Frustrierte Fliegen:Sex-Entzug treibt Fruchtfliegen in den Alkohol

Allzu menschliche Züge bei Fruchtfliegen: Die Erfahrung, von einem Weibchen abgewiesen zu werden, ist offenbar so bitter, dass männliche Tiere Trost im Alkohol suchen. Eigentlich trinken die Fliegen sowieso gerne einen über den Durst. Aber die sexuelle Frustration erhöht ihr Bedürfnis deutlich.

Markus C. Schulte von Drach

Ging es nicht um das Ergebnis einer im renommierten Fachmagazin Science veröffentlichten Studie, man würde die Nachricht als übertriebene Sensationsmeldung abtun: Männliche Fruchtfliegen trinken aus Frust Alkohol, wenn Weibchen ihre Avancen abweisen - und erinnern mit diesem Verhalten an die Reaktion von Männern in ähnlichen Situationen.

Doch Männchen der Art Drosophila melanogaster neigen tatsächlich zu höherem Alkoholkonsum, wenn ihre weiblichen Artgenossen sich nicht mit ihnen paaren wollen. Sexuell befriedigte Männchen trinken zwar auch - aber deutlich weniger.

Doch damit hören die Erkenntnis von Wissenschaftlern der University of California in San Francisco und des Howard Hughes Medical Instituts in Ashburn noch nicht auf. Sie haben darüber hinaus festgestellt, dass dieses Verhalten mit der Verfügbarkeit eines bestimmten Botenstoffs im Gehirn der Tiere zusammenhängt, dem Neuropeptid F (NPF).

Die Wissenschaftler um Ulrike Heberlein und Galit Shohat-Ophir hatten männliche Fruchtfliegen an vier Tagen dreimal täglich für eine Stunde in einen Behälter mit Weibchen gesetzt. Diese hatten zuvor Sex mit anderen Männchen und waren deshalb vorerst nicht an weiteren Paarungen interessiert. Die männlichen Tiere machten also die Erfahrung, ständig abgewiesen zu werden. Andere Männchen wurden isoliert gehalten und machten demnach nicht die Erfahrung, abgewiesen zu werden. Sie waren aber sexueller Isolation ausgesetzt. Eine dritte Gruppe schließlich erhielt die Gelegenheit, sich an vier Tagen für jeweils sechs Stunden gleich mit mehreren Weibchen zu beschäftigen.

Die abgewiesenen Männchen waren dermaßen frustriert, dass sie anschließend selbst nur noch geringes Interesse an tatsächlich sexbereiten Weibchen zeigten. Dafür war ihr Interesse an Alkohol hoch: Die Forscher boten ihnen nach den Erfahrungen mit den Weibchen zwei Röhrchen an, aus denen sie trinken konnten. Eine Quelle enthielt nur reine Nahrungsflüssigkeit, die andere Nährflüssigkeit bestand zu 15 Prozent aus Alkohol. Letztere wurde von den sexuell frustrierten Männchen deutlich bevorzugt. Das Gleiche galt allerdings auch für Männchen, die überhaupt keinem Weibchen begegnet waren.

Demnach wirkte sich nicht in erster Linie die Abweisung selbst aus, sondern der Mangel an Sex. Im Schnitt tranken die frustrierten Tiere viermal mehr Alkohol als jene, die sich gepaart hatten. Die unterschiedliche Präferenz spiegelte sich auch in den Konzentrationen des NPF im Gehirn wieder. Die abgeblitzten Tiere wiesen nur halb so viel NPF auf wie die befriedigten Artgenossen.

An der Verfügbarkeit des Botenstoffs lässt sich nach Einschätzung der Forscher gewissermaßen ablesen, wie zufrieden das Tier ist. Ein niedriger Spiegel des Neuropeptids führt dazu, dass die Fliegen nach alternativen Quellen für Glücksgefühle suchen und den NPF-Spiegel so erhöhen. Offenbar gehört Alkoholkonsum zu den bevorzugten Mitteln der Wahl. Das gilt für Fruchtfliegen übrigens grundsätzlich. Es ist völlig normal, dass sich Fruchtfliegen im Labor besaufen, wenn sie sich zwischen alkoholfreien und alkoholischen Getränken entscheiden können. Sexueller Frust scheint das Bedürfnis nach Alkohol nun noch zu verstärken, sexuelle Befriedigung zu senken.

Den Zusammenhang mit dem Neuropeptid F konnten die Wissenschaftler in einem besonderen Experiment eindrucksvoll bestätigen. Sie manipulierten einige Fliegen genetisch so, dass sie deren NPF-Produktion beeinflussen konnten. Senkten die Forscher den Spiegel des Botenstoffes bei Männchen nach der Paarung, so verhielten sich diese wie frustrierte Tiere: Sie tranken mehr Alkohol. Wurde die NPF-Menge bei tatsächlich zurückgewiesenen Fliegenmännchen erhöht, war das Bedürfnis nach geistigen Getränken reduziert.

Ähnliches Peptid im Menschenhirn

Die Studie belegt demnach deutlich den Zusammenhang zwischen positiven oder negativen Erfahrungen wie Sex oder Zurückweisung und einem daraus folgenden Bedürfnis nach Ersatzbefriedigung, mit dessen Hilfe das Gehirn in einen Zustand versetzt wird, der als Wohlbefinden wahrgenommen wird. Erreicht wird dieser Zustand bei Fruchtfliegen offenbar durch eine bestimmte Konzentration des Hirnbotenstoffes NPF, der demnach ein wichtiger molekularer Vermittler zwischen sozialen Erfahrungen und dem Bedürfnis nach Drogen sein dürfte, wie die Wissenschaftler schreiben.

Die Forscher hoffen, dass ihre Arbeit nicht nur hilft, die Prozesse im Gehirn zu verstehen, die mit dem Sozialverhalten der Fliegen zusammenhängen. Auch Menschen und andere Säugetiere produzieren einen dem NPF sehr ähnlichen Botenstoff, das Neuropeptid Y (NPY). Es gibt Hinweise darauf, dass Menschen mit Depressionen oder posttraumatischem Stresssyndrom nur niedrige Spiegel dieses Moleküls aufweisen. Studien an Ratten deuten zudem darauf hin, dass geringe NPY-Konzentrationen mit erhöhtem Alkohol- und Drogenkonsum einhergehen.

Die Zusammenhänge zwischen Erfahrungen, Hirnzuständen, psychischen Störungen und Alkohol- oder Drogenmissbrauch bei Menschen sind allerdings komplex und man kennt eine Reihe anderer Botenstoffe, die dabei eine wichtige Rolle spielen. Trotzdem dürfte das Neuropeptid Y ein weiterer interessanter Ansatzpunkt für Studien zum Beispiel zum Suchtverhalten des Menschen sein.

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