Sudetendeutschen-Tag in Nürnberg:Unbefangen auf die Heimat pochen

Die Enkelgeneration der Sudetendeutschen will Brücken bauen. Auf ihrem Jahrestag erheben nicht mehr nur jene die Stimme, die vertrieben worden sind und "den Tschechen" als Feind sehen. Doch auch die junge Generation hält an Begriffen fest, die schon lange aus dem Vokabular gestrichen sein sollten.

Corinna Nohn, Nürnberg

Die letzten Takte der Bayernhymne gehen jetzt über in die ersten der Nationalhymne, alle stehen und singen mit. Von der hinteren Saaltüre aus blickt man auf Hunderte ergraute Schöpfe, strahlend weiße Dauerwellen. Vorne, rechts und links neben der Bühne im Saal "Tokio" des Nürnberger Kongresszentrums, wird das Motto "Herkunft pflegen, Zukunft sichern" an die Wand projiziert; darunter zeigen die Schilder eines riesigen Wegweisers in Richtung "Heimat", "Herkunft", "Spurensuche" oder "Volksgruppenrecht".

Hauptkundgebung des 63. Sudetendeutschen Tags der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Auf ihrem traditionellen Pfingsttreffen haben die Sudetendeutschen ihre Forderung nach direkten Gesprächen mit der tschechische Regierung erneuert.

(Foto: dapd)

Der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft, Franz Pany, wartet auf die Einstellung des Mikrofons, und einige Besucher des 63. Sudetendeutschen Tages äußern jetzt halblaut den Gedanken, dass die Schilder zu Recht alle in andere Richtungen zeigen.

Dann spricht Franz Pany, und es geht erst mal nur in eine Richtung - alle sind auf Harmonie bedacht und auf Verständigung. Tatsächlich ist diese Veranstaltung so gar nicht zu vergleichen mit früheren. Jetzt hat die Bekenntnisgeneration, wie sie hier sagen, die Verantwortung - also jene, die Vertreibung nur aus Erzählungen kennen. Und natürlich sind sie weniger geworden.

Früher waren es Hundertausende Besucher, heute nur noch 20.000

Keine 1000 Leute sitzen jetzt im Saal, nur 20.000 Besucher werden an diesem Pfingstwochenende erwartet, früher waren es Hunderttausende. Es nehmen auch tschechische Gäste teil, das war noch vor wenigen Jahren undenkbar - teilzunehmen an diesem Treffen, wo Vertriebene immer wieder die Rückgabe der verlorenen Gebiete forderten, über die neue Ostpolitik wetterten, "den Tschechen" als Feind titulierten.

Das alles soll Geschichte sein, beteuert Franz Pany. Aber die Begriffe, die er und all die anderen in Nürnberg so selbstverständlich benutzen, sind die gleichen geblieben. Da ist die Rede von der "sudetendeutschen Sache", vom "Recht auf Heimat", vom "Volksgruppentreffen" - obwohl Historiker Wortschöpfungen wie "Volksgruppe" längst als Kampfbegriffe des Volkstumskampfs, den Adolf Hitler propagierte, enttarnt haben.

"Wir haben eine Zukunft, der Nachwuchs ist da!"

Ja, diese Begriffe, sagt Katharina Ortlepp. Die 26-Jährige ist eine von jenen, an die Vertreter des Bundesvorstands denken, wenn sie sagen: "Wir haben eine Zukunft, der Nachwuchs ist da!" Die Studentin ist Vorsitzende des bayerischen Landesverbands der Sudetendeutschen Jugend (SdJ). Jetzt rutscht sie im Foyer auf der Kante eines schreiend blauen Sofas herum und erzählt von ihrem ersten Sudetendeutschen Tag 2005. Es sei ein "Kulturschock" gewesen, sie saß damals als 19-Jährige auf dem Podium, um über die Bedeutung von Geschichte mitzudiskutieren. Wie es dazu kam? Ihre beste Freundin hätte sie mal aufs deutsch-tschechische Zeltlager der SdJ mitgenommen, es sei "einfach toll" gewesen, "alle waren so offen".

Dann sei "schwuppdiwupp" eins zum anderen und sie zum Landesvorsitz gekommen. Das lag wohl auch daran, dass es so wenige Leute gibt, die daran interessiert waren. Der Bund der Vertriebenen spricht von heute 1,3 statt einst zwei Millionen Mitgliedern in Vertriebenenverbänden, viele halten das für übertrieben; und die einst starken Jugendbewegungen der Sudetendeutschen haben bundesweit vielleicht noch 3000 Mitglieder.

"Was machst Du denn bei den Revanchisten?"

