EZB in der Euro-Krise:Weidmann ist nah an Draghis roter Linie

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Die EZB hat den Banken eine Billion Euro zu niedrigen Zinsen geliehen. Die Krise habe keine andere Wahl gelassen, sagt ihr Chef Draghi. Bundesbank-Chef Weidmann sorgt sich ob der Geldschwemme um die Preisstabilität. Mit dieser Kritik kann Draghi umgehen. Sollte Weidmann die Zentralbank allerdings auffordern, aus den Euro-Hilfen auszusteigen, würde er beim Italiener eine Grenze überschreiten.

Markus Zydra und Alexander Hagelüken

Die PR-Maschine läuft. Wie soll man den Leuten auch erklären, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Märkte mit Geld nur so flutet, dass sie den Banken gegen Niedrigzinsen eine Billion Euro geliehen haben? Da muss der Chef ran.

EZB-Präsident Mario Draghi: Auftritt bei einem Gipfel in Brüssel. (Foto: Bloomberg)

Also gibt Mario Draghi, 64, ein Interview. In Bild lobt er Deutschland als "Vorbild", zeigt sich mit Redakteuren und Pickelhaube. Die Botschaft: alles gut. Inflation beherrschbar, die Krise im Herbst habe keine Wahl gelassen. Da musste die "Dicke Bertha" raus, wie das der italienische Ökonom genannt hat.

Alles gut? Einer, der auch in Frankfurt sitzt, hat da eine ganz andere Meinung. Einer, der neben den 22 Kollegen im EZB-Rat oft eine abweichende Meinung einbringt, der diese ganze Geldschwemme für bedenklich hält, der über eine Vermischung von Geld- und Fiskalpolitik klagt, und der sich vor dem Amtsantritt Draghis im November so viel vom neuen EZB-Präsidenten erhofft hatte.

Jens Weidmann, 43, warnt immer wieder vor den Risiken der Geldpolitik im Frankfurter Euro-Tower: "Am Vorrang des Ziels Preisstabilität darf es keine Abstriche geben", sagt der Bundesbank-Präsident gern, zuletzt in dieser Woche beim Frankfurter Finance Summit.

Das Verhältnis ist professionell angespannt. Schließlich wird ja auch unter Akademikern auf dem Campus leidenschaftlich diskutiert. Aber so idyllisch, wie Draghi im Interview tut, ist das Ganze nicht: "Mit Jens Weidmann verstehe ich mich beruflich und persönlich gut. Unsere Meinungsverschiedenheit ist aufgebauscht worden." Der Deutsche sei ein typischer Notenbanker: "Wir machen uns gern Sorgen über Dinge, über die sich sonst niemand Sorgen macht", fügt Draghi mild spöttelnd an.

Am Bankenplatz Frankfurt sind auch andere Töne zu vernehmen. Da heißt es, Draghi frage sich womöglich, warum Weidmann das mit den Risiken immer wieder aufs Neue sage. Schließlich möchte ja auch der EZB-Chef in der Euro-Zone stabile Preise, und von daher gesehen sei das nebbich, dass die Bundesbank immer so starke Befürchtungen habe, Draghi und die Mehrheit im EZB-Rat könnten da etwas die Zügel schleifen lassen.

Erkennbar hat Mario Draghi nichts gegen Kritik. Er hat aber wohl etwas dagegen, dass der Streit in der Öffentlichkeit geführt wird - obwohl das doch demokratischer Gepflogenheit entspräche, schließlich geht es ja letztlich um das Geld der Bürger. In seinem Büro im 35. Stock des Euro-Towers muss sich Draghi nach seinem Geschmack offenbar zu oft mit dem Deutschen beschäftigen. Das Zimmer ist noch recht leer, hier residierten auch die Vorgänger Wim Duisenberg und Jean-Claude Trichet. Im Regal stehen gerahmte Fotos von persönlichen Freunden, aber auch von Trichet sowie den US-Präsidenten George Bush und Barack Obama.

Draghi senkte die Leitzinsen, er gab den Banken die Billion, er senkte die Anforderungen für Banksicherheiten. Er?

