Antisemitismus in der Piratenpartei:Wenn Meinungsfreiheit zum Problem wird

Die Meinungsfreiheit des Einzelnen ist bei den Piraten ein hohes Gut. Nur verstehen sie nicht damit umzugehen, wenn die Meinung von Einzelnen auf die ganze Partei ausstrahlt. Das zeigt die Geschichte des Piraten Carsten Schulz, der das Leugnen des Holocausts legalisieren möchte.

Cornelius Pollmer

Für einen, der gerade sein Direktmandat verloren hat, ist Carsten Schulz überraschend fröhlich. Er sitze gerade in einem Park und lasse es sich gutgehen, sagt er am Telefon, und seine Stimme senkt sich kein bisschen, als er auf den Landesverband der Piraten in Niedersachsen zu sprechen kommt: "Die versuchen mit faschistischen Methoden, mich loszuwerden."

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Die Partei und der Einzelne, wie geht das zusammen? Die Piraten haben ein strukturelles Problem.

(Foto: dpa)

Für einen, der wegen Schulz gerade eine Menge Ärger hat, ist Oliver Schönemann überraschend gelassen. Er ist Pressesprecher des Landesverbandes, und wenn man ihn nach Carsten Schulz fragt, dann sagt er: "Mi mi mi, da ist einer beleidigt."

Dies also ist der Zwischenstand: Ein Pirat liegt im Clinch mit seiner Landespartei, der Wortschatz des einen liegt irgendwo im Dritten Reich vergraben, jener der anderen in einem Kindergarten der Gegenwart. Eine Regionalposse im Landtagswahlkampf? Nicht nur.

Der Fall Schulz verdeutlicht ein strukturelles Problem der Piratenpartei. Sie hält die Meinungsfreiheit des Einzelnen für ein hohes Gut - wo es, wie in Niedersachsen, keine Piratenfraktion gibt, da kann es auch gar keinen Fraktionszwang geben. Nur versteht die Piratenpartei noch nicht damit umzugehen, wenn die Meinung von Einzelnen auf die ganze Partei ausstrahlt - wie die Geschichte von Carsten Schulz in vorläufig vier Akten zeigt.

Ein tragikomisches Stück in vier Akten

Akt I: Ende März wird Schulz zum Direktkandidaten im Wahlkreis Hannover-Mitte für die Landtagswahl im Januar 2013 gewählt. In einer Stichwahl setzt er sich mit 11 zu 9 Stimmen gegen seinen parteiinternen Konkurrenten Reiner Budnick durch - eine Überraschung.

Akt II: Die Lokalpresse berichtet über Positionen von Schulz: Er fordert Straffreiheit für das Leugnen des Holocaust und den freien Verkauf von Adolf Hitlers "Mein Kampf". Schulz wird vorgeworfen, er sei ein Rechtspopulist - er selbst sieht sich als linksliberal und möchte "Holocaustleugnung entkriminalisieren, um Neonazis besser bekämpfen zu können". Schönemann und Schulz sagen, Budnick habe sich an die Lokalpresse gewendet, Budnick bestreitet dies.

Akt III: Der Landesvorstand distanziert sich von Schulz und annulliert dessen Wahl zum Direktkandidaten. In einer Stellungnahme heißt es: "Nazis und Rechtsradikale sind keine Gesprächspartner, keine Teilnehmer an ergebnisoffenen Diskussionen". Deswegen werde man nicht akzeptieren, dass Personen wie Schulz "sich im Namen der Piratenpartei Niedersachsen für Mandate auf allen Ebenen bewerben".

Nun also wird Akt IV aufgeführt. Schönemann sagt, man unterstelle Schulz zwar keine rechtsextremen Gedanken, aber die umstrittenen Positionen seien den Piraten bei der Kandidatenwahl einfach nicht bekannt gewesen. Deswegen habe man diese annullieren müssen. Schulz sagt: "Das ist eine totale Lüge. Das wussten fast alle und das wusste selbst der Landesvorsitzende."

