Bauarbeiter in Istanbul verbrannt:"Verflucht sei ihr Profit"

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In Istanbul verbrennen elf Arbeiter in ihrer billigen Zeltbehausung - durchgeschmorte Kabel von Heizstrahlern sollen das nicht feuerfeste Zelt in Brand gesetzt haben. Am Pranger steht der türkische Staat, aber auch eine Firma aus Deutschland.

Kai Strittmatter, Istanbul

Der 28-jährige Sevdin Özen zum Beispiel. Er kam aus Van, hatte beim Erdbeben dort sein Zuhause verloren und war nach Istanbul gezogen, um den Lebensunterhalt für seine Familie zu verdienen. Özen hinterlässt eine Frau und fünf Kinder. Oder Isa Topal, 22 Jahre alt, er war verlobt, wollte heiraten am 15. Mai. Dann sein Kollege Bayram Ege Pehlivan, Vater dreier Kinder, Sonntag war sein erster Arbeitstag nach einer Woche Urlaub. Drei von Elf. "Elf billige Leben", wie die Zeitung Zaman am Dienstag berichtete. Leben, die in der Nacht zum Montag ihr Ende fanden. In einem billigen Bauarbeiterzelt bei einer Baustelle am Rande Istanbuls.

Ein verkohltes Gerippe - das ist alles, was von der vorschriftswidrigen Unterkunft der Bauarbeiter übrig geblieben ist. (Foto: dpa)

Lange kann es nicht gedauert haben. Ein paar Funken, sagt die Feuerwehr, um 21:03 Uhr, keine Minute später brannte das erste Zelt. Eine Viertelstunde später schon war der Brand gelöscht, die elf aber waren tot. Erstickt, verbrannt.

Kalt war es in der Nacht gewesen, der Schnee kam zurück nach Istanbul. Die Arbeiter behalfen sich mit Heizstrahlern. Die Kabel schmorten durch. Das Feuer versperrte den Weg zum Zelteingang, einen zweiten Eingang, wie eigentlich vorgeschrieben, gab es nicht. Überhaupt war die Plane aus leicht brennbarem Material, das Zelt hätte offenbar nur zur Lagerung von Ware benutzt werden dürfen, nicht als Unterkunft für Menschen. Dazu machte es erst die Firma Kaldem Yapi, ein Subunternehmer der Bauherren.

Ein Zelt aus feuerfestem Material hätte 300 Lira mehr gekostet, berichten die Istanbuler Zeitungen, das wären 130 Euro. Außerdem soll mindestens einer der drei Feuerlöscher in dem Zelt leer gewesen sein. "Für 20 Lira können Sie einen Feuerlöscher auffüllen", sagte ein Arbeiter. "20 Lira, verstehen Sie? So viel kostet hier ein Menschenleben."

"Anatomie eines Mordes". Mit der Schlagzeile überschrieb am Dienstag die Zeitung Milliyet, die größte seriöse Zeitung der Türkei, ihre Titelgeschichte. Der Schock ist groß in Istanbul, die Wut auch. "Zieht sie zur Verantwortung", fordert das Massenblatt Hürriyet. "Verflucht sei ihr Profit", titelt Cumhuriyet. Wer aber ist verantwortlich?

Am Pranger steht nun der Staat. Ein Staat, der seit dem Militärputsch von 1980 keine nennenswerten Arbeiterrechte mehr kennt. Ein Staat, der sich noch heute auf ein Gesetz zur Arbeitsplatzsicherheit aus dem Jahr 1973 verlässt. Ein Staat, der achselzuckend in Kauf nimmt, dass im Jahr 2010 mehr als 1400 Arbeiter bei der Ausübung ihres Berufes ums Leben gekommen sind.

Am Pranger stehen aber auch die Firmen die dafür gesorgt haben, dass die Arbeiter in die Billigzelte gepfercht wurden. Und während sich die türkischen Medien in ersten Reaktionen vor allem mit türkischen Baufirmen befassten - den Subunternehmern und dem federführenden Unternehmen Kayi - melden sich nun Leute, die mit dem Finger Richtung Deutschland zeigen.

Die Baustelle im Vorort Esenyurt ist ein Projekt der Firma ECE Türkiye, und die wiederum ist ein Tochterunternehmen der deutschen ECE Projektmanagement. Ein Unternehmen, das einst Versandhaus-Chef Werner Otto gründete, und dem seit dem Jahr 2000 dessen jüngster Sohn Alexander Otto vorsteht. ECE plant und baut vor allem Einkaufszentren, die Firma ist Marktführer in Europa. Die Potsdamer Platz Arkaden in Berlin gehören ihr ebenso wie das PEP-Einkaufszentrum in München. Und Zentren in 15 weiteren Ländern. 3,4 Millionen Menschen, rühmt sich die Firma, flanierten täglich durch ECE-Einkaufszentren. In der Türkei sind es bislang elf Projekte.

In Esenyurt soll der "Marmara Park" entstehen. Am 1. März 2011 gab ECE-Landesgeschäftsführer Andreas Hohlmann in Istanbul den Startschuss für das 220 Millionen Euro schwere Projekt, und schwärmte vom "Gestaltungsthema Galaxie" und von "spektakulärem Weltraumdesign". Die Firma wirbt in Deutschland mit ihrem sozialen Gewissen. "Statt auf die Maximierung des kurzfristigen Gewinns achtet die ECE auf Nachhaltigkeit und die gesellschaftliche Verantwortbarkeit ihrer Tätigkeit", heißt es auf der Webseite.

Und jetzt? Er sei "zutiefst geschockt und erschüttert", teilte Andreas Hohlmann von ECE Türkiye in einem Email-Interview der SZ mit. Für den Bau sei jedoch der Generalunternehmer Kayi zuständig, die Unterkünfte wiederum seien von dessen Subunternehmer Kaldem Yapi errichtet worden. "Direkte Vertragsbeziehungen zwischen uns und dem Subunternehmen gibt es nicht."

Auf Twitter schrieb am Dienstag der Ex-Parlamentarier und Menschenrechtler Mehmet Bekaroglu: "Jetzt tun sie alles, um sich zu drücken, die Deutschen und die türkische Firma Kayi. Sie werden sich einen Sündenbock suchen." Wenn sie es ernst meine, dann müsse die deutsche Firma zumindest "soziale und moralische Verantwortung" übernehmen, meint die Sozialwissenschaftlerin Asli Odman vom Istanbuler Zentrum für Arbeitssicherheit: "Eine Baustelle mit solch gesetzeswidrigen Unterkünften wäre in Hamburg oder Berlin unvorstellbar."

ECE-Manager Hohlmann hält dagegen, die Sicherheitsstandards entsprächen auch in der Türkei "denen auf unseren anderen Baustellen in ganz Europa." Das Argument zielt auf den Standort der Zelte: Die nämlich, so Hohlmann "befinden sich nicht auf dem Gelände der Baustelle". Fast wortgleich argumentiert die Baufirma Kayi, der federführende ECE-Partner in Istanbul. Kayi weist jede Verantwortung von sich. Schließlich lägen die Unterkünfte des Subunternehmers "komplett außerhalb der Baustelle". Es sind ziemlich genau 500 Meter.

© SZ vom 14.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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