Programm-Debatte in der FDP:Zurück zum Zünglein

Die geistige Dürftigkeit von Röslers "Wachstum"-Kurs ist bezeichnend: Der FDP-Chef verwechselt ein Grundsatzprogramm mit einem schlechten Werbespot. Zwei Dinge muss die Partei leisten: das Unmögliche schaffen und das Wunder vollführen. Das Unmögliche besteht darin, die Liberalen wieder über die fünf Prozent zu heben. Das Wunder wäre die programmatische Erneuerung der FDP.

Heribert Prantl

Das neue Leitwort der FDP heißt "Wachstum". Parteichef Philipp Rösler hat es vor drei Monaten ausgerufen, um damit die Zukunft der Partei zu beschwören. Aber es wächst dort nur die Konfusion, es wächst die Angst vor dem endgültigen Ende, es wachsen Frustration, innerparteiliche Bissigkeiten und die verzweifelten Hoffnungen darauf, dass vielleicht irgendwo etwas Rettendes wächst.

FDP - Philipp Rösler

Das neue Leitwort der FDP heißt "Wachstum": Parteichef Philipp Rösler.

(Foto: dpa)

Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lindner her. Das ist das heimliche liberale Motto in diesen Tagen der Agonie. Christian Lindner, der zurückgetretene Generalsekretär und jetzige Spitzenkandidat im NRW-Wahlkampf, figuriert als filigraner Herkules, als derjenige, der Unmögliches sofort erledigen und dann Wunder vollführen soll. Das Unmögliche besteht darin, die FDP wieder über die fünf Prozent zu heben. Und das Wunder wäre die Erneuerung der FDP, ihre programmatische Wiederauferstehung aus dem Geist der Sozialliberalität und die Rückgewinnung ihrer alten Rolle als Zünglein an der Waage bei der Regierungsbildung.

Letzteres ist nicht so aberwitzig wie es klingt: Wenn Rot-Grün bei der nächsten Bundestagswahl keine eigene Mehrheit gewinnt, und danach sieht es aus; wenn Rot-Rot-Grün weiterhin nicht in Betracht kommt, und danach sieht es aus; wenn schließlich mit den Piraten nichts anzufangen ist, und danach sieht es auch aus - dann könnte eine FDP, wenn sie überlebt, in einer rot-gelb-grünen Koalition einen SPD-Kanzler in den Sattel heben. Das alles ist derzeit Phantasterei; es ist aber auch nicht viel phantastischer als der Wunderglaube an den jungen Lindner. Und allemal interessanter als die aktuelle Programm-Debatte in der FDP, die diesen Namen nicht verdient.

Wie erwähnt: Erst vor drei Monaten hat Parteichef Rösler das Wort "Wachstum" als Leitidee für das neue FDP-Programm ausgegeben, und schon in zwei Wochen, beim Parteitag in Karlsruhe, soll es verabschiedet werden. Der FDP-Wahlkämpfer Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein höhnt nicht zu Unrecht, Wachstum sei nicht per se etwas Gutes. Was soll wachsen: Die Wirtschaft? Die Schulden? Die Haare? Die Steuern? Bei Parteichef Rösler steht das Wort für einen nicht näher beschriebenen Fortschritt. Er meint, das dahingeworfene Wort sei schon eine Neuausrichtung für die FDP.

Diese geistige Dürftigkeit ist bezeichnend - da verwechselt ein Parteichef ein Grundsatzprogramm mit einem schlechten Werbespot. Natürlich ist es höchste Zeit für ein neues FDP-Programm: Das derzeit gültige stammt aus dem Jahr 1997. Aber: Es ist seitdem in der Partei nicht Neues gewachsen. Der "Wachstums"-Befehl Röslers ist ein anderes Wort für Abrakadabra, und das wirkt nur im Zirkus und im Märchen. Der Zirkus ist vorbei, den hat Guido Westerwelle aufgeführt. Und für Märchen sind derzeit nicht die Liberalen, sondern die Piraten zuständig. Es ist Zeit, Vergissmeinnicht zu pflanzen. Ihr Wachstum wird an die FDP erinnern.

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