50. Folge "Radio-Tatort":Kommissare, die Gefühle für einander hegen

Ein Gegen- und Miteinander: In den knapp einstündigen Hörspielen des "Radio-Tatort" nimmt das Privatleben der Ermittler mehr Raum ein als in den TV-Tatort-Versionen. Das Format ist beliebt, aber es braucht dringend neue Impulse, um relevant zu bleiben.

Stefan Fischer

Wieder der WDR also: Der erste ARD-Radio-Tatort, gesendet im Januar 2008, kam vom Rhein, er trägt den Titel "Der Emir". Und auch den aktuellen, 50. Fall hat der WDR produziert. "Noch nicht mal Mord" ist von diesem Mittwoch an reihum in den Kulturwellen aller sieben ARD-Anstalten zu hören, im Anschluss steht der Krimi vier Wochen als Stream und Download im Netz auf www.radiotatort.ard.de, dort sind auch die einzelnen Ausstrahlungstermine aufgeführt.

RADIO TATORT

Schwäbisch-badische Konstellation: Die Schauspieler Karoline Eichhorn und Ueli Jäggi sprechen die Rollen der Radioermittler Brändle und Finkbeiner.

(Foto: SWR/Monika Maier)

Insbesondere an Tatorten des WDR lässt sich deutlich machen, was in dieser Reihe alles möglich ist (und gegebenenfalls auch schiefgehen kann). Außerdem zeigt die Jubiläums-Konstellation, wie schwierig es offenbar ist, gute Bücher zu entwickeln. Eigentlich sollte der WDR-Krimi bereits der 51. Radio-Tatort sein. Doch der SWR, der die Reihe koordiniert, hat im Januar keinen eigenen neuen Krimi geliefert. Der Sender machte bei beiden Geschichten, die für eine Realisierung zur Wahl standen, inhaltliche Mängel geltend, die nicht zu beheben gewesen seien in der verfügbaren Zeit.

Daran lässt sich der Anspruch ablesen, für den Radio-Tatort keine Krimi-Durchschnittsware zu produzieren. Allerdings ist unter diesem Label bereits eine ganze Menge Durchschnitt gesendet worden. Den Rückzieher des SWR muss man eher so verstehen, dass die fraglichen Bücher nicht schwächer waren als selbst die schwachen Fälle der letzten vier Jahre. Sondern dass es ein starkes Bewusstsein gibt dafür, dass es eine neue Anstrengung braucht, damit die Reihe relevant und attraktiv bleibt.

Der agilste Sender bei diesem Projekt ist der WDR. Er hat vor allem mit seinen ersten Fällen gezeigt, dass das Format auch thrillertauglich ist. Die Hauptfigur Nadir Taraki entwickelt sich außerdem von Hörspiel zu Hörspiel: Taraki verlässt seine Freundin, infiziert sich mit HIV, sein Aufgabengebiet wechselt. Das alles hat so starke Auswirkungen auf die Psyche, auf den Charakter der Figur, dass sie Anfang 2010 sogar umbesetzt wurde, um diese Veränderungen auch hörbar zu machen.

Uwe Ochsenknecht in Gastrolle

Baki Davrak hat die Rolle nach vier Einsätzen an Mark Waschke abgetreten. Nicht alle diese Krimis sind im Studio aufgenommen worden, sondern einige stattdessen an realen Schauplätzen. Viele Ideen in den Taraki-Krimis funktionieren gut, einige gar nicht. Ein besonderes Wagnis ist der aktuelle Fall. In "Noch nicht mal Mord" verschmilzt der WDR seinen Radio-Tatort mit der Task Force Hamm. In der Task Force hat der WDR eine Versagertruppe etabliert, da ist der Klamauk wichtiger als der Krimi.

Taraki rückt an den Rand der Geschichte, sein Kollege Lenz wird zwangsversetzt nach Hamm, wo er gemeinsam mit seinem neuen Vorgesetzten (in einer Gastrolle: Uwe Ochsenknecht) eine Provinzposse dirigiert und dabei hilft, den WDR-Tatorten ihre bisherige Härte und ihr Faible für die organisierte Kriminalität gehörig auszutreiben.

Fürs Komische war bislang vor allem der BR zuständig. Im fiktiven Bruck am Inn, einem kuriosen prototypisch bayerischen Milieu, lösen zwei Streifenbeamte nebenbei Mordfälle. In der Hauptsache unternehmen Rudi Egger (Florian Karlheim) und Senta Pollinger (Brigitte Hobmeier) alles Erdenkliche, um sich ihre Gefühle füreinander nicht eingestehen zu müssen.

Zu starre Konzepte

Diese Konstellation liegt den meisten Einsatzorten des Radio-Tatorts zugrunde: Privatleben sowie Mit- und Gegeneinander der Kommissare nehmen breiten Raum ein in den jeweils knapp einstündigen Hörspielen, jedoch treten diese Teile der Handlungen über Episoden hinweg auf der Stelle. Beim SWR arbeitet das Duo Brändle/Finkbeiner an der Aussöhnung des Badischen mit dem Schwäbischen, ohne dabei recht vom Fleck zu kommen.

Im Saarland macht der Einheimische Paquet die Zugezogenen Krämer mit den lokalen Gepflogenheiten vertraut, auch das ist ein endloses Unterfangen. Die Ermittlungen von Bettina Breuer (NDR) wiederum entwickeln sich immer prompt so, dass ein von ihr nicht sonderlich geschätzter Jazz-Musiker zu ihrer Unterstützung als V-Mann eingesetzt wird.

Starre Konzepte sind das, die schnell auch in eine Erstarrung führen können, wenn die Autoren und Regisseure sich ihrer nicht auf originelle Weise bedienen oder wenn die eigentliche Krimihandlung zum bloßen Vehikel für persönliches Geplänkel verkommt.

Aber auch die guten und sehr guten Radio-Tatorte tragen bei zu einer formalen Verengung: Das Format ermöglicht es kaum, einen Krimi von den Tätern her zu erzählen oder von den Opfern. Sondern vorwiegend aus der Perspektive der Polizei, weil eine Reihe wie diese Serienhelden benötigt und dafür eigentlich nur Ermittler in Betracht kommen.

Nicht nur das Konventionelle, auch das Abseitige beleuchten

Zweifelsohne stärkt der Radio-Tatort die Form der Original-Hörspiele; Stoffe also, die explizit für den Hörfunk geschrieben werden. Denn adaptiert wird speziell bei den Krimis viel und gerne: Donna Leon, Andrea Camilleri, Patricia Highsmith - was sich auf dem Buchmarkt gut verkauft, wird von den Redaktionen seit jeher auch als tauglich fürs Radio befunden. Neben der Vertonung aktueller Bestseller etwa von Stieg Larsson und Martin Walker ermöglichen die Sender dadurch aber auch Wiederentdeckungen: Der SWR hat gerade zum zweiten Mal einen historischen Krimi Robert van Guliks produziert, Mord in Kanton.

Experimente sind rar, auch im Radio sind Krimis ein unterhaltendes Genre, ein eher gefälliges. Systemstabilisierendes ist stärker gefragt als Verstörendes - sowohl bei der Frage was als auch wie erzählt wird. Der Radio-Tatort hat den Krimihörspielen eine neue Aufmerksamkeit beschert. Was noch fehlt, ist, dass im Schatten dieser inzwischen bewährten Qualität des überwiegend Konventionellen auch das Abseitige, das Überraschende stärker gedeiht.

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