Schikanen gegen Schüler:"Ich trete dir in den Hintern"

Die Vorwürfe sind massiv: Eine Lehrerin aus dem niederbayerischen Reisbach soll Kinder einer dritten Klasse drangsalieren, bloßstellen und beleidigen. Das Schulamt prüft die Vorwürfe und zwei Eltern haben die Lehrerin angezeigt. Wegen psychischer Körperverletzung.

Wolfgang Wittl, Reisbach

Zu Beginn dachten sich Anna und Patrick Reichl nichts weiter, als sich ihr Kind veränderte. Sie kannten Josef als fröhlich und ausgeglichen, sagen sie, doch plötzlich reagierte er völlig anders: Statt einer freundlichen Antwort blaffte Josef nun aggressiv zurück, dann wiederum begann er aus unerfindlichen Gründen zu weinen. Bis die Eltern wussten, dass auch die Albträume ihres Sohnes mit der Schule zu tun hatten, habe es eine Weile gedauert, erzählen sie.

Mobbing an Schulen

Wenn ein Kind Angst hat, in die Schule zu gehen, kann das oft ein Hinweis auf Mobbing sein - von Mitschülern, manchmal aber auch von Lehrern.

(Foto: dapd)

Als die Reichls mit anderen Eltern sprachen, erfuhren sie von Kindern, die ins Bett nässten, Angstzustände hatten oder ein ähnliches Verhalten wie ihr Sohn zeigten. Zuletzt sagte Josef zu seinen Eltern, dass er am liebsten eine schwere Krankheit hätte, um bloß nicht mehr in die Schule gehen zu müssen. Die Reichls haben immer wieder Tränen in den Augen, als sie ihren Fall schildern. Ihren richtigen Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen. Sie haben Angst, dass die Geschichte negative Folgen für sie und ihren Sohn haben könnte, und doch ist es ihnen wichtig, dass sie an die Öffentlichkeit gelangt.

Josef Reichl besucht eine dritte Klasse der Grundschule im niederbayerischen Reisbach (Landkreis Dingolfing-Landau). Die Probleme hätten begonnen, seit die zuständige Lehrerin die Klasse im Februar wieder alleinverantwortlich übernommen habe, berichten Eltern. Die Vorwürfe sind massiv: Die Lehrerin würde Kinder drangsalieren, bloßstellen, beleidigen und herabsetzen. In einer Mappe haben mehrere Eltern dokumentiert, wie die Frau ihren Unterreicht gestaltet. Schüler sollten sich entweder "auf ihren fetten Arsch setzen" oder "das Maul nicht aufreißen". Zu anderen sagte sie angeblich: "Wenn du so lernen würdest, wie du dick bist, hättest du lauter Einser." Oder: "Ich trete dir in den Hintern, dass du gegen die Wand fliegst."

Als ein Kind auf der Treppe stolperte, habe die Klasse statt des Musikunterrichts kollektiv Treppensteigen üben müssen. Angebliche Begründung: "Wenn ich alle bestrafe, sind die anderen auf den einzelnen sauer und der kommt irgendwann zur Vernunft." Man kennt solche Erziehungsmethoden von der Bundeswehr.

Die Lehrerin, die seit mehr als 25 Jahren in Reisbach unterrichtet, sei für ihren Stil bekannt, heißt es im Ort. Es gibt bezeugte Aussagen von ehemaligen Schülern, die von der Lehrerin an den Stuhl und Tisch gefesselt worden sein sollen, weil sie mit dem Stuhl schaukelten. Ein anderes Mal soll sie eine unbeaufsichtigte Klasse eingesperrt haben, bis Kinder versucht haben sollen, sich aus dem Fenster abzuseilen.

Eltern schwante daher nichts Gutes, als sie hörten, wer die dritte Klasse übernehmen sollte: "Aber wir wollten ihr eine Chance geben." Damit ist es vorbei: Mit aller Macht soll die Lehrerin aus der Klasse entfernt werden, das haben die Reichls im Schulamt unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.

