Elektro-Duo "Schlachthofbronx" aus München:Es muss peitschen, brettern, knallen

Die Elektromusiker "Schlachthofbronx" bereisen Bühnen auf der ganzen Welt. Ihr Sound verbindet Detroiter Ghettotech, brasilianischen Baile Funk, Klänge der Roma und Zwischenrufe in Münchner Mundart. Das ist nicht subtil, aber große Kunst - und fordert zum hemmungslosen Arschgewackel auf.

Alexis Waltz

Das Youtube-Video zeigt ein seltsames Schauspiel: Eine agile Sängerin hüpft über die Bühne. Ihre abrupten, insektenhaften Bewegungen werden von einem hektischen Geratter getrieben. Hinter einem kleinen Pult stehen zwei junge Männer, bedienen versiert Maschinen. Ihre Körper werden von den Bassstößen in ein ruhiges Schwingen versetzt.

Elektro-Duo "Schlachthofbronx" aus München: Es ist nicht das, wonach es aussieht: Benedikt und Jakob sind "Schlachthofbronx".

Es ist nicht das, wonach es aussieht: Benedikt und Jakob sind "Schlachthofbronx".

(Foto: Edward Beierle)

Die beiden Strippenzieher sind die Münchner Benedikt und Jakob. Als Schlachthofbronx bereisen sie seit 2009 Club- und Festivalbühnen weltweit. Sie waren Vorgruppe von Ethno-Electro-Vordenkerin M.I.A., der Tour DJ von Kate Perry nutzte die Beats der Münchner, um auf den Star einzustimmen.

Der Idee für den ekstatischen Schlachthofbronx-Sound entstand aus der Langeweile: Alles, was als Ausgangspunkt hätte taugen können - aktueller R'n'B aus den USA etwa oder Techno aus Berlin - reizte Benedikt und Jakob nicht mehr. Tanzmusik soll nur ein Stoß sein, eine Sirene, eine peitschendes Getrommel, ein pumpender Bass, Geschrei. Etwas Unwahrscheinliches, das ebenso unwahrscheinliche Gesten und Bewegungen heraufbeschwört.

Um als Dada-Truppe mit irgendetwas zum Draufhauen und einen Megaphon bewaffnet die nächstbeste Bühne zu stürmen, waren sie dann aber doch zu sehr Musikexperten. Benedikt und Jakob ließen den Blick also an die äußersten Ränder des Pop schweifen. In die ghettoisierten Innenstädte und die Südstaaten der USA, in die Favelas von Rio de Janeiro - und in den Bayrischen Wald. Sie stießen auf Musik, die hierzulande eher als kulturelles Phänomen zur Kenntnis genommen wird: auf Baile Funk, Crunk oder Cumbia. Aber wo sich da orientieren, was wie zum Eigenen machen?

Um heute in der Clubszene bestehen zu können, muss ein DJ sich mit einem wiedererkennbaren Sound verbinden, der immer wieder bedient wird - für Benedikt und Jakob ein Bekenntnis zu Langeweile. Statt sich so zur Marke zu machen, wurden sie Aggregatoren. Jeder Schlachthofbronx Track nimmt mehr oder weniger unmittelbar einzelne oder mehrere Stile auf: "Viel ist aus dem Fantum geboren. Für uns fühlt es sich natürlicher an, das zu machen, von dem man Fan ist, also das Unterrepräsentierte, als zu sagen, ich mache nun das und das ausschließlich."

Zwischenrufe in Münchner Mundart

Detroiter Ghettotech ging genauso in ihren Sound ein wie brasilianischer Baile Funk, die Musik der Roma und Bayrische Blasmusik. Ihr an Miami Bass angelehnte Munich Bass forderte mit Vuvuzela und Zwischenrufen in Münchner Mundart zum hemmungslosen Arschgewackel auf.

Ein Kulturpessimist könnte Schlachthofbronx' sinnfreien Partyspaß als ästhetisches Minimalprogramm einer flatrate-saufenden Jugend missverstehen, die keinen eigenen Stil entwickelt at und zu abgestumpft und ahnungslos ist, um sich ernsthaft mit dem Pop der Gegenwart zu beschäftigen. Schlachthofbronx fordern aber keinen punkigen Zivilisationsbruch. Ihr Qualitätsbewusstsein schützt sie vor Beliebigkeit und Verfall: "Wir achten schon darauf, dass unsere Zutaten die wirklich guten Sachen sind, nicht ein abnutztes Mash-Up-Thema mit ein bisschen Bongo drunter. Wir wollen schon Einzigartiges verwenden: eine wirklich bahnbrechendere Nummer."

