Zum Tod von Margaret Thatcher:Die Unerbittliche

Als Premierministerin führte sie Krieg gegen Argentinien, gegen Gewerkschaften, gegen den Wohlfahrtsstaat. Margaret Thatcher war eine knallharte Reformerin. Eine, die es den Männern zeigte, ohne Feministin zu sein. Eine, die auch nach ihrem Tod vergöttert werden wird - und gehasst.

Ein Nachruf von Kathrin Haimerl

Es dürfte einer ihrer letzten Besuche in der Downing Street 10 gewesen sein: 2010 begrüßte David Cameron seine Parteifreundin Margaret Thatcher im britischen Regierungssitz. Die ehemalige Premierministerin trug einen hellblauen Mantel zur perfekten Thatcher-Frisur, doch die Treppen hoch zur Tür schaffte sie nur auf Camerons Arm gestützt.

Beide drehten sich zu den Journalisten um, Thatcher winkte entschlossen in mehrere Richtungen. Ein Reporter fragte: "Fühlt es sich gut an, wieder in der Downing Street zu sein?" Keine Reaktion von Thatcher, sie wirkte verwirrt. Cameron: "Es ist großartig, sie hier zurück zu haben." Dann schob sie der Premier durch die Tür.

Man hat in den vergangenen Jahren nicht mehr viel gesehen von Baroness Thatcher, die als erste Frau an der Spitze einer britischen Regierung in die No. 10 eingezogen war. Thatcher lebte regelrecht isoliert in ihrem Haus am Chester Square im Londoner Stadtteil Belgravia.

Das Bild der Eisernen Lady prägte zuletzt Meryl Streep in dem biographischen Film, an dem sich viele Tories störten, darunter auch der aktuelle Premier. Dass ihre Demenzerkrankung darin ein zentrales Motiv war, empfand er als unwürdig. Die Frau, die einst sogar Helmut Kohl Angst eingejagt haben soll, war verletzlich geworden und wusste in dem Moment möglicherweise gar nicht, welcher Mann sie da die Treppen zur Downing Street 10 hochführte. Das passte nicht in das Bild der konservativen Ikone, die bis zuletzt die Maxime des Survival of the Fittest gepredigt hatte.

London, 4. Mai 1979: Ankunft Margaret Thatchers in der Downing Street 10. Sie trug eines dieser blauen Kostüme, die wie ihre Frisur zu einem Markenzeichen ihrer Amtszeit wurden. Auf Fragen von Journalisten antwortete sie mit einer Rede, die sie mit einer Abwandlung eines Gebets von Franz von Assisi beendete:

"Where there is discord, may we bring harmony. Where there is error, may we bring truth. Where there is doubt, may we bring faith. And where there is despair, may we bring hope."

Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits den Spitznamen Eiserne Lady, den ihr die sowjetische Armeezeitung Roter Stern wegen ihrer unerbittlichen Haltung gegenüber dem Kommunismus verpasst hatte. Zielstrebigkeit und Kompromisslosigkeit waren denn auch die prägendsten Merkmale von Thatchers Politikstil, begründet in ihrer Herkunft, die ihre Ideologie maßgeblich beeinflussen sollte.

Thatcher wurde 1925 in der Kleinstadt Grantham in Lincolnshire geboren. Ihr Vater war Kolonialwarenhändler, Bürgermeister von Grantham und methodistischer Laienprediger. Er stand für alles, wofür Thatcher später kämpfen sollte. Wie zuwider ihr der Wohlfahrtsstaat war, zeigte sich bereits 1973, als sie als Schulministerin die kostenlose Schulmilch abschaffte, was ihr den Spitznamen "Milk Snatcher" (Milch-Stibitzerin) einbrachte.

1979, in dem Jahr, als Thatcher an die Macht kam, veröffentlichte die Punkband The Clash ihr Album "London Calling". Von einer Kriegserklärung singt Joe Strummer da, von einem London, das in Flammen steht. Zu diesem Zeitpunkt konnte Strummer noch nicht wissen, wie aktuell seine Zeilen in ein paar Jahren werden würden.

Thatchers Abwendung vom wirtschafts- und sozialpolitischen Konsens der Nachkriegszeit in Großbritannien hatte zunächst zur Folge, dass die Arbeitslosigkeit stieg, sich zunächst sogar verdoppelte. Besonders betroffen: ethnische Minderheiten. In Brixton, wo die Arbeitslosenquote bei 13 Prozent lag, brachen Krawalle aus, die den Londoner Stadtteil fast dem Erdboden gleich gemacht hätten. An einem Tag lieferten sich Tausende Jugendliche Straßenschlachten mit der Londoner Polizei. In der Folge kam es auch in anderen Städten zu Aufständen ethnischer Minderheiten - Ereignisse, die bei den Unruhen im Jahr 2011 böse Erinnerungen weckten.

Zwar war Thatchers Beliebtheit zu dieser Zeit an einem Tiefpunkt angelangt. Doch nur zwei Jahr später, 1983, fuhr sie einen fulminanten Wahlsieg ein. Der Grund: Der außenpolitische Erfolg gegen Argentinien im Falkland-Konflikt 1982 hatte ihr innenpolitisch großes Ansehen verschafft. Thatcher hatte einen Versuch Argentiniens, die Inseln vor Südamerika zu annektieren, mit militärischer Gewalt beantwortet - und gewonnen.