Sofortige Suspendierung gefordert

Werner Viehhauser hat für die Familie volles Verständnis. Der 50-jährige Religionslehrer ist Fachmann für Mobbing und Streitschlichtung in der Diözese Regensburg. Seine Erfahrung: Kinder berichten aus dem Schulalltag kaum etwas, weil sie sich entweder schämten oder nicht in der Lage seien, Vorfälle zu beschreiben. Stattdessen zögen sie sich zurück und zeigten unkontrollierte Ausbrüche, wie es bei Josef der Fall ist. Besonders schlimm sei es, wenn Lehrer sich despektierlich über Schüler äußerten: "Das ist das Signal an die ganze Meute, den einzelnen zu mobben", sagt Viehhauser.

Dabei sind auch Lehrer oft Opfer eines Systems, in dem der Druck permanent steigt, etwa wenn Eltern versuchten, ihre mäßig begabten Kinder mit allen Mitteln auf eine weiterführende Schule zu schicken. Oder wenn Pädagogen zu alt und verbraucht seien, um mit Kindern vernünftig umzugehen. Das Kultusministerium biete da keinen Ausweg an.

Auch Patrick Reichl sieht die Schuld nicht nur bei der Lehrerin. Die Klasse sei lebhaft und nicht einfach zu führen. Er bescheinigt der Lehrerin sogar einen guten Unterricht, sofern sie nicht überfordert sei. Für ihn ist es unverständlich, dass die Frau mit einer Klassenführung betraut wurde, obwohl sie bereits ein Jahr krankheitsbedingt ausgefallen war.

"Viele Lehrer geben ihr Bestes und stoßen trotzdem an Grenzen", sagt Viehhauser. Ihn wundere, wie wenige dieser Fälle ans Tageslicht kämen. Der Streitschlichter weiß aus Erfahrung, wie wichtig es ist, wenn Lehrer sich über ihre Probleme austauschen können, doch nicht alle Schulleiter zeigten sich dafür aufgeschlossen. Sie arbeiten in dem Spannungsfeld, zwischen Eltern und Lehrern zu vermitteln, ohne Kollegen in den Rücken zu fallen. Doch das ist nicht immer möglich, weiß Viehhauser.

Er sagt, die Familie Reichl habe sich nichts vorzuwerfen: Sie habe alle Instanzen eingehalten und versuche nur, ihrem Kind zum Recht auf eine sichere Umgebung zu verhelfen.

Die Lehrerin selbst ist zu keiner Stellungnahme bereit. Schulamtsdirektorin Angelika Haslbeck erklärt, sie nehme die Vorwürfe sehr ernst: "Wir wollen nicht, dass etwas verharmlost wird." Bereits einen Tag nach der Beschwerde begutachtete das Schulamt den Unterricht der Lehrerin, seitdem laufen Gespräche, um eine Lösung zu finden. Auch die Regierung von Niederbayern ist eingeschaltet. Sollte es tatsächlich zu einem Verfahren gegen die Lehrerin kommen, müsste es einer verwaltungsgerichtlichen Bewertung standhalten. Das Urteil über sie fällt zudem keineswegs einheitlich aus: Ein Teil der Eltern in Reisbach etwa hält das Vorgehen der Reichls für überzogen.

Trotzdem gibt es Signale aus dem Schulamt, dass die Lehrerin aufgrund des gestörten Vertrauensverhältnisses im kommenden Jahr wohl eine andere Klasse zugeteilt bekommt. Die Reichls sagen, damit tue man weder der Lehrerin noch ihren künftigen Schülern einen Gefallen und fordern eine sofortige Suspendierung.

Am vergangenen Freitag waren Anna und Patrick Reichl mit einem zweiten Elternpaar bei der Polizei und erstatteten Anzeige wegen psychischer Körperverletzung.

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