Bemerkenswert ist, wie entschieden Schlachthofbronx mit den dominierenden Formen und Ritualen der Clubmusik brechen. House und Techno zielen auf einen Fluss, der ständig in Bewegung ist, aber keine Brüche erzeugt. Die Grooves ohne Anfang und Ende erscheinen zunächst monoton und fremd. Erst nach der berühmten halben Stunde spürt der Zuhörer, ob er sich auf die Spannung und Gefühlslage der Musik einlassen kann.

Bei Schlachthofbronx dauert das Ritual des Kennenlernens nur ein paar Sekunden - und fängt mit jeder neuen Nummer neu an, denn Tempo und Rhythmen wechseln ständig. Beats und Bässe müssen innerhalb von Sekunden in die Hintern von zigtausend durchgefeierten Festivalbesuchern fahren und die Massen zum frenetischen Tanzen bewegen.

Natürlich hat Schlachthofbronx diese Art Tanzmusik zu präsentieren nicht erfunden. Ihr DJ-Stil orientiert am modernen Reggae, dem Dancehall: "Du spielst die Nummer an. Die Leute schreien. Um die Spannung noch zu steigern, stoppst du sie und startest sie noch mal. Nach 45 Sekunden kommt schon der nächste Track. Wenn man aus dem Technokontext kommt, ist das eher verstörend."

Benedikt und Jakob konstruieren die Dramaturgie ihrer Sets oft nach dem Muster "mittel-langsam, mittel-schnell, mittel-langsam, langsam, schnell, schnell, ganz schnell". Was bei einem Techno- oder House-DJ der Aufbau einer halben Nacht sein könnte, dauert bei Schlachthofbronx gerade mal sieben Minuten. Den Rahmen ihrer Sets bildet nicht die sprichwörtliche "Geschichte", die ein DJ mit seinen Platten erzählen will, sondern die physischen Kraft des Publikums: "Wenn du von Anfang an durchbretterst, dann knallt nach hinten raus natürlich nichts mehr." Die maximale Aufmerksamkeitspanne liegt bei zwei Stunden.

Schlachthofbronx' Musik ist keine Verfallsform eines anspruchsvollen Clubssounds. Eher kehren sie zum Ursprung der elektronischen Tanzmusik zurück: House wurde in den achtziger Jahren aus einem Mangel heraus erfunden: Die aufwendigen und teuren Discoorchester waren nicht mehr bezahlbar. Die elektronischen Instrumente wurden eingesetzt, weil sie der einfachste und effektivste Weg waren, Musik ohne Musiker produzieren.

Das künstlerische Potential dieses Sounds wurde später in ganzen anderen Zusammenhängen erkannt und die unmittelbare, impulsive Körpermusik zu einer vielschichtigen, komplexen Kunstform ausgearbeitet. Schlachthofbronx halten von dieser Verkünstelung nichts: "Wir finden das alles langweilig. Was im Clubmainstream produziert wird, klingt meistens sehr ähnlich. Es gibt wenige DJs, die sich wirklich etwas trauen."

Für das neue Album "Dirty Dancing" (Disko B) diente unter anderem der Trival als Ausgangspunkt, ein in Mexiko und den Latino-Communities der USA entstandenes Hybrid von traditioneller mexikanischer Musik und amerikanischer Clubmusik, "mit der dort die Abi-Partys beschallt werden".

Ganz besonders hat es ihnen Erick Rincon angetan, der den lokalen Trival Monterrey entwickelt hat. Genauso wichtig war der aus den Call-And-Response-Gesängen des Mardi Gras entstandene New Orleans Bounce, der als erster amerikanischer Hip-Hop-Stil auch einen schwulen Ableger hat, den sogenannten Sissy Bounce.

Natürlich ist die Musik, die Schlachthofbronx verarbeiten, Teil und Produkt politisch inakzeptabler, zum Beispiel sexistischer Verhältnisse. Etwa wenn nur der Tanz der Frauen Schauwert erzeugt, während die Männer zuschauen und mit den Schultern wippen. Es geht jedoch nicht darum, moralische Standards zu etablieren, sondern um eine Kette von Schockmomenten. So bearbeiten sie alle Stücke: "Alles was wir spielen, rutscht durch unsere Maschine. Ich hab das gerade noch im Hotelzimmer fertig gemacht, drücken im Club auf Play und los geht's."

Schlachthofbronx veranstalten aber auch keinen exotistischen Ghettozirkus, begeben sich nicht auf "Cheap Holiday in other people's misery". Es geht um eine echte Begegnung, auf Augenhöhe. Das gegenseitige Verständnis ist so groß, dass sie den Ghettotech-Giganten DJ Assault gar nicht mehr im Studio treffen müssen, um einen gemeinsamen Song aufzunehmen: "Wir sind mit Leuten wie ihm eng vernetzt. Gerade in Mexiko werden wir viel gespielt. Da findet ein ganz normaler Austausch statt. Uns fragen die dann, ob wir Samples von bayrischer Blasmusik haben, und das wir natürlich getauscht."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: