Euro-Krise trifft heimische Wirtschaft:Nervöse Zone Deutschland

"Made in Germany" schien immun gegen Probleme zu sein. Damit wird es wohl vorbei sein: Die Euro-Krise bremst auch die deutsche Wirtschaft. Der Einzelhandel spürt es, die Autobauer ebenso. Nun breitet sich Angst aus, Angst vor dem Abschwung.

Thomas Fromm und Hans-Jürgen Jakobs

Die Hälfte der Wirtschaft ist Psychologie, und so blies der zuständige Minister und Mutmacher vor einigen Tagen die Backen auf: "Die deutsche Wirtschaft nimmt wieder Fahrt auf", erklärte Philipp Rösler (FDP).

Irgendwie ist der Zweckoptimismus des Bundeswirtschaftsministers in der Wirtschaft falsch oder gar nicht angekommen. Der Ifo-Geschäftsklima-Index jedenfalls ist überraschend auf den tiefsten Stand seit einem halben Jahr gefallen. Danach haben die deutschen Firmen im Mai sowohl die aktuelle Lage als auch die Perspektiven deutlich trister beurteilt. Nach sechs Anstiegen in Folge rutschte der Ifo-Index von 109,9 auf 106,9 Punkte. "Die deutsche Wirtschaft steht unter dem Eindruck der gestiegenen Unsicherheit im Euro-Raum", sagt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Für seinen Konjunkturexperten Gernot Nerb ist die Korrektur "ein Signal, dass die Firmen vorsichtiger werden".

Nervöse Zone Deutschland: Bislang trotzten die heimischen Unternehmen den schweren Wettern. Da konnten die Politiker in Brüssel noch so oft über Rettungspakete für Griechenland oder eine Gesundung der Staatshaushalte reden, da konnten die Notenbanker noch so heftig Not-Geld für Banken in den Markt pumpen oder Anleihen aus Krisenstaaten aufkaufen, da konnte der Euro noch so sehr für Krisendebatten in den USA sorgen - made in Germany schien immun gegen Probleme zu sein. Die Wirtschaft wuchs ja, die Arbeitslosigkeit ging zurück, die Steuereinnahmen explodierten. Damit wird es wohl vorbei sein.

Die Chefs haben - das ist die neue Botschaft - Angst davor, dass all die Verirrungen, Navigationsfehler und Irrtümer in Europa zurückschlagen aufs Geschäft. Erst verlor die Politik den Kompass, dann der Betrieb Aufträge.

Natürlich, nach außen sieht alles nach dem Lou-van-Burg-Prinzip aus, nach dem Lieblingswort des niederländischen Showmasters: alles "wunnebar". Im ersten Quartal war die deutsche Wirtschaft um 0,5 Prozent gewachsen, teilt das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Aber das lag vor allem am Export (plus 1,7 Prozent), weniger am privaten Konsum (plus 0,4 Prozent). Und schon gar nicht an Investitionen in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge. Sie wurden sogar um 0,8 Prozent gedrosselt.

Angst breitet sich aus. Angst vor dem Abschwung. Angst, dass der China-Effekt zu Ende ist. In dem Schwellenland füllten sich die Order-Bücher zeitweise wie von alleine, doch inzwischen sind chinesische Firmen herangereift und selbst zu Konkurrenten auf den Weltmärkten geworden. Sie kaufen sich in Deutschland ein, bei gediegenen Mittelständlern. Auch das gehört zur nervösen Zone.

Wer kann, flüchtet

Ludwigsburg in der ersten Wochenhälfte: Wie in jedem Frühjahr sitzen hier die Großen der Autobranche auf dem Automobilforum. Die allgemeine Stimmung diesmal: bestenfalls gemischt. Man weiß nicht mehr, was man von all dem halten soll, vom Chaos in Athen, von François Hollande, von Spanien. Ein großer Teil Europas fällt bereits als Autokäufer aus, die Ausfuhren in die Euro-Länder sinken. Noch können die deutschen Hersteller von Luxusautos in Asien und in den USA die Misere ausgleichen, nur: Wie lange geht das gut?

"Das Menschenwachstum zeigt schon heute, wo in Zukunft die Musik spielen wird", sagt Deutsche-Bank-Analyst Eric Heymann. Der Schwerpunkt werde da liegen, wo das Wachstum am größten ist, in Entwicklungs- und Schwellenländern. Schlecht für diejenigen, die fast nur Europa haben. Schlecht für Fiat, Opel, Renault, Peugeot Citroën.

Wer kann, flüchtet. Die großen deutschen Autobauer sind längst unterwegs. Sie gehen nach China oder Indien. Dort entstehen ihre neuen Werke. Zurück bleiben viele kleine Zulieferer, die nicht wie Bosch oder Schaeffler mitgehen können. Insider berichten, wie sich die Szene verändert. Man werde sich "in den nächsten zwei Jahren weiter durchkämpfen" müssen, sagt ein Auto-Experte. Das klingt nicht gerade so, als würde der Autoindustrie eine kommode Zeit bevorstehen.

Auch der Einzelhandel zeigt sich pessimistisch. Textil- und Schuhläden spüren den Rückgang. Generell seien die Wachstumserwartungen vieler Firmen "etwas gedämpfter als im Vorjahr", findet Max Falckenberg, Unternehmensberater bei Roland Berger. Und: der Rückgang der Exporte in Europa mache Sorgen. Vier von fünf Firmen gehen davon aus, dass der Höhepunkt der europäischen Staatsschuldenkrise noch bevorstehe.

Angesichts der neuen Unsicherheit verzichtet etwa Commerzbank-Chef Martin Blessing auf eine Gewinnprognose für 2012. Sein Institut sieht Deutschland "zunehmend in den Sog der Staatsschuldenkrise geraten". Sogar die werden nervös, die auf der Seite der Gewinner stehen, zum Beispiel BMW-Chef Norbert Reithofer. Er verkauft mehr als die Hälfte seiner Autos immer noch in Europa - und fordert nun eine "weitsichtige Politik, die eine vernünftige Balance zwischen Sparen und Wachstum findet". BMW hat ein Euro-Ausscheiden Griechenlands schon durchgespielt. Der Handelskonzern Metro beschrieb intern sogar das Scheitern der Gemeinschaftswährung.

Nichts soll die Manager überraschen, wenn es nach unten geht. Und genau das erwarten die meisten.

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