Studie zu Kinderbetreuung:Ganztagsschulen im Dilemma zwischen Spiel und Unterricht

Die Zahl der Ganztagsschulen in Deutschland ist stark gestiegen, zwischen einzelnen Bundesländern herrschen jedoch noch immer gravierende Unterschiede. Auch die Qualität der Angebote schwankt. Wirklich gute Ganztagsbetreuung hängt laut einer aktuellen Studie von drei Faktoren ab.

Roland Preuß

Es sind neun Jahre, in denen sich an Deutschlands Schulen viel getan hat: Im Mai 2003 vereinbarten Bund und Länder ein Programm zum Aufbau von Ganztagsschulen, allein der Bund investierte seitdem vier Milliarden Euro, etwa in Anbauten für die Nachmittagsbetreuung. Mittlerweile bietet mehr als jede zweite Schule ein Ganztagsprogramm an - doch die Qualität der Angebote ist sehr unterschiedlich. Dies geht aus einer Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hervor, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Demnach geht der Ausbau zügig voran: Im Schuljahr 2010/2011 gab es fast 14.500 Ganztagsschulen, das sind etwa drei Mal so viele wie noch vor zehn Jahren.

Je nach Region gibt es große Unterschiede. Während man in Sachsen mit 96,5 Prozent aller Schulen von einem flächendeckenden Angebot sprechen kann, existiert beim Tabellenletzten Baden-Württemberg nur bei etwa jeder vierten Schule ein Stundenplan für den Nachmittag. Diese beeindruckenden Zahlen schrumpfen jedoch, wenn man einen Blick auf den Anteil der Schüler wirft, die solche Angebote tatsächlich nutzen. Dies sind in Sachsen drei von vier Schülern, in Bayern dagegen nur etwa jeder zehnte Schüler. Das Bundesland steht damit an letzter Stelle.

Der Unterschied zwischen Angebot und Nachfrage erklärt sich unter anderem dadurch, dass viele Schulen nur für einen Teil ihrer Schüler eine Ganztagsbetreuung anbieten, zum Beispiel nur für eine Klasse pro Jahrgang. Einer der Autoren der Studie, der Bildungsforscher Thomas Rauschenbach, betonte jedoch, dass dies nicht mit mangelndem Interesse an Nachmittagsbetreuung zu tun habe. Es gebe nach wie vor mehr Nachfrage nach den Plätzen als Angebote.

Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) erklärte in seiner Reaktion auf das schlechte Abschneiden des Bundeslandes, dass Ganztagsangebote derzeit zügig ausgebaut würden. Bereits im kommenden Schuljahr 2012/2013 werde es an 90 Prozent der allgemeinbildenden Schulen im Freistaat ein Ganztagsangebot geben, versprach der Minister.

Spaenles Reaktion illustriert auch die weitgehende Übereinstimmung, die unter den Bildungspolitikern mittlerweile parteiübergreifend herrscht. Widerstände gegen Ganztagsschulen gibt es kaum noch, stattdessen wird der Ausbau forciert. Denn zum einen ermöglicht ein Ganztagsangebot beiden Elternteilen, früher wieder voll zu arbeiten. Zum anderen wird es als Möglichkeit gesehen, unterschiedliche Startchancen von Schülern aus reichen und aus armen Elternhäusern durch eine Förderung am Nachmittag teilweise auszugleichen.

Ein flächendeckendes Ganztagsangebot mit Unterricht würde jedoch teuer kommen, wie der Bildungsforscher Klaus Klemm darlegte. Der Essener Professor hat ebenfalls für die Bertelsmann-Stiftung den Aufwand dafür errechnet. Demnach müssten die Länder jährlich zusätzlich 9,4 Milliarden Euro investieren, wenn alle Schüler ganztägig unterrichtet werden sollen.

Der Nachmittagsunterricht ist die aufwendigste, nach Ansicht der Studienautoren aber auch die beste Form von Ganztagsangeboten. Denn es gibt laut der Untersuchung keine einheitlichen Vorgaben, jede Einrichtung entscheidet für sich. Wo die eine Schule lediglich Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung oder Spiele nach dem Unterricht anbietet, setzen andere Schulen auf verpflichtende Schulstunden auch am Nachmittag. Dieser sogenannten gebundenen Ganztagsschule bescheinigt die Studie besonders große Möglichkeiten, das Lernen zu fördern. Sie biete "gegenüber der offenen Ganztagsschule die besseren Rahmenbedingungen, um jedes Kind individuell zu fördern", sagte Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung. Dies sei der Schlüssel für den Erfolg.

Viele Schulen - in den mittleren Klassen jede Dritte - böten jedoch trotz Ganztagsangebot keinen guten Rahmen für eine individuelle Förderung, bemängelt die DJI-Studie. Nach ihrer Einschätzung machen drei Faktoren eine gute Ganztagsbetreuung aus: Dass die Schüler regelmäßig teilnehmen, dass das Lernangebot ansprechend und anspruchsvoll ist und dass die Schulen mit kommunalen Anbietern wie etwa Musikschulen und Sportvereinen zusammenarbeiten.

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