Krämerbrücke in Thüringens Hauptstadt:Ponte Vecchio in Erfurt

Erfurts historische Einkaufsmeile befindet sich über der Gera, doch von dem Fluss sehen Besucher der Krämerbrücke nichts. Sie ist wie der Ponte Vecchio in Florenz links und rechts mit Häusern bebaut, in die viele Händler einziehen wollen, aber kaum einer darf das.

Paul Stänner

Die Brücke atmet, sagt Beate Kister. "Sie atmet Geschichte." Manchmal könne sie sogar noch das Pferdegetrappel auf dem Kopfsteinpflaster hören. Und das, sagt sie, habe sie verzaubert.

Krämerbrücke in Erfurt

Die berühmte Erfurter Krämerbrücke, eine beidseitig mit 32 Häusern bebaute Straßenbrücke, wurde 1325 an der Gera-Furt des uralten Ost-West-Handelsweges Via Regia (Paris-Warschau) in Stein erbaut. Außerhalb Italiens ist die Erfurter Krämerbrücke eine der seltenen erhaltenen Straßenbrücken und älter als ihre berühmte Schwester, die Ponte Vecchio in Florenz.

(Foto: DPA)

Wir stehen auf der Krämerbrücke, im Zentrum der thüringischen Hauptstadt Erfurt. Die schmale Gasse liegt noch im morgendlichen Schatten, rechts und links sind die Häuser in bunten Farben gestrichen, viele von ihnen prunken mit kunstvoll geschnitzten Balken.

Die Krämerbrücke ist wie der Ponte Vecchio in Florenz eine Brücke mit Gebäuden. Davon gibt es mehrere auch in Deutschland, aber die Erfurter Brücke ist nördlich der Alpen die einzig vollständig bebaute - 120 Meter lang ist sie, mit 32 Häusern bestanden, dicht an dicht, Balken an Balken, sodass man von der Gasse aus die träge dahinfließende Gera darunter gar nicht sehen kann. Die Brücke verströmt den romantischen Charme vergangener Zeiten. Vielleicht ist sie deshalb auch ein Sammelpunkt für einen besonderen Menschentyp.

Beate Kister zum Beispiel hat ihren Beruf als Buchhändlerin aufgegeben, weil sie malen wollte. Und sie wollte unbedingt auf die Krämerbrücke. Monatelang hat sie die Leute von der Verwaltungsstiftung bestürmt, bis die endlich ein Haus für sie gefunden hatten.

Ihr Geschäft heißt "Kleinformat" und ist wie aus einer anderen Zeit: Sie drückt die eine Hälfte ihres Fensterladens nach oben und klappt die andere nach unten, sodass er eine Auslage bildet. Jetzt ist das Geschäft geöffnet, und man kann ihre postkartengroßen, bunten Bilder betrachten, die allerlei fabelhaftes, fröhlich buntes Getier zeigen.

Wer vor dem Laden steht und die Bilder anschaut, wirft unwillkürlich einen Blick in das Zimmer hinter den Auslagen. Er sieht einen schmalen, länglichen Raum und vorn am Fenster einen runden Tisch mit allerlei Malutensilien darauf - die Bilder entstehen unter den Augen der Passanten. Sie bleiben stehen, fotografieren. "Die Leute sagen zu meinen Bildern: ,Sie müssen ein glücklicher Mensch sein'", erzählt Kister.

Ihre Wohnung ist klein und verschachtelt, die Küche kaum mehr als eine ambitionierte Kochnische. Aber wir stehen auf historischem Boden: Als sie einzog, hat Beate Kister unter dem Linoleum Ziegelsteine im alten Format entdeckt und freigelegt. Sie liebt diese Wohnung, für die sie so hartnäckig gekämpft hat, und verkündet: "Wer einmal auf der Krämerbrücke eine Wohnung hat, der gibt die nicht wieder auf."

1117 wird die Krämerbrücke über die Gera zum ersten Mal schriftlich erwähnt. Nachdem die Vorgängerin mindestens sieben Mal abgebrannt war, entschloss sich der Rat von Erfurt zu einem Steinbau, der 1325 fertiggestellt wurde. Auf beiden Ufern standen damals Kirchen, und davor postierten sich die Büttel der Stadt, die den Brückenzins erhoben, denn natürlich musste die teure Steinbrücke ihren Unterhalt erwirtschaften. Und deshalb wurde gleich zweimal, an beiden Kirchen, abkassiert.

