Streit um das Betreuungsgeld:Sie haben es so gewollt

Ausgerechnet SPD und Grüne giften gegen die mögliche Anrechnung des Betreuungsgelds auf das Arbeitslosengeld II. Dabei haben sie das System selbst erschaffen. Die Anrechnung ist eine logische Konsequenz und gilt schon jetzt für Kinder- und Elterngeld. Wer etwas anderes will, muss die Systemfrage stellen.

Thorsten Denkler, Berlin

Es rollt eine neue Welle der Empörung über das Land. Diesmal ausgelöst durch die Nachricht, dass Hartz-IV-Empfänger von dem geplanten Betreuungsgeld nichts haben sollen, weil ihnen diese Zusatzleistung auf das Arbeitslosengeld II wohl angerechnet werden wird.

Hartz IV

Wer Hartz IV erhält und den Nachwuchs nicht in eine Kindertagestätte stecken will, soll zwar Betreuungsgeld erhalten. Es wird aber auf das Arbeitslosengeld angerechnet. Wer das für unsozial hält, muss sich Gedanken machen, wie hoch das Existenzminimum, das der Staat gewährleistet, sein soll.

(Foto: dpa)

"Das ist absurd", ereifert sich ausgerechnet SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles im "Morgenmagazin" der ARD. Ihr Konstrukt: Dann gehe möglicherweise eine engagierte Mutter leer aus, nur weil sie arbeitslos sei, keinen Kita-Platz und deshalb schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe. Wohingegen es sich eine gut situierte Manager-Frau mit dem Betreuungsgeld noch besser gehen lassen könne.

Dem Grünen Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck ist die Nachricht gleich drei Twitter-Einträge wert. Für die "@DoroBaer s" dieser Republik sei das Betreuungsgeld ein "schönes Taschengeld", giftet er gegen die notorische Betreuungsgeld-Verteidigerin Dorothee Bär, stellvertretende CSU-Generalsekretärin. Alleinerziehende mit Hartz IV ohne Kita-Platz gingen dagegen leer aus. Das sei "unsozial" und überdies "bezeichnend für neoliberal-konservative Regierung, dass sie ihre eigene Mehrheit nur auf Kosten der Armen herstellen kann".

Es gibt viele gute Gründe gegen das Betreuungsgeld. Doch gerade Sozialdemokraten und Grüne müssten sich in Bezug auf die Anrechenbarkeit mit wohlfeiler Kritik zurückhalten. Die nämlich liegt im System der Grundsicherung begründet, das mit der Hartz-Reform 2005 in einer ganz großen Koalition aus SPD, Grünen, CDU, CSU und FDP eingeführt wurde.

Es mag dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen widersprechen, dass das Betreuungsgeld auf den Hartz-IV-Satz angerechnet werden soll. Doch zu den Grundlagen dieses Systems gehört, dass der Staat jedem Bürger in Not nur soweit unter die Arme greift, dass er ein im Sinne des Grundgesetzes menschenwürdiges Existenzminimum erreicht. Dazu gehört nicht nur die ausreichende Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Wohnraum, sondern auch die gesellschaftliche und politische Teilhabe. Dieses Existenzminimum spiegelt sich in den heutigen Bedarfssätzen wieder.

Halbwegs würdiges Leben

Der Bedarf ist ein wichtiges Wort in diesem Zusammenhang. Damit wird festgelegt, was eine einzelne Person minimal braucht, um ein halbwegs würdiges Leben ohne ausreichendes eigenes Erwerbseinkommen führen zu können.

Die Regel ist eindeutig: Wer mit seinem Einkommen den eigenen Bedarf oder den Bedarf seiner Familie (Bedarfsgemeinschaft) nicht decken kann, bekommt die Differenz vom Staat aufgestockt. Wer gar kein Einkommen hat, der bekommt den vollen Regelsatz.

Einkommen im Sinne des Gesetzgebers sind praktisch alle Positivposten auf dem Kontoauszug. Das gilt auch, wenn der Staat Familienleistungen überweist, wie etwa das Kindergeld, das Elterngeld oder - sollte es je umgesetzt werden - das Betreuungsgeld. Damit es kein Missverständnis gibt: All diese Leistungen werden auch an Hartz-IV-Empfänger ausgezahlt. Nur mindern sie den Anspruch auf Arbeitslosengeld II, sobald damit das Existenzminimum überschritten wird. Ausnahmen gibt es nur wenige: Um die Aufnahme von Arbeit zu erleichtern, gibt es etwa eine Hinzuverdienstregelung. Wer etwa 400 Euro dazuverdient, der darf davon 160 Euro behalten, der Rest wird vom Regelsatz abgezogen. Auch die sogenannten Bildungsgutscheine werden nicht angerechnet. Sie werden aber auch nicht bar ausgezahlt und stellen deshalb kein Einkommen dar.

In diesem System ist es die logische Konsequenz, dass auch ein mögliches Betreuungsgeld auf Hartz IV angerechnet wird. Wer das System grundsätzlich für richtig hält, der kann nur an der Höhe oder besser an der Berechnungsmethode für die Bedarfssätze schrauben. Sind etwa die Ausgaben für langlebige Gebrauchsgüter wie Kühlschrank und Waschmaschine in den Regelsätzen ausreichend berücksichtigt? Ob die derzeitigen Sätze zu hoch, zu niedrig oder gerade richtig sind, darüber lässt sich trefflich streiten. Nur würde das nichts an den Anrechnungsregeln für Zusatzleistungen ändern.

Wer hingehen Leistungen wie Kinder-, Eltern- oder Betreuungsgeld ohne Anrechnung auch Hartz-IV-Empfängern zukommen lassen will, der kann gleich die Systemfrage stellen, wie es die Linke macht. Das aber wollen derzeit weder Sozialdemokaten noch Grüne.

Als Alternative wird in fast allen Parteien ausgiebig über ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden, ob reich oder arm, diskutiert. 800 bis über 1000 Euro sollen es je nach Modell sein. Das wäre durchaus eine Alternative zum bisherigen System der Grundsicherung. Finanzierbar aber wäre es wohl nur, wenn der Staat auf alle anderen sozialen Leistungen vollständig verzichtet. Ob das dann gerechter ist, darf dahin gestellt werden.

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