Füchse Berlin bezwingen den HSV:Held Heinevetter muss schlafen

Dank ihres überragenden Nationalkeepers gewinnen die Füchse Berlin auch das Champions-League-Rückspiel beim HSV Hamburg und feiern den größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Fragen nach einer Wachablösung im deutschen Handball pariert der Hauptstadtklub allerdings gekonnt.

Carsten Eberts, Hamburg

Vielleicht waren letztlich sogar die eigenen Mitspieler für die miese Konstitution ihres Keepers verantwortlich. Die Partie in der Hamburger Arena war gerade vorüber - und die Feldspieler der Füchse Berlin würfelten sich über Silvio Heinevetter. Sie knuddelten ihren Torhüter, schlugen ihn, womöglich haute ihm einer ein wenig zu fest auf die Schulter.

HSV Hamburg - Fuechse Berlin

Überragend in Hamburg: Berlins Keeper Silvio Heinevetter.

(Foto: dapd)

Auf spektakuläre Weise hatte Heinevetter in der Schlussphase der Partie die wichtigsten Bälle gehalten, mal lag er quer in der Luft, mal schmiss er sich einfach den heranstürmenden Hamburgern entgegen und brachte noch irgendein Körperteil an den Ball. Insgesamt waren es 21 Paraden, mit denen Heinevetter den 24:23-Sieg der Berliner im Rückspiel des Champions-League-Achtelfinals ermöglichte. Ein gigantischer Wert.

Etwas später stand Heinevetter dann in den Gängen der Arena, durchgeschwitzt, sichtlich zerknautscht, als hätten die Kollegen bisweilen auch das Gesicht erwischt. "Wir werden gleich ein kühles Bierchen trinken, das haben wir uns verdient", sagte der Torwart. Und danach? Eine ausgiebige Berliner Partynacht? Wilde Sauferei auf der Busfahrt? "Nein, ich muss schlafen. Ich bin brutal fertig."

Heinevetter und die Füchse hatten nach dem 32:30 im Hinspiel auch im Rückspiel immens viel investiert, am Ende stand nicht weniger als der größte Erfolg der jungen Vereinsgeschichte. "Wir haben nicht die besten oder teuersten Spieler, aber dafür Spieler mit Charakter und Leidenschaft", sagte Manager Bob Hanning stolz, gar ein wenig gerührt. Auch Heinevetter sagte: "Handball ist in Berlin jetzt eine echte Adresse. Das muss erst mal etwas heißen."

Das deutsche Duell im Achtelfinale der Champions-League war eine kuriose Angelegenheit, allein wegen des seltsamen Spielverlaufs. Zu Beginn führte Hamburg (3:1), dann drehte Berlin die Partie (8:10), bevor Hamburg in der zweiten Halbzeit auf 17:12 davonzog. "Das Ding war eigentlich fast weg", erklärte Heinevetter, "die Halle stand Kopf, wir hatten ein ganz, ganz tiefes Tief." Es drohte sogar eine Blamage, wie der Keeper bekannte. Einen Zwei-Tore-Vorsprung hätte der HSV über die Zeit retten müssen. Dazu kam es nicht.

Denn wie so oft in dieser Spielzeit ließen die Hamburger die nötige Konstanz vermissen. Nach der Re-Inthronisierung von Präsident Martin Schwalb vor wenigen Wochen als Trainer hatten Spieler und Fans auf bessere Zeiten gehofft. Das Spiel gegen Berlin sollte der Start in eine bessere Saisonschlussphase werden - es wurde die traurige Bestätigung des bisherigen Trends. Wieder verspielte der HSV einen Vorsprung, erneut waren hocherfahrene Spitzenkräfte wie Pascal Hens, Michael Kraus oder Guillaume Gille trotz guter Aktionen zuvor nicht in der Lage, das Team in den wichtigsten Phasen zu führen.

Deprimierte Hamburger

"Man merkt über die ganze Saison, dass die Mannschaft nicht das Selbstverständnis hat, das sie braucht", analysierte auch Schwalb. Schon im Achtelfinale der Champions League ist damit für den deutschen Meister Schluss, in der Liga liegt der HSV bereits elf Punkte hinter Tabellenführer Kiel. Es bleibt nur noch der DHB-Pokal, um die Saison zu retten.

Dazu kommt, dass sich kurz vor Schluss Nationalkeeper Johannes Bitter bei einer Abwehraktion das Knie verdrehte und vom Platz geführt werden musste. Am Montag dann die Diagnose: "Das vordere Kreuzband ist gerissen. Außerdem sind das Innenband und der Meniskus in Mitleidenschaft gezogen worden", sagte HSV-Arzt Oliver Dierk. Bitter wird rund acht Monate pausieren müssen.

Berlin dagegen zeigte, dass die Mannschaft auch wichtige Spiele in den Schlussminuten drehen kann. Nach einer Auszeit von Trainer Dagur Sigurdsson packte die Abwehr krachend zu, Heinevetter hielt selbst freie Würfe, Alexander Pettersson tänzelte gleich mehrfach durch den HSV-Defensivverbund, in der Mitte, wo eigentlich die wuchtigsten Hamburger stehen. Und Mark Bult traf alle wichtigen Siebenmeter.

"Ich bin überwältigt, wir hatten immer an diesen Erfolg geglaubt", sagte Trainer Sigurdsson ergriffen auf der Pressekonferenz: Im Viertelfinale winken nun Duelle mit den Topteams aus Kopenhagen oder Léon. Barcelona oder der THW Kiel drohen erst im Halbfinale. Ausgelost wird am Dienstag.

Die Frage nach der Kräfteverschiebung im deutschen Handball blieb natürlich nicht aus. Sind die Füchse nun der erste Verfolger von Platzhirsch THW Kiel? Haben sie die Hamburger bereits in der ersten Saison nach der HSV-Meisterschaft überholt?

Manager Hanning wusste mal wieder zu revidieren - und zu parieren. "Das ist eine schöne Momentaufnahme. Für eine Wachablösung fehlen uns aber die Mittel", sagte Hanning mit einem Lächeln im Gesicht. Auch mit einer anderen Behauptung dürfte der Manager Recht haben: "Der Sieg heute freut das Berliner Publikum ohnehin viel mehr." Noch in der Halle wurde kräftig gefeiert, die Spieler hüpften und sangen, jubelten ihren mitgereisten Fans im Oberrang zu. Der einzige, der sich eher zurückhielt, war Silvio Heinevetter.

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