Überraschende Wende im Fall Lena aus Emden:Jugendlicher wieder frei - Polizei sucht Mann aus Video

"Fakten, die eine Täterschaft ausschließen": Der 17-Jährige, der im Mordfall Lena als Hauptverdächtiger galt, ist aus der U-Haft entlassen worden. Wegen der aufgeheizten Stimmung in der ostfriesischen Stadt wird der Jugendliche jedoch weiter von der Polizei betreut, für seine Sicherheit sei "gesorgt". Die Ermittler konzentrieren ihre Suche nach dem Täter nun auf einen Unbekannten aus Überwachungsvideos vom Tatort.

Die Suche nach Lenas Mörder geht weiter: Der 17-Jährige, der bislang als Hauptverdächtiger des Sexualverbrechens an dem elfjährigen Mädchen aus dem ostfriesischen Emden galt, ist aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Das teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Aufgrund neuer Ermittlungsergebnisse sei auszuschließen, dass er der Täter ist.

Mordermittlungen in Emden

Am Mittwoch war der 17-Jährige in Emden dem Haftrichter vorgeführt worden. Dieser ordnete an, den Jugendlichen in Untersuchungshaft zu nehmen. Dieser Beschluss wurde nun aufgehoben.

(Foto: dpa)

Lena war am vergangenen Samstagnachmittag mit einem gleichaltrigen Freund auf dem Fahrrad unterwegs. Ihre Leiche wurde am selben Abend in einem Parkhaus in der Innenstadt gefunden. Was in der Zeit dazwischen passierte, ist unklar - der Junge als einziger Zeuge steht unter Schock.

Indizien, die gegen den Jugendlichen gesprochen hätten, seien durch Fakten widerlegt worden, sagte der zuständige Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck in einer ersten Stellungnahme vor Journalisten in Emden. "Fakten, die eine Täterschaft ausschließen."

Staatsanwalt verteidigt Vorgehen der Behörden

Südbeck verteidigte das Vorgehen der Polizei: Auf die Frage eines Reporters, ob es gerechtfertigt gewesen sei, den 17-Jährigen in Handschellen aus einem Wohngebiet abzuführen, sagte er, das sei ein normales polizeiliches Vorgehen. Der Jugendliche war am Dienstag nach einem Tipp aus der Bevölkerung festgenommen worden. Noch am Mittwoch sei der Jugendliche dringend tatverdächtig gewesen, weshalb die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl beantragt habe, dem dann auch stattgegeben worden sei. Andernfalls hätte der Teenager 48 Stunden nach seiner Festnahme wieder entlassen werden müssen.

Man habe stets darauf hingewiesen, dass der 17-Jährige lediglich Tatverdächtiger sei, um einer Vorverurteilung entgegenzuwirken. Der Teenager befinde sich derzeit "in Betreuung und Obhut von Polizeibeamten", sagte Südbeck. "Für seine Sicherheit ist gesorgt."

"Wir ermitteln in alle Richtungen"

In den Vernehmungen mit der Polizei bestritt der Jugendliche stets, für die Bluttat verantwortlich zu sein - verstrickte sich in seinen Aussagen aber offenbar in Widersprüche. Am Donnerstag gaben die Ermittler auf einer Pressekonferenz bekannt, Einlassungen, die der Teenager zu seinem Alibi gemacht habe, hätten "gestürzt" werden können. "Er hat kein Alibi zur Tatzeit", sagte der Leiter der zuständigen Mordkommission, Werner Brandt.

Offen ist, welche konkreten Ermittlungsergebnisse den bisher dringenden Verdacht gegen den 17-Jährigen nun entkräftet haben. Der Staatsanwalt machte dazu aus "ermittlungstaktischen Gründen" keine Angaben und auch eine Sprecherin der Polizei Emden wollte sich im Gespräch mit Süddeutsche.de dazu nicht äußern. Im Landeskriminalamt in Hannover war DNS-Material vom Tatort untersucht worden. Es gebe Spuren, denen nachgegangen werde, sagte die Sprecherin, momentan habe man jedoch "keine konkrete Person" in Verdacht. "Wir ermitteln in alle Richtungen."

Ein zentrales Element der weiteren Ermittlungen sind nun die Überwachungsbänder aus dem Parkhaus. Die Polizei hatte bereits am Dienstag zwei nur wenige Sekunden lange Videosequenzen veröffentlicht, auf denen ein dunkel gekleideter Mann mit Kapuze zu sehen ist. Die Aufnahmen datieren vom ungefähren Zeitpunkt des Mordes an Lena. Das Gesicht des Mannes ist nur als weißer Fleck erkennbar - er hat jedoch einen markanten Gang. Zunächst hatte es geheißen, der Unbekannte werde als Zeuge gesucht, Oberstaatsanwalt Südbeck sagte nun jedoch, der Mann aus den Videos werde als Tatverdächtiger behandelt.

Hetzjagd in sozialen Netzwerken

Der Mord an der Elfjährigen hatte in Emden Bestürzung, Anteilnahme - aber auch große Empörung ausgelöst: Nach der Festnahme des Teenagers am Dienstag waren vor dem Polizeirevier Dutzende Menschen zusammengekommen. Dabei seien auch Stimmen laut geworden, "die sich nur als Aufruf zur Lynchjustiz deuten lassen", hieß es von Seiten der Polizei. Als Reaktion darauf forderte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) strengere Sanktionen für derartige Appelle: Wer hinter "Lynchaufrufen steckt, muss die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen", sagte der Bundesvorsitzende der GdP, Bernhard Witthaut.

In sozialen Netzwerken bezichtigten User den 17-Jährigen - und andere Personen - des Verbrechens. Auf einer "Kondolenzseite" für das tote Mädchen beim Netzwerk Facebook wurde der junge Mann noch bis Freitagmorgen als "Schwein" und "Unmensch" beschimpft. Auch die Todesstrafe wurde dort gefordert.

Am Freitag nahm Lenas Familie im engsten Familienkreis Abschied von dem Mädchen. Die Zeremonie auf dem Emder Friedhof wurde auf Bitten der Angehörigen streng abgeschirmt.

Die Polizei Emden und die Staatsanwaltschaft Aurich bitten die Bevölkerung im Mordfall Lena um Mithilfe. Zeugen oder Personen, die Hinweise zu dem Verbrechen haben, sind aufgerufen, sich unter der Nummer 0491/97690-414 beziehungsweise 411 bei der Polizei zu melden.

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