Detroit in der Krise:In Motor City gehen die Lichter aus

Einst lebten 1,8 Millionen Menschen in Detroit, heute sind es nur noch etwas mehr als 700.000. Um Geld zu sparen, will die Stadtverwaltung jetzt in einigen Problemvierteln sogar die Straßenbeleuchtung abschalten. Die Botschaft ist klar: "Rückt zusammen, oder wir schreiben euch ab."

Moritz Koch, New York

Es gab eine Zeit, in der die Ruinenstadt Detroit das war, was heute das Silicon Valley ist: ein Leuchtfeuer des Fortschritts, für das Amerika in aller Welt beneidet wurde. Bis in die 60er Jahre trieb Motor City die Industriemacht Amerika zu Wachstumsrekorden. Die Fabriken Detroits produzierten den Wohlstand, den das Land brauchte, um die wachsenden Ansprüche der Mittelschicht zu erfüllen. Doch jetzt gehen die Lichter aus. Und zwar buchstäblich.

Population Of Detroit Falls By 25 Percent In Ten Years

Verlassene Häuser in Detroit: Allein seit dem Jahr 2000 ist die Bevölkerung um ein Viertel zurückgegangen.

(Foto: AFP)

Detroit ist praktisch pleite, selbst die Straßenbeleuchtung kann sich die Stadt nicht mehr leisten. 88.000 Laternen gibt es in Detroit. Nur noch 46.000 werden übrig bleiben, wenn sich Bürgermeister Dave Bing mit seinen Plänen durchsetzt: Weite Teile Motor Citys sollen in Dunkelheit versinken, da die strahlende Vergangenheit als Metropole zur untragbaren Bürde geworden ist. Detroit hat Jahrzehnte des Niedergangs hinter sich. Allein seit dem Jahr 2000 ist die Bevölkerung um ein Viertel zurückgegangen. 1,8 Millionen Menschen wohnten einst in Detroit, 2011 waren es weniger als 714.000.

Doch geschrumpft ist nur die Einwohnerzahl, die Stadtfläche ist gleich geblieben. Die Verwaltung muss Busse, Müllabfuhren, Polizeistreifen und Wartungsteams für die Straßenlaternen in fast verlassene Stadtteile schicken, um die Wenigen zu versorgen, die noch nicht weggezogen sind. Verschwendung, findet Bürgermeister Bing.

Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren über eine Renaissance der Stadt geredet. Vielleicht, so die Hoffnung, würde der Kollaps irgendwann zur Attraktion. Für ein paar Tausend Dollar kann man in Detroit ein altes Backsteinhaus kaufen, das in Manhattan Millionen kosten würde. Also kamen Musiker, Hipster und Lebenskünstler, verwandelten Brachen in Ackerflächen, verlassene Fabrikhallen in Ateliers. Doch sie können nicht ersetzen, was einst war.

Die gehobene Mittelschicht, die mit ihren Steuern einst für den Unterhalt Detroits aufkam, ist weggezogen. Spätestens nach den schweren Rassenkrawallen von 1967 zogen die Wohlhabenden in die Vorstädte und kamen, wenn überhaupt, nur noch für einen Theaterbesuch in die Stadt. Inzwischen haben selbst die zuversichtlichsten Stadtplaner erkannt: Die Steuerzahler ziehen nicht zurück. Auch jetzt nicht, da die Autokonzerne General Motors, Ford und Chrysler wieder Gewinne schreiben.

"Rückt zusammen, oder wir schreiben euch ab"

Die Big Three und ihre Zulieferer waren lange der Stolz der Stadt, mehr noch: sie waren ihr wirtschaftliches Rückgrat. Doch inzwischen haben sich die Autobauer von ihrer Heimatstadt abgekoppelt. In den 50er Jahren arbeitete jeder zehnte Einwohner Detroits in der Industrie, 200.000 Arbeiter fanden in den Fabriken einen Job. Heute arbeitet nur noch jeder 50. im produzierenden Gewerbe, weniger als 20.000 Menschen. Der Kollaps der Steuerbasis ist der Hauptgrund für die finanziellen Probleme der Stadt. Auf zwölf Milliarden Dollar summieren sich ihre Schulden, das Haushaltsdefizit steht bei 265 Millionen Dollar.

Statt die knappen Ressourcen über das Stadtgebiet zu verteilen, will Bürgermeister Bing das Geld bündeln. Und da kommen wieder die Straßenlaternen ins Spiel. Die Familien, die in verlassenen Vierteln ausharren, werden vielleicht endlich umziehen, wenn sie ihre Kinder bei tiefer Finsternis in die Schule schicken müssen. Mit weniger Licht will die Stadt nicht nur Strom sparen, sie sendet auch ein Signal an ihre Bürger. "Rückt zusammen, oder wir schreiben euch ab." Künstliches Licht unterscheidet die Zivilisation von der Wildnis. Detroit lässt sich partiell verwildern, damit der Kern der Stadt bestehen kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: