.

Schwarzer: Wir haben Jahrtausende hinter uns, in denen Besitz Männersache war. Es gibt erst seit 30, 40 Jahren wieder eine Emanzipationsbewegung - mit starkem Gegenwind. Ich finde deswegen das Erreichte durchaus beeindruckend. Ich zum Beispiel bin von meinem Großvater aufgezogen worden - das galt damals als bizarr. Heute begegnen mir die Männer stolz mit dem Kinderwagen.

SZ: Starten viele Frauen emanzipiert und landen in der gleichen Situation wie die Mütter?

Schwarzer: Diese Gefahr droht. Viele haben studiert und die Gesellschaft viel Geld gekostet - und dann prahlen sie damit, dass sie zu Hause ein oder zwei Kinder erziehen. Die Mütter-Generation hatte kaum Chancen, den Töchtern standen plötzlich alle Türen offen. In einigen Fächern gibt es heute sogar mehr Studentinnen als Studenten. Dennoch landen viele irgendwann in der gleichen Sackgasse wie ihre Mütter. Und wenn man davor warnt, ist man die Spielverderberin. Leider setzt auch der Staat gerade wieder ganz falsche Anreize.

SZ: Was meinen Sie?

Schwarzer: Die Flucht von Frauen ins Private wird wieder gefördert, etwa durch das Steuersystem und jetzt auch noch das Betreuungsgeld von 150 Euro - das ist ein Skandal. Denn dann sagt der passabel verdienende Ehemann zu Recht: Bei zwei Kindern haben wir 300 Euro Betreuungsgeld plus Kindergeld plus Steuersplitting oder Steuerklasse fünf - da lohnt sich für dich das Arbeiten nicht. Das geht selten gut. Die Mehrheit dieser Frauen landet in der Altersarmut.

SZ: Kann man lieben, ohne besitzen zu wollen?

Schwarzer: Ich glaube, man muss - sonst kann man gar nicht von Liebe reden. Sonst ist es ja ein Abhängigkeitsverhältnis. Ich finde es auch viel spannender, mit einem Menschen zu tun zu haben, der jederzeit gehen könnte - und sich jeden Tag neu für mich entscheidet. Sicher, der eine kann in einer Beziehung weniger haben als der andere, aber dann muss die Sache klar geregelt sein. Dann müsste die eine Existenz auch von dem kleineren Einkommen gesichert werden können. Im Kern muss jeder ökonomisch unabhängig sein, wenn wir von Liebe reden wollen.

SZ: Sind Männer an der Finanzkrise schuld?

Schwarzer: Wer das nicht sehen will, dem ist nicht zu helfen. Das ist doch eindeutig: Die internationalen Finanzen, die haben die Jungs an die Wand gefahren. Dabei geht es natürlich um Profit. Aber es ist auch ein scheinbar irrationales Moment darin: Es geht um die Erotik der Macht. Diese Männer haben längst den Bezug zum Leben verloren. Sie klicken virtuelle Summen mit sechs, sieben, acht Nullen - und wundern sich, wenn sie plötzlich vor den realen Scherben stehen. Das Katastrophale ist, dass Millionen Menschen das dann mit ihren Steuern und ihren Jobs ausbaden müssen.

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