Timoschenko in Haft:Merkel erwägt EM-Boykott der Ukraine

Aus Protest gegen ihre Haftbedingungen befindet sich Julia Timoschenko seit Tagen im Hungerstreik. Die Tochter der ukrainischen Oppositionsführerin appelliert an die Bundesregierung: "Retten Sie das Leben meiner Mutter, bevor es zu spät ist." Kanzlerin Merkel erwägt offenbar, die Fußball-EM in der Ukraine politisch zu boykottieren.

Im Ringen um das Schicksal von Julia Timoschenko hat ihre Tochter Eugenia die Bundesregierung in einem dramatischen Appell um Hilfe gebeten. "Retten Sie das Leben meiner Mutter, bevor es zu spät ist", sagte die 32-Jährige der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Ein Prozess gegen ihre Mutter wurde derweil auf Anordnung des zuständigen Richters vertagt. Ihre Anwälte erklärten, ihre Mandantin sei prozessunfähig und müsse wie von Ärzten der Berliner Charité empfohlen im Ausland behandelt werden.

Eugenia Timoschenko

"Retten Sie das Leben meiner Mutter, bevor es zu spät ist", appellierte Eugenia Timoschenko, Tochter der inhaftierten ukrainischen Ex-Minsterpräsidentin Julia Timoschenko, in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

(Foto: dapd)

Eugenia Timoschenko berichtete der Zeitung weiter, ihre Mutter sei vom Direktor der Strafkolonie in Charkow mit einem Faustschlag niedergestreckt worden. Julia Timoschenko befindet sich seit gut einer Woche im Hungerstreik. "Meine Mutter wird ihren Hungerstreik weiterführen", sagte sie der Nachrichtenagentur dapd. "Ich habe zwar versucht, sie davon abzubringen, weil ihre Gesundheit bereits angeschlagen ist. Aber sie sagte, sie wird nicht aufhören, bis die Führung in Kiew die medizinische Versorgung bewilligt, die von den Berliner Professoren Einhäupl und Haas vorgesehen ist."

Ohne den internationalen Druck auf die Regierung in Kiew wäre die frühere Regierungschefin der Ukraine bereits tot, davon ist Eugenia Timoschenko überzeugt. "Ich bin sicher, wenn der Druck aus Europa nicht wäre, wäre meine Mutter heute nicht mehr am Leben", sagte sie der Bild am Sonntag.

Kooperation mit EU auf dem Prüfstand

Der Umgang der Ukraine mit Timoschenko erregt weiter die Gemüter - in Berlin wie in Brüssel. Bundesaußenminister Guido Westerwelle zeigte sich über Berichte über Misshandlungen der Politikerin schockiert. EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle stellte gar die Aussicht der Ukraine auf eine Kooperation mit der Europäischen Union infrage.

"Die Weise, in der die ukrainischen Behörden Julia Timoschenko behandeln, ist gegen alle Prinzipien der Partnerschaft zwischen der EU und der Ukraine", sagte Füle der Welt am Sonntag. "Der Umgang mit ihr ist ein schmerzhafter Schandfleck für Kiew." Die Aussicht des Landes auf eine Kooperation mit der EU stellte Füle auf den Prüfstand. "Wenn die Ukraine das angestrebte Assoziierungsabkommen mit der EU abschließen will, muss sie sich an Gesetz und Demokratie halten. Die Regierung muss beweisen, dass der Vorwurf politisch motivierter Prozesse nicht gerechtfertigt ist."

Auch Westerwelle nahm die Regierung in Kiew im Fall Timoschenko in die Pflicht. "Die Berichte über die Misshandlung von Julia Timoschenko haben mich schockiert", sagte der FDP-Politiker der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Sollten die Angaben zutreffen, falle ihm die Vorstellung schwer, einfach wieder zur Tagesordnung zurückzukehren.

Europäische Werte verlangten die Achtung von Grundrechten auch von Inhaftierten. "Ich fordere die ukrainische Regierung auf, in diesem Sinne ihrer Verantwortung für die Gesundheit von Julia Timoschenko und der anderen Häftlinge gerecht zu werden", appellierte der Außenminister an die Regierenden in Kiew. Deutschland setze sich für eine Annäherung der Ukraine an die EU ein. Das gehe aber nicht ohne glaubwürdige Schritte zu mehr Rechtsstaatlichkeit.

Die Ex-Ministerpräsidentin Timoschenko wurde 2011 zu einer siebenjährigen Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs verurteilt und klagt über Misshandlungen im Gefängnis. Die Verfahren gegen sie und andere Mitglieder der früheren Regierung sind in ihren Augen Schauprozesse, um die Opposition mundtot zu machen. Die Bundesregierung bemüht sich um eine Ausreisegenehmigung für Timoschenko, damit sie einen Bandscheibenvorfall in Deutschland behandeln lassen kann. Ein weiteres Verfahren gegen Timoschenko wurde am Samstag vertagt.