Man muss genau sein. Es war der EZB-Rat. Auch Weidmann ist dort Mitglied, er hat die meisten Beschlüsse im Gremium mitgetragen. Nur hinterher hat der ehemalige Kanzlerberater manches moniert. Der Bundesbanker will die Rettungsmaßnahmen offenbar rascher beenden als Draghi. Das ist der kleine Unterschied.

Er hat große Wirkungen.

Wenn Weidmann argwöhnt, das viele billige EZB-Geld diene dazu, marode Banken in Südeuropa am Leben zu erhalten, dann dürfte das beim Südeuropäer Draghi auf Widerstand stoßen. Schließlich hat der Bundesbanker noch nicht dargelegt, um welche Finanzhäuser es sich konkret handelt.

Bundesbankpräsident Jens Weidmann auf einer Pressekonferenz in Frankfurt. (Foto: Bloomberg)

Der britische Autor David Marsh hat die deutschen Währungshüter zu D-Mark-Zeiten als "Evangelisten der Hochfinanz" bezeichnet. Die Frage ist, ob die Evangelisten den Euro-Kollegen eine vernünftige Geldpolitik zutrauen.

Es war in den siebziger Jahren, da verließ der Jesuitenschüler Draghi seine Heimatstadt Rom. Er hatte sein Studium der Ökonomie mit Bestnote absolviert, dafür gab es ein Stipendium fürs Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort studierte Draghi bei Nobelpreisträger Paul Samuelson. In Italien erlebte Draghi damals hohe Inflationsraten und Währungsturbulenzen. Er blickte bewundernd nach Norden - dort stabilisierte die Bundesbank die Inflation - gegen den Willen der Amerikaner.

Die Deutschen hatten recht mit ihrer Geldpolitik. Das imponierte dem Mann aus Rom. Seitdem schätzt er die deutsche Stabilitätskultur. Nun wohnt er in diesem Land. In Frankfurter Restaurants erkennt man ihn, er wird angesprochen. Shakehands. Das freut den Italiener. Er weiß um die deutsche Seele, um die traumatischen Erfahrungen der Inflation von 1923. Er kennt die Sorgen vieler deutscher Geldpolitiker, für die ausgemacht ist, dass die EZB zu viel Geld verschenke. Ex-Bundesbank-Chef Helmut Schlesinger sprach von Dimensionen, die "an die Kriegsfinanzierung erinnern".

Ja, es ist Krieg. Es ist ein Krieg gegen Schulden, der mit neuen Schulden geführt wird. Draghi kennt auch die Ängste der Bundesbanker, die fürchten, die Zentralbank werde zum Büttel der Politiker. Man kann ja über alles reden. Aber es gibt Grenzen, rote Linien, und die darf aus seiner Sicht keiner überschreiten. Auch nicht Weidmann.

Zum Beispiel wollen die Notenbanker im EZB-Rat von keinem Kollegen coram publico hören, was sie künftig entscheiden sollen. Und, noch wichtiger: Weidmann darf zwar fordern, dass über den Ausstieg aus den Euro-Hilfen nachgedacht wird. Den Exit nun zu fordern, würde aber die rote Linie überschreiten. Mit seiner Forderung nach einem Konzept für den Ausstieg ist Weidmann also nah dran an Draghis Grenze. Und dann war da noch der Brief Weidmanns an Draghi, in dem der Deutsche vor den Risiken der EZB-Politik warnte. Der Brief kam an die Öffentlichkeit, man weiß nicht, wer ihn lanciert hat. Weidmann sagt, er sei's nicht gewesen.

Wird Weidmann noch einmal einen solchen Warnbrief schreiben? Oder wird jetzt nur noch telefoniert?

Draghi hält alle Risiken für kontrollierbar. Die EZB hat Staatsanleihen im Wert von 218 Milliarden Euro gekauft - riskant, ja, aber bislang ein Profitgeschäft, denn die Zinsen der Bonds fließen in die EZB-Kasse. Die Inflationsraten in der Euro-Zone steigen, aber im Vergleich zur langen Geschichte der Bundesbank steht die EZB im Schnitt besser da.

Notenbanker bezeichnen sich immer wieder als unabhängig von der Politik - dennoch sind sie mittendrin.

© SZ vom 23.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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