Salafisten verteilen Gratis-Korane:Radikales Marketing

Der Islamist Abou Nagie hat erreicht, was er wollte: volle Aufmerksamkeit. Mitten in der nachrichtenarmen Feiertagszeit hat er seine Leute ein paar tausend Gratis-Exemplare des Koran verteilen lassen und dazu pompöse Zahlen in die Welt geblasen. Dass ihm breite Ablehnung entgegenschlägt, gehört zum zynischen Kalkül solcher PR-Provokationen.

Jan Bielicki

Die beste Werbung ist die, die mit minimalem Aufwand die größtmögliche Wirkung erzielt. Handwerklich hat der Kölner Ibrahim Abou Nagie, der sein Geld einst in der Marketing-Branche verdiente, also alles richtig gemacht. Er hat am Ostersamstag, mitten in der nachrichtenarmen Feiertagszeit, jeweils eine Handvoll seiner Leute in die Fußgängerzonen von 30 deutschen Städten geschickt, hat sie dort ein paar hundert oder tausend Gratis-Exemplare des Koran verteilen lassen und dazu pompöse Zahlen in die Welt geblasen: 25 Millionen deutsche Koran-Übersetzungen wollten er und seine Anhänger unter die Deutschen bringen.

Ob diese Zahl auch nur im Entferntesten irgendetwas mit der Realität zu tun hat, lässt sich mit Fug und Recht bezweifeln. Doch die Prahlerei hat gereicht, um dem islamistischen Selfmade-Prediger und seinen paar hundert Mitsektierern das zu bringen, was sie mit ihrer Aktion erreichen wollten: maximale Aufmerksamkeit für ihre krude, extrem fundamentalistische Auslegung des Islam. Medien berichten, Politiker empören sich, sogar der Bundestag will sich mit der Koran-Kampagne der Salafisten genannten Radikalislamisten beschäftigen.

Die Spekulation der Extremisten auf die Reflexe der Mediengesellschaft hat funktioniert, und dass ihnen breite Ablehnung entgegenschlägt, gehört zum zynischen Kalkül solcher PR-Provokation. Sie lässt die Sekte weit größer, bedeutsamer und bedrohlicher erscheinen, als sie ist - und gerade darum womöglich attraktiver für die eigentliche Zielgruppe der Aktion: junge, ihrer selbst nicht sichere Menschen, die empfänglich sein könnten für eine verführerisch simple Einteilung der komplizierten Welt in Freund und Feind, Gut und Böse, halal und haram, wie sie die Islamisten anbieten.

Allzu viele gehen ihnen nicht auf den Leim. Gerade einmal 390 sogenannte Konvertiten-Pakete haben die Salafisten nach eigenen Angaben seit letztem Herbst an "neue Geschwister" verschickt, und auch wenn ihre Zahl wächst, bleiben die Sektierer doch eine winzige Minderheit unter den rund vier Millionen Muslimen in Deutschland.

Das ist beruhigend. Das Produkt, für das sie werben, aber bleibt gefährlich. Nicht der Koran - von dem heiligen Buch der Muslime geht nicht mehr Gefahr aus als von Gratis-Bibeln, die auf den Nachttischen deutscher Hotels liegen. Aber die politische Auslegung des Islam durch die Salafisten richtet sich gegen Demokratie und Menschenrechte und liefert das ideologische Grundrauschen zur Rechtfertigung terroristischer Gewalttaten durch radikalisierte Gotteskrieger.

Es ist also richtig, dass Sicherheitsbehörden genau hinschauen, was die Radikalen im Umfeld einzelner Moscheen treiben, und gewaltbereite Vereine im Einzelfall auch verbieten. Doch wichtiger als alle Verbote muss das Bemühen sein, alles zu tun, dass sich junge Menschen in der demokratischen Gesellschaft aufgehoben fühlen. Dann läuft auch die beste Werbeaktion der Radikalen ins Leere.

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