Schönemann möchte, dass wieder etwas Ruhe einkehrt. Für die Neuwahl könne sich Schulz ja "wieder aufstellen lassen. Da kann man dem Landesvorstand keinen Vorwurf machen, er würde ausgeschlossen. Es ist auch kein Parteiausschlussverfahren geplant."

Ignorieren geht nicht

Das stimmt so nicht ganz, denn Carsten Schulz plant durchaus ein Parteiausschlussverfahren - gegen den kompletten Landesvorstand. Er sagt, "das hätten die gern, dass ich mich wieder aufstellen lasse. Da mache ich nicht mit. Ich bin rechtmäßig gewählt worden, und jetzt wollen die mich von oben herab bekämpfen. Das wird mein Anwalt prüfen, das geht vielleicht bis vor das Bundesverfassungsgericht."

War's das? "Eins noch", sagt Schulz am Ende des Telefonats, "ich möchte Bundesvorsitzender werden. Ende April kandidiere ich für den Bundesvorsitz."

Der Fall Schulz schillert besonders, ja. Aber Einzelfälle solcher Art gibt es in der Piratenpartei inzwischen zu viele, als dass man sie übersehen könnte.

Der Pirat Kevin Barth twitterte im Januar: "ok. ich bin also antisemit weil ich die israelische kackpolitik und den juden an sich unsympatisch finde weil er einen sinnlosen krieg führt". Weniger als zwei Wochen danach wurde Barth in Heidenheim zum Kreisvorsitzenden gewählt.

Die Reaktionen waren zahlreich und scharf, die Piratin Julia Schramm etwa formulierte leise aber bestimmt in ihrem Blog: "Ich an deiner Stelle würde zurücktreten. Aber meine ethischen Maßstäbe sind auch relativ hoch, selbst für Piraten. Dennoch: Dein (gelöschter) Tweet ist eine Katastrophe. Tritt zurück und lies ein Buch über das Wesen von Antisemitismus. Bitte." Und Barth trat dann tatsächlich sehr bald zurück.

Das Parteiausschlussverfahren läuft seit 2009 - und dauert an

Auch Bodo Thiesen hatte rechte Äußerungen abgesetzt, über Bande. 2008 sympathisierte er mit pseudowissenschaftlichen Abhandlungen von Germar Rudolf, einem verurteilten Holocaust-Leugner. Seit 2009 läuft ein Parteiausschlussverfahren, das Urteil war für diese Woche erwartet worden, ist aber noch einmal verschoben worden. Die parteiinterne Kritik überwiegt auch in diesem Fall deutlich - vereinzelt findet Thiesen aber auch Fürsprecher mit einer mindestens großzügigen Auffassung von Meinungsfreiheit.

"Die Piraten haben kein Naziproblem aber ein Problem im Umgang mit Nazis", schreibt Klaus Peukert, ein Kandidat für die Wahl in den Bundesvorstand, in seinem Blog. Und erst vor wenigen Tagen wiesen die Jungen Piraten ihre Partei in einem offenen Brief darauf hin, dass immer wieder Mit­glie­der "durch ras­sis­ti­sche, sexis­ti­sche, aber auch ander­wei­tig dis­kri­mi­nie­rende Aus­sa­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen" auffallen würden.

Solche Aus­sa­gen würden oft als "Ein­zel­mei­nun­gen" abge­tan, gerade in einer Par­tei, die sich ihrer star­ken Basis rühme, dürfe das aber keine Recht­fer­ti­gung sein. Klaus Peukert fordert. vorhandene Positionen aus Satzung und Programm müssten "sich endlich im politischen Handeln auch tatsächlich zeigen".

Wie genau man als Partei aber mit Meinungen Einzelner klug umgeht, das müssen die Piraten noch herausfinden. Ignorieren hält Oliver Schönemann für keine gute Lösung, denn "wer ignoriert wird, der verliert irgendwann das Interesse". Wahrscheinlich, sagt Schönemann, "wahrscheinlich müssen wir das einfach aushalten."

Anmerkung: In einer früheren Fassung des Artikels fehlte die Aussage Reiner Budnicks, dernach er sich nicht an die Lokalpresse gewendet habe.

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