Bundesliga: VfB Stuttgart:Ankunft des Yeti

Christian Gross gilt als begabter Alleinherrscher, der große Spiele gewinnen kann. Ob Gross in Stuttgart funktioniert, wird davon abhängen, wie anpassungsfähig er ist.

Christof Kneer

Am frühen Sonntagnachmittag war Christian Gross mal wieder ein Gerücht. Er sei der Neue beim VfB, hörte man. Am späten Nachmittag rückte das Gerücht immer näher, es hieß, dieser Gross sei auf dem Weg nach Stuttgart. Am frühen Abend war aus dem Gerücht fast schon Wirklichkeit geworden, Christian Gross gibt um 19 Uhr eine Pressekonferenz, hieß es. Aber erst um 19 Uhr, als er den Presseraum des VfB Stuttgart betrat, konnte man sich endgültig sicher sein: Christian Gross gibt es wirklich.

VfB Stuttgart: Christian Gross

Christian Gross soll den VfB Stuttgart ins Achtelfinale der Champions League führen.

(Foto: Foto: ddp)

Eine sensationelle Nachricht war das, denn ein Jahrzehnt lang war Gross so etwas wie der Yeti der Trainerbranche gewesen. Alle hatten von ihm gehört, keiner hatte ihn gesehen. Vor vier, fünf Jahren war er überall ein Thema, in Hamburg, Schalke, Dortmund, Berlin. Gelegentlich tauchten in Zeitungen verwackelte Fotos von einem erstaunlich haarlosen, im Grunde eher glatzköpfigen Wesen auf. So sollte dieser Gross aussehen, überprüfen konnte das keiner. Irgendwann verstummten die Gross-Gerüchte, es wurde still um ihn wie um den Yeti, der inzwischen vermutlich in einer eisigen Höhle sitzt und seinen Yeti-Kindern Reinhold-Messner-Geschichten erzählt.

Selbst in der Schweiz, wo Gross so bekannt ist wie Ottmar Hitzfeld, haben sie kaum mehr damit gerechnet, dass sie diesen Trainer noch mal in der Bundesliga erleben. Die Schweizer Schule genießt einen guten Ruf in Deutschland, aber nachgefragt wurden zuletzt eher die verschrobenen, im besten Fall trockenen Gelehrten wie Lucien Favre oder Marcel Koller. Tüftler, Entwickler, Taktikkünstler.

Christian Gross, 55, hat bei seiner Vorstellung in Stuttgart gesagt, man werde "künftig um jeden Einwurf kämpfen".

Von Favre ist Gross so weit entfernt wie der Yeti von der Basler Altstadt. Gross liebt schnelles, direktes Spiel und große, wuchtige Stürmer, im Zweifel ist ihm ein langer Schlag auf den großen, wuchtigen Stürmer lieber als tausend Kurzpässchen. Funktioniert dieser Stil, kann er ein Stadion begeistern - wie beim FC Basel in den ersten Jahren. Funktioniert er nicht, beginnt das Stadion zu murren und sich nach tausend Kurzpässchen zu sehnen - wie in Basel zum Schluss.

Im Video: Markus Babbel übt nach seiner Entlassung harsche Kritik an den Stuttgarter Fans.

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Zehn Jahre hat Gross diesen Klub nach seinem Bilde geformt. Als er 1999 nach Basel kam, datierte der letzte Meistertitel aus dem Jahr 1975. Als Gross im Mai 2009 nach einem titellosen Jahr gehen musste, hinterließ er dem Klub vier Meistertitel, zwei Champions-League-Teilnahmen sowie den Ruf, der FC Bayern der Schweiz zu sein. Gross schuf Identifikation übers Resultat, weniger über einen hippen Spielstil, in den sich die Feuilletons verlieben. Er begreift das Spiel in seiner Tiefe, aber er weiß, wann es besser ist, einen oberflächlichen Fußball spielen zu lassen. "Das oberste Ziel ist der Nicht-Abstieg", sagte er am Montag in Stuttgart.

Gross wird versuchen, dieser verhinderten Technikertruppe einen einfacheren Stil beizubringen, und ansonsten wird er einfach Christian Gross sein: eine mal herzliche, mal autoritäre Führungsfigur, bei der sich die Spieler nicht trauen, was sie sich unter Markus Babbel trauten. Wer nur unter Protest zum Auslaufen trabt oder taktische Hinweise ignoriert, bekommt ein Problem mit diesem Coach - wie einst Jürgen Klinsmann, der 1998 bei Tottenham versuchte, sein vertraglich verankertes Mitspracherecht zur Geltung zu bringen. Tottenhams Coach, ein gewisser Christian Gross, ließ ihn dann mitsprechen, aber von der Ersatzbank aus.

Verzagte Elf vor großem Spiel

Beim VfB machen sie kein Geheimnis draus, dass es vor allem dieser Charakterzug ist, der sie an Gross zurzeit interessiert. Der Anti-Babbel soll die Elf straff führen und nebenbei eine zweite Qualität zum Einsatz bringen: Mit Ausnahme von Klinsmann hat es der souveräne Trainer immer geschafft, dass die schwierigen Spieler ihr Können für die Mannschaft nutzbar machen. Beim VfB hat er da mit Aliaksandr Hleb eine schöne Aufgabe.

Ob Gross in Stuttgart funktioniert, wird davon abhängen, wie anpassungsfähig er ist. In Basel hatte er am Ende sein eigenes Reich erschaffen, in dem alles auf sein Kommando hörte, weshalb Assistent Fritz Schmid irgendwann kündigte. Er wollte mehr sein als nur der Hütchenaufsteller. Nun kommt dieser begabte Alleinherrscher allein in einen neuen Klub, der zurzeit Probleme in allen Mannschaftsteilen hat. Die Elf ist verzagt, der Sportchef Horst Heldt wird vom mächtigen Aufsichtsrat kritisch hinterfragt, dem vom Verein zugeteilten Co-Trainer Jens Keller (bisher A-Jugend) fehlt die Profierfahrung. Und Mittelfeldass Zdravko Kuzmanovic, von Gross einst in Basel entdeckt und gefördert, droht verletzt auszufallen.

Am Mittwoch spielt der VfB gegen Unirea Urziceni, es geht um nichts weniger als das Weiterkommen in der Champions League. Aber in großen Spielen, sagen Leute, die Christian Gross gut kennen, da sei er immer am besten.

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