Es ist früher Morgen. Das heißt: So gegen zehn. Noch tut sich nichts auf der Brücke. Eine Frau von kraftvoller Statur fegt vor dem Glasladen den Rinnstein sauber, kaum von Besuchern gestört. Die Krämerbrücke lebt wesentlich von Touristen, die Erfurter selbst haben keinen täglichen Bedarf nach Kunst oder Kunsthandwerk. Die Touristen sitzen noch beim Frühstück. Eine gute Zeit, um Egon Zimpel zu besuchen. Seit 1972 lebt er auf der Brücke.

Aus Afrika auf die Brücke

Der ältere Herr empfängt seine Gäste freundlich auf dem Treppenabsatz seiner Wohnung. Drinnen muss man auf seine Füße achten. Es gibt sechs verschiedene Höhenniveaus in einem Raum, Schwellen und Erhebungen, die entstanden, weil das Haus über Jahrhunderte immer wieder umgebaut wurde. Zimpel bewegt sich mit der Sicherheit einer Katze über diese Verwerfungen. "Man spürt es auch ganz leicht", sagt er, "dass immer mal eine Bewegung da ist. Das verkraftet das Haus."

Krämerbrücke Erfurt

Wer auf der Brücke steht, bekommt davon nichts mit - der Fluss Gera verschwindet hinter den Häuserreihen links und rechts.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Egon Zimpel ist Maler und Mitbegründer einer Bürgerinitiative, die sich Anfang der 1990er Jahre gegen die Vergabe der Häuser an Kettenläden engagierte. An den Wänden hängen Radierungen von Felszeichnungen, schnörkellos klare, strukturierte Darstellungen von Tieren und geometrischen Mustern. "Nach der Wende, als alle erst mal aus dem Osten Richtung Westen gingen, wollte ich lieber in die Wüste."

Den Felszeichnungen in der Sahara galt sein großes Interesse. Er hat sogar einen Film gedreht über seine Afrikareise. Dann aber zog es ihn wieder auf die Brücke zurück. In der marktwirtschaftlichen Wüste der ehemaligen DDR waren derweil Investorengruppen auf der Suche nach profitablen Anlagen. Auch die berühmte Brücke geriet in ihr Visier.

Schon in den 1970er Jahren hatten die Erfurter Behörden eine Art Gentrifikation betrieben: Die Brücke und ihre Bewohner waren ziemlich verwahrlost - "Blechbüchsenviertel", sagt Zimpel, nannte man das damals. Dann der vorsichtige Wandel. Im Sozialismus wie im Kapitalismus verfolgte man die Idee, Künstler mit preiswertem Wohn- und Arbeitsraum in heruntergekommene Stadtteile zu locken, damit sie sie kreativ gestalten. Auch in Erfurt hat das funktioniert.

Die Brücke war zwar angegriffen, aber intakt. Investorengruppen "mit großen Mobiltelefonen" reisten an, erinnert sich Zimpel. Ihm war klar: "Diese Brücke zu privatisieren, das wäre ihr Ende."

Zimpels Bürgerinitiative setzte sich durch. 1996 wurde von der Stadt Erfurt die Stiftung Krämerbrücke gegründet. 29 der 32 Häuser werden heute von ihr verwaltet, nur drei sind in privaten Händen. Der Stiftungsrat, in dem auch die Mieter vertreten sind, regelt den Zuzug auf die Brücke: Kunst, Kunstgewerbe und Delikatessen sind die Stützpfeiler des Fachwerkensembles. "Die Krämerbrücke ist so alt. Und ein alter Körper muss ständig zum Arzt, da ist ständig etwas zu machen", sagt Zimpel.

Auf alten Fotos sieht man, dass die Krämerbrücke einmal eine ganz normale Geschäftsstraße war: Ein Karl Stremberg bot 1891 Bad-, Gas-, Wasser- und Klosett-Anlagen an. Weiter hinten verkündet Ida Fritsche per Schild, dass sie alle Sorten roher Felle einkaufe. Manches ist auch gleich geblieben.

Süße Hilfe für die Krämerbrücke

Krämerbrücke Erfurt Grafik

Zentral gelegen, historisch wertvoll - der perfekt Platz für einen Laden? Wer hier verkaufen darf, bestimmt eine Stiftung, die die alten Gebäude vermietet.

(Foto: SZ Grafik)

An Nummer 23 werden heute Gewürze verkauft. Schon 1653 stand in diesem Haus ein Gewürzkrämer hinter der Ladentheke. Auf Nummer 5 befindet sich eine Schmuckwerkstatt, und die Nummer 29 sieht aus, als habe hier schon Harry Potter eingekauