Neues Album von "Gossip":Formatradiowellen schlagen

Doch, Beth Ditto klingt immer noch toll. Wie ein wütend aufstampfendes Kollermädchen im großen Porzellanladen der anderen dürren Popstimmchen. Aber ihre einst so großartige Indie-Pop-Band "Gossip" ertränkt ihr neues Album in Synthiekleister. Wie schade.

Jan Kedves

Ach, Beth Ditto. Man hat es nicht leicht mit der Bewertung ihres künstlerischen Wirkens. Klammern wir an dieser Stelle ihre aktuelle Make-up-Kollektion für MAC Cosmetics und ihre für den Herbst angekündigte Autobiografie "Heavy Cross" aus - und konzentrieren uns darauf, dass die 31-jährige Sängerin aus Arkansas mit ihrer Band Gossip nun ein neues Album veröffentlicht hat. "A Joyful Noise" (Smi Col/Sony) lautet der Titel dieses achten Gossip-Albums, und es bricht mit vielem, was man bislang von der Band kannte - und auch mit vielem, wofür man Beth Ditto mochte.

Band Gossip Beth Ditto Brace Paine Hannah Billie

Leider nur noch der lebende Beweis, dass das Wort "relax" für den Pop vorerst verloren ist: die Mitglieder der Band Gossip, Sängerin Beth Ditto, Brace Paine (l.) und Hannah Blilie.

(Foto: dapd)

Einerseits kann Ditto immer noch toll singen, sie klingt wie ein wütend aufstampfendes Kollermädchen im großen Porzellanladen der anderen dürren Popstimmchen, selbst Autotune-Effekte können ihr nichts anhaben. Auch als selbstbewusste Ikone der weltweiten queeren und adipösen Communitys ist Ditto immer noch unbedingt willkommen. Andererseits kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ihre Musikalität inzwischen unter ihrer Popularität leidet.

Sie haben sich glatt bügeln lassen", lautet der Vorwurf vieler, die die Karriere der Band von Anfang an verfolgt haben - eine in der Indierock- und Postpunk-Szene sicher viel zu reflexhaft geübte, oft engstirnige Kritik. Man will sich schließlich nichts verbieten lassen und immer wieder von Neuem emanzipieren! - vor allem Ditto, die ihre eigene Geschichte als Misfit und Missbrauchsopfer auf dem Album in die Worte kleidet: "All I ever wanted was so much more than life in a small town".

Allerdings wird diese Erzählung des Aufbruchs, wenn man nicht aufpasst, irgendwann zum argumentativen Kniff, mit dem sich sogar noch eine emanzipative Geste daraus basteln lässt, dass man mit Brian Higgins alias Xenomania zusammenarbeitet, einem britischen Studiopopmaestro, der normalerweise Kylie Minogue und irgendwelche Castingshow-Girlgroups behandelt. Er hat "A Joyful Noise" produziert.

Was fehlte der Welt?

Wie man es auch dreht und wendet: Die Musik des Albums will nicht zünden. Was hier als künstlerische Weiterentwicklung ausgegeben und von Ditto als Aufbruch in Richtung ABBA beschrieben wird, ist in Wahrheit nur die Flucht in biederste Formatradiostandards, ohne kreative Nutzbarmachung von Mängeln. Bislang war ja gerade das Interessante an der Musik von Gossip, dass sie scheinbar immer vom Defizit her gedacht war. Was fehlte der Welt?

Ein feministisch-queeres Trio, das sich eines machistisch konnotierten Sounds bemächtigt und eine kämpferische Hymne für Homorechte aufnimmt. Dass dabei das Fehlen eines Bassisten in der Band zum Vorteil umgemünzt wurde: auch toll. So bekam die Welt "Standing in the Way of Control", den nach wie vor besten Gossip-Song. Auch das letzte Album "Music for Men", inklusive des Hits "Heavy Cross", funktionierte noch auf diese Weise, denn Produzent Rick Rubin butterte die musikalischen Lücken nicht zu. Auf "A Joyful Noise" herrscht nun aber nur noch Überproduktion. Hier ein Synthiekleister, da ein Rummsbeat, die knackigen Drumrolls von Schlagzeugerin Hannah Blilie und Brace Paines scharfe Gitarrenriffs ersaufen in Elektro-Bombast. Alles, von dem es schon genug gibt und von dem man nicht noch mehr braucht.

Aller Aktivismus scheint flöten gegangen zu sein

Auch etwas anderes fehlt im Pop nicht mehr: Songs mit dem befreit herausgestoßenen Appell, sich locker zu machen. Bei Frankie Goes To Hollywood war das 1983 in all seiner offensiven Ledersex-Schwulheit noch wunderbar ("Relax, don't do it!"), und bei der 2002 von den New Yorker Scissor Sisters campy dargebotenen Pink-Floyd-Coverversion "Comfortably Numb" irgendwie auch noch ("Relax, I need some information first!"). Doch vier Jahre später bei Mika ("Relax, take it easy!") zeigte sich, dass das Wort "relax" für den Pop verloren ist - eine Reverenz, die den Ehrenden hilf- und einfallslos dastehen lässt und die Geehrten beschämt.

In "Perfect World", der aktuellen Gossip-Single, singt Ditto nun "Relax, it's only dreaming" - soll heißen: Erinnere dich an die Zeiten, als wir noch nicht die selbstbewusst Queeren sein durften, die wir sind, jetzt plädiert Obama endlich offen für die Homoehe, und trotzdem war alles nur ein Traum. Hier scheint aller Aktivismus zugunsten eines - möglicherweise pessimistisch gestimmten, im Studio aber unerträglich überzuckerten - Feelgood-Dudeldumms flöten gegangen zu sein. Man will sich nur noch die Ohren zuhalten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: