Russischer Autor Sachar Prilepin:Schreiben, kämpfen, schreiben

Sachar Prilepin hält nicht viel von der Postmoderne und noch weniger von Wladimir Putin, doch leider: "Die Liberalen haben die Revolution verkackt!". Was er schreibt, hat er selbst erlebt, so etwa den Tschetschenien-Krieg. Ein Besuch beim vielleicht wichtigsten russischen Schriftsteller seiner Generation.

Moritz Gathmann

Er hat es von Anfang an gewusst. "Die Liberalen haben die Revolution verkackt! Sie haben die Proteste einfach den Bach runtergehen lassen", schimpft Sachar Prilepin, während er seinen schwarzen Mitsubishi-Jeep über die Schlaglöcher jagt. Aus den Lautsprechern rappt 50Cent, Prilepins Wagen hüpft wie in einem amerikanischen Gangsta-Rap-Video auf und nieder. Draußen ziehen endlose Birkenwälder vorbei, die zwischen Nischnij Nowgorod und Prilepins Dorf Jarki liegen.

Russischer Autor Sachar Prilepin: Sachar Prilepin bei einer Kundgebung im Februar 2012 - ihm war klar, dass Putin wiedergewählt werden würde, sagt er. Demonstriert hat er trotzdem.

Sachar Prilepin bei einer Kundgebung im Februar 2012 - ihm war klar, dass Putin wiedergewählt werden würde, sagt er. Demonstriert hat er trotzdem.

(Foto: Bestalex)

Es sind die Tage nach Putins Wiederwahl, und im einige hundert Kilometer entfernten Moskau weigern sich die Anführer der Proteste, die sich und den Demonstranten seit Dezember Hoffnung auf ein "Russland ohne Putin" gemacht hatten, das eigene Scheitern anzuerkennen. "Dabei war allen klar, dass er wiedergewählt würde", sagt der 36-jährige Prilepin. Das hat er schon im Dezember gesagt, als er die erste Demonstration organisierte. Aber was denn sonst? "Als auf dem Bolotnaja-Platz 100.000 standen, hätte man sagen sollen: Wir bleiben so lange hier, bis es neue Parlamentswahlen gibt. Zelte aufstellen, Feldküchen", sagt Prilepin. Klingt nach Revolution. Ist es auch. "Anders geht's nicht", sagt Prilepin. Der Mann hat Prinzipien.

Im Sommer erscheint in Deutschland Prilepins wichtigstes Buch "Sankja", und man kann es eigentlich kaum fassen, dass es so lange gedauert hat: In Dutzende Sprachen ist Prilepin übersetzt, in Frankreich verkauft sich eine Auflage nach der anderen. Doch vor allem ist Prilepin der vielleicht wichtigste Autor für jene junge russische Generation, die die Postmoderne satt hat und wieder nach Werten fragt.

Er sei es gewesen, sagt Prilepin ohne Bescheidenheit, der wieder Werte wie Familie, Ehre und Heimat in die russische Literatur gebracht habe. In Moskauer Buchläden füllen die Ausgaben seiner Romane, Essays und Kurzgeschichten ganze Regale. Er schreibt fesselnd, direkt. Aus seinen Büchern spricht ein unstillbarer Lebenshunger, der auch den Menschen Prilepin antreibt - und der ihm in der amerikanischen Newsweek den Vergleich eines "jungen russischen Hemingways" eingebracht hat. Aber es liegt auch an seiner Glaubwürdigkeit, oder wie es Prilepin ausdrückt: "Du musst für den Basar einstehen, den du veranstaltest." Was Prilepin schreibt, das hat er erlebt. Wozu er aufruft, das tut er selber. Das macht ihn überzeugend. Und ungemütlich.

Ein Kämpfer wird Schriftsteller

Sachar (eigentlich Jewgenij) Prilepin, geboren 1975, wächst in einer einfachen, aber gebildeten Familie im Gebiet Nischnij Nowgorod auf, der Vater Lehrer, die Mutter Krankenschwester. Mit 16 fängt er an zu arbeiten, als Türsteher, als Packer, nebenher studiert er Literatur. Dann heuert er bei der Omon an, einer Spezialeinheit der russischen Polizei, die besonders brutal gegen Demonstranten vorgeht. In den 90er Jahren wurden die Omon-Einheiten nach Tschetschenien geschickt. Prilepin kämpfte 1996 als Kommandeur in Grosny, dann im Zweiten Tschetschenienkrieg 1999.

Seine Erlebnisse beschrieb er in seinem ersten Buch "Pathologien" (2004). Es ist ein schwieriges Buch, weil es keine eindeutige Position einnimmt: Prilepin beschreibt, wie seine Einheit durch die Stadt streift und Zivilisten tötet. Seine Sprache ist hart, ohne ästhetische Filter: Blut spritzt, Körperteile liegen herum, Soldaten übergeben sich. Prilepin besingt die Kameradschaft der Männer, aber zwischen den brutalen Kriegskapiteln stehen gefühlvolle, sehnsüchtige aber auch eifersuchtsvergiftete Erinnerungen an seine Geliebte in der Heimat. Am Ende rächen sich die "Tschitschis", wie die Soldaten die Tschetschenen nennen: Sie stürmen den Posten der Russen, kaum einer überlebt. "Es ist alles wahr, was dort steht", sagt Prilepin.