Daheim in Großbritannien setzte Thatcher ihre rigorose Privatisierungspolitik fort, sie senkte bis 1988 den Spitzensteuersatz von 83 auf 40 Prozent, kürzte Sozialprogramme, schaffte Kultursubventionen ab. Als die Bergarbeiter versuchten, die Regierung mit einem einjährigen Streik in die Knie zu zwingen, kam es zu bürgerkriegsähnlichen Szenen - größer hätte der Kontrast zum Assisi-Zitat ("May we bring harmony") nicht sein können. Vor der Kokerei Orgreave unweit von Sheffield kam es zu einer der blutigsten Auseinandersetzungen, 10.000 Bergarbeiter traten gegen 3000 Polizisten an. Ein erschütterndes Porträt des Jahres 1984 lieferte der Schriftsteller David Peace in seinem Roman GB84.

Ansichten mit paranoiden Zügen

Am Ende sollte die Eiserne Lady den längeren Atem haben: Wegen der hohen Kosten mussten die Bergarbeiter den Streik im März 1985 ergebnislos abbrechen, der Einfluss der Gewerkschaften in Großbritannien ist bis heute geschwächt.

Reformen waren im Großbritannien dieser Zeit zweifellos nötig. Das einst so stolze Land, das den Verlust des Empires noch nicht verschmerzt hatte, sah sich plötzlich auf dem Niveau eines Entwicklungslandes - mit Inflationsraten von bis zu 25 Prozent. Thatchers Reformen hatten eine Wirkung, die weit über Großbritannien hinaus ging. Gemeinsam mit US-Präsident Ronald Reagan, mit dem sie eine tiefe Freundschaft verband, setzte Thatcher eine konservative Revolution durch. Auch ist Thatcher die einzige britische Premierministerin, mit deren Name ein -ismus verbunden ist: Der Thatcherismus ist eine Mischung aus nationalistischen und radikalliberalen Elementen.

Dennoch: Eindrücke, wie kalt die Stimmung im Land zu Thatchers Zeit war, gibt die Autorin Caryl Churchill in ihrem Drama Top Girls aus dem Jahr 1982. Es ist das Porträt einer individualistischen Gesellschaft, in der wenige auf Kosten von vielen Erfolg haben. Marlene, eine der Protagonistinnen, wird nicht müde zu betonen: "Jeder kann alles schaffen, vorausgesetzt er oder sie hat das Zeug dazu". Das hätte Thatcher selbst nicht besser formulieren können. Im Umkehrschluss heißt der Satz aber auch: Wer nicht das Zeug dazu hat, den lässt diese Gesellschaft gnadenlos fallen.

Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass es ausgerechnet der Labour-Mann Tony Blair war, der Thatchers Politik fortführte. Den Tories selbst war Thatcher lange Zeit peinlich, inzwischen sehen sie ihre Politik so: Bis Ende 1979 sei das Land in der Hand selbstsüchtiger Gewerkschaften gewesen, der Müll habe sich auf den Straßen getürmt. "Wir haben England von einer industriellen Lachnummer in eine moderne Wirtschaft verwandelt. Ich bin stolz, in ihrer Regierung gewesen zu sein", sagt rückblickend ihr damaliger Minister Kenneth Clarke.

Es gehört auch zur Ironie der Geschichte, dass die erste Frau an der Spitze einer westlichen Demokratie eine Konservative war. Keine, die der modernen Frauenbewegung nahe stand. Margaret Thatcher war keine Feministin. Ihre marktradikalen Einstellungen waren geschlechtsspezifisch neutral. Die Autorin Linda Grant etwa schreibt in einem Beitrag im Guardian, Thatcher hätte sogar im Privaten die Mühen des Kinderkriegens rationalisiert - indem sie, statt zwei Kinder nacheinander auszutragen, einfach Zwillinge bekommen hätte. Es sei Thatcher nie darum gegangen, Frauen zu fördern. Und dennoch sei Thatcher eine Pionierin gewesen.

Eine Pionierin, die stets Angriffsfläche gab. Thatcher fühlte sich stets im Recht und manche ihrer Ansichten nahmen geradezu paranoide Züge an. Zum Beispiel ihre erbitterte Gegnerschaft der Wiedervereinigung und ihre Beschwörungen des Feindbilds des bösen Deutschen - inzwischen freigegebene Akten bestätigen, wie erbittert Thatcher gegen die Einheit agitierte. Doch was Pragmatismus, Arbeitseinsatz und Durchsetzungsfähigkeit anbelangte, um ihr geliebtes Land vor dem Niedergang zu retten, war Margaret Thatcher einzigartig im Europa der Nachkriegszeit.

Ausgerechnet das Jahr 1990, welches das Ende des Kommunismus markiert, den sie zusammen mit US-Präsident Reagan so hartnäckig bekämpft hatte, mündete schließlich auch in Thatchers eigenem Sturz. Wegen ihres schrillen Anti-Europa-Kurses isolierte sie sich in ihrer Partei zunehmend selbst. Im November 1990 musste Thatcher die Downing Street 10 verlassen - elfeinhalb Jahre war die Eiserne Lady im Amt, so lange wie bislang kein anderer Premier.

An dem Tag bot sich ein seltenes Bild: Thatchers sonst so perfektes Make-Up war verlaufen, über die Wangen zogen sich dunkle Schlieren, hastig wischte sie die Spuren von Tränen beiseite. Zusammen mit ihrem Pressesprecher David Ingham ging sie die Stufen von der schwarzen Tür herab. "This is it", soll er ihr zugeflüstert haben. "Das war's."

Margaret Thatcher starb am Montag im Alter von 87 Jahren.

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