Katharina Ortlepps Onkel fragte sie damals erst mal: "Was machst Du denn bei den Revanchisten?", aber das sei ja alles nicht mehr so. Man arbeite eng zusammen mit anderen europäischen Jugendverbänden, natürlich mit einem tschechischen, auch einem kurdischen. Die Enkelgeneration könne sich unbefangen für Völkerverständigung und die Integration von Minderheiten einsetzen; überhaupt gehe es um das vereinte Europa, friedfertiges Multi-Kulti.

Hauptkundgebung des 63. Sudetendeutschen Tags der Sudetendeutschen Landsmannschaft

Mitglieder der Burschenschaft Thessalia zu Prag in Bayreuth machen den Sudetendeutschen ihre Aufwartung.

(Foto: dapd)

Das hört sich wunderbar an, und die Fotos und die tschechischem Freunde am Stand in der Messehalle zeugen davon, dass es kein leeres Bekenntnis ist. Aber stört es keinen, als Anhängsel dieses undurchschaubaren Konglomerats von Vertriebenenverbänden zu agieren? Warum nicht als deutsch-tschechischer Verein?

Katharina Ortlepp verweist auf die Tanz- und Singgruppen. "Die gehören dazu, die würde man ohne den Zusatz ,sudetendeutsch' ausschließen." Und dann erzählt sie, dass sich die Jugendbewegung doch schon immer abgekoppelt habe von der Landsmannschaft. Da gab es zum Beispiel mal eine Singtruppe, die 1978 einfach als Touristen getarnt in die Tschechoslowakei fuhr, das sei "überhaupt nicht im Sinne der Alten" gewesen. Und sie hätten in ihrer politischen Erklärung längst klar gesagt, dass Eigentumsansprüche auf die Versöhnung keinen Einfluss mehr haben dürfen - auch das habe heftige Debatten ausgelöst.

Kampf um die richtigen Begriffe

Aber es gab auch mal die grauen Hemden, in denen die Jungen jahrzehntelang aufmarschierten. Auch steht in der Satzung der Landsmannschaft nach wie vor, dass sie sich für das Recht auf Eigentum und Entschädigung einsetze, auch bekennt sich die SdJ weiterhin zur Charta der Heimatvertriebenen und fordert jenes "Recht auf Heimat" ein, mit dem die Älteren eben "mehr als das Recht auf Niederlassung" verbinden. Katharina Ortlepp eiert ein wenig herum, wenn man sie danach fragt. Dieses Recht sei nicht genau definiert, die SdJ deute es als Besuchs- und Entfaltungsrecht, aber ja, man könne da viel hineininterpretieren. Es klingt, als spreche sie über kitschige Porzellanfigürchen, die Oma auf dem Fensterbrett stehen hat, und die man abstauben muss, solange es Oma noch gibt.

Die SdJ hat auch Mitglieder, die das ganz anders sehen - etwa den 22-jährigen Tobias Endrich, der ebenfalls durch einen Freund zum Zeltlager kam und blieb, obwohl "diese pseudo-völkische Tradition" bei ihm nach wie vor ungute Gefühle auslöst. Er verbrachte schon in der Schule ein Jahr in Tschechien, studiert gerade ein Jahr in Prag und organisiert seit einigen Jahren das jährliche deutsch-tschechische Zeltlager in Gaisthal im Oberpfälzer Wald mit.

Auch als rechtsextrem eingestufte Gruppen sind vor Ort

"Eigentlich ist es die folgerichtige Weiterentwicklung, dass wir uns vom Zusatz ,sudetendeutsch' trennen", sagt er. Andererseits sei die Arbeit der SdJ seit der Wende "hervorragend, davon dürfen wir uns nicht distanzieren". So oder so: Er sehe sich "auf keinen Fall als Nachwuchs der Landsmannschaft", und ein Grund dafür dürfte der Witikobund sein, der nun im Saal "Istanbul" tagt.

Was einen erwartet, signalisiert schon ein in Sütterlinschrift verfasstes Schild an der Saaltüre: "Konstantinopel" steht dort, und der Referent der als rechtsextrem eingestuften Gruppe macht keinen Hehl daraus, dass ihn der Wandel der Landsmannschaft und auch die Haltung der Jungen schwer enttäuschen. "Damals, als die Sudetendeutsche Jugend noch was zählte", beginnt er einen Satz.

Wir müssen mit solchen Leuten fertig werden", sagt Katharina Ortlepp und sagt dann einen Satz wie aus dem Lehrbuch: "Die Sudetendeutschen sind eine Volksgruppe, es gibt eben verschiedene Strömungen." Sie selbst würde sich übrigens nie als "Sudetendeutsche" bezeichnen: Ihre Großmutter hat zwar die Vertreibung als Kind erlebt - aber aus dem polnischen Breslau.

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