Dass er kein Freund der Political Correctness ist, bekam vor einigen Jahren eine französische Radiojournalistin zu hören, die von ihm das übliche Lamento erwartete, wie schrecklich alles in Tschetschenien gewesen sei. "Wir Russen lieben es zu kämpfen", antwortete Prilepin, "und wir sind gerne bereit, unsere Fähigkeiten jederzeit in jedem europäischen Land unter Beweis zu stellen." Es sind Provokationen wie diese, die Prilepin problematisch machen. "Aber ich habe gemerkt, dass man mit russischen Schriftstellern anders umgeht. Man erwartet von uns, dass wir irgendwie durchgeknallt sind", sagt er.

Ein Buch, das Prilepin Feinde bringt

Mitte der 90er Jahre stößt Prilepin zu den "Nationalbolschewiken", einer radikalen Organisation mit einer kruden linksnationalistischen Ideologie, die der Schriftsteller Eduard Limonow um sich sammelt, um das Regime zu stürzen. In den Jahren des Putin-Regimes blühen die "Nazboly" auf: Sie stürmen das Empfangsgebäude der Präsidialverwaltung, übergießen den Obersten Wahlleiter mit Majonäse und verwüsten Moskauer Einkaufsmeilen. 2003 zählt die Organisation mehr als 10 000 Mitglieder. Der Staat reagiert mit äußerster Härte: Spezialeinsatzkräfte stürmen das Moskauer Hauptquartier, die Organisation wird verboten, einige Mitglieder erhalten mehrjährige Haftstrafen. Prilepin beginnt zu schreiben.

Er besingt das Russentum, aber als Kosmopolit

2005 erscheint "Sankja", eine Art Manifest der Nationalbolschewiken: Im Zentrum steht Sascha Tischin, ein junger Provinzler, der wie auf einer Eisscholle durch sein sterbendes Land treibt. Den Vater hat der Wodka hinweggerafft, seine Großeltern verleben ihre letzten Tage in einem verschwindenden Dorf. Angewidert von den Erwachsenen, die der Realität nur noch mit Zynismus begegnen, schließt sich Sascha dem "Bund der Schaffenden" an. Auf die Repressionen des Staates reagieren die Mitglieder mit Radikalisierung: Das Buch endet mit einem gescheiterten Revolutionsversuch.

Der leidenschaftlich-verzweifelte "Sankja" schlägt ein wie eine Bombe, aber Prilepin macht sich Feinde: Der Banker und Milliardär Pjotr Awen schimpft das Buch ein naives Revolutions-Pamphlet und schlägt dem Autoren und anderen Möchtegern-Revolutionären vor, lieber einen Baum zu pflanzen, ein Haus zu bauen und dem Kind abends Märchen vorzulesen. Dabei ist "Sankja" kein Aufruf zur blutigen Revolution - in den Köpfen der jungen Revolutionäre herrscht ideologische Verwirrung, und am Ende scheitern sie. Aber "Sankja" ist ein emotionales Ausrufezeichen gegen den Zynismus, den die Russen sich über die 90er Jahre angewöhnt haben.

Politisch bezeichnet Prilepin sich heute als "links-konservativ". Mit den russischen Liberalen verbindet ihn eine Hassliebe: Er wirft ihnen vor, dass sie in den 90er Jahren ihre Chance vertan haben, jene bezichtigen ihn einer nationalistischen Ideologie. Tatsächlich besingt Prilepin das Russentum, aber gleichzeitig ist er Kosmopolit. "Die Nationalisten in Russland sind allesamt durchgeknallte Verschwörungsfanatiker und Judenfresser", sagt er. Und dass er sich lieber auf dem Feld der Liberalen bewege.

Ein Preis wie "ein Unfall"

Er ist Chefredakteur der liberalen Nowaja Gaseta in Nischnij Nowgorod, er streitet mit ihnen im Radiosender "Echo Moskau", schreibt in den Hochglanzmagazinen der Hauptstadt. Der Gipfel der Hassliebe war der Juni letzten Jahres, als Prilepin den mit 100.000 Dollar dotierten Preis "Nationaler Bestseller des Jahrzehnts" erhielt - aus den Händen des Präsidentenberaters Arkadij Dworkowitsch, Ehrenvorsitzender der Jury. "Ein Unfall", sagt Prilepin. Aber ein bezeichnender: Denn Prilepin wird unter Tschetschenien-Veteranen ebenso akzeptiert wie in den höheren Moskauer Kreisen. Dutzende Male habe er schon in einer der Rubljowka-Villen gesessen: "Da erzählen mir die Vertreter der Beaumonde dann, dass sie auch schon lange die Schnauze voll haben vom Regime."

Allerdings haben auch seine weitreichenden Kontakte es nicht möglich machen können, "Sankja" zu verfilmen. "Schon drei Regisseure haben die Rechte gekauft, aber dann haben sie mir gesagt: Das geht nicht, du musst erst Surkow anrufen." Wladislaw Surkow, das ist der Kreml-Ideologe, der in den letzten Jahren die Generallinie der Medien bestimmte. Im Fall "Pathologien" schlug man Prilepin am Ende gar vor, die Handlung doch nach Abchasien zu verlegen. "Klar, in Tschetschenien herrscht Frieden, Putin bekommt dort 100 Prozent der Stimmen - so ein Film würde da nur stören", sagt Prilepin.

Er hat mit Hunderten Essays, Kurzgeschichten und Romanen gegen den Rückzug ins Private angeschrieben, gegen den ungeschriebenen Vertrag des Regimes mit den Bürgern, der besagte: Kauft Autos, fahrt in Urlaub, verdient Geld - aber haltet euch aus der Politik raus. In all seiner Paradoxität - am Erwachen der Gesellschaft hat Prilepin seinen guten Anteil.

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