Die Absage einer Reise in die Ukraine von Bundespräsident Joachim Gauck wertete Eugenia Timoschenko als "sehr starkes Signal der Unterstützung" und "Solidaritätssignal an die gesamte Opposition und alle politischen Gefangenen". Deutschland sei das Schlüsselland, um in Europa Druck auf die Ukraine auszuüben. Eugenia Timoschenko appellierte an andere europäische Spitzenpolitiker, es Gauck gleich zu tun: Kein europäischer Staatsmann mit Selbstachtung könne sich neben den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch stellen. "Er sollte boykottiert werden."

Merkel soll Boykott der Fußball-EM erwägen

Bundeskanzlerin Angela Merkel erwägt einem Magazinbericht zufolge tatsächlich einen politischen Boykott der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine. Sei die im Gefängnis erkrankte Oppositionsführerin Julia Timoschenko bis dahin nicht freigelassen worden, wolle Merkel ihren Ministern empfehlen, den Spielen fernzubleiben, berichtete der Spiegel. Allenfalls für Innenminister Hans-Peter Friedrich in seiner Funktion als Sportminister könnte in einem solchen Fall eine Ausnahme gelten.

CDU-Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein

Merkel im CDU-Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein am Donnerstag vergangener Woche: Empfehlung an die Minister?

(Foto: dapd)

Wie das Magazin unter Berufung auf nicht näher genannte Regierungskreise weiter berichtete, sagte nicht nur Bundespräsident Gauck ein Treffen zentraleuropäischer Staatschefs Mitte Mai im ukrainischen Jalta ab. Auch die Präsidenten Österreichs und Sloweniens, Heinz Fischer und Danilo Türk, hätten ihrem ukrainischen Kollegen Viktor Janukowitsch eine Absage erteilt. Keine Entscheidung trafen demnach bislang die Staatschefs Estlands und Lettlands, Toomas Hendrik Ilves und Andris Berzins.

Medwedjew nennt Haft Timoschenkos "völlig inakzeptabel"

Als "völlig inakzeptabel" hat der russische Präsident Dmitri Medwedjew die Inhaftierung Timoschenkos bei einem Treffen mit Menschenrechtlern in Moskau bezeichnet. Harte Bandagen seien in der politischen Auseinandersetzung normal, aber das rechtfertige nicht die Inhaftierung direkter Rivalen nach einem politischen Prozess, wurde der Kremlchef von der Agentur Interfax zitiert. Russland hatte bereits zuvor massiv Kritik am Timoschenko-Prozess geäußert. Moskau sieht den Fall der 51-Jährigen auch als Druckmittel der Führung in Kiew, neue Gasverträge mit günstigeren Preisen auszuhandeln.

Bayern Münchens Präsident Uli Hoeneß hat zudem die deutschen Fußball-Nationalspieler aufgerufen, sich kritisch zur Menschenrechtssituation in der Ukraine zu äußern. "Sie würden damit Größe zeigen", sagte Hoeneß dem Spiegel. Er traue den Spielern zu, "dass sie klug genug sind, sich eine Meinung zu bilden. Ich hätte Respekt vor jedem Spieler, der öffentlich Stellung zu diesem Thema bezieht."

Genau wie die Spieler sollten auch die Verantwortlichen des Deutschen Fußball-Bundes DFB ihre Solidarität mit Regimekritikern im Gastgeberland der EM öffentlich bekunden, wünschte sich Hoeneß: "Sie sollten bei jeder geeigneten Gelegenheit öffentlich darauf hinweisen, dass die Haftbedingungen von Frau Timoschenko nicht akzeptabel sind." Den Präsidenten des Europäischen Fußballverbandes Uefa, Michel Platini, forderte Hoeneß auf, sich mit deutlichen Worten gegenüber dem autoritären Regime in der Ukraine zu positionieren. "Ich hoffe sehr, dass Michel Platini an den richtigen Stellen deutlich seine Meinung äußert", sagte Hoeneß.

Box-Weltmeister Witali Klitschko einen Boykott der EM in seinem Heimatland jedoch abgelehnt. "Dieses Turnier ist das größte Sportereignis in der Geschichte der Ukraine. Es muss stattfinden. Im Gegenteil, es ist sogar eine hervorragende Gelegenheit, die Aufmerksamkeit der Welt auf die Missstände in unserem Land zu lenken", sagte der 40-Jährige Spiegel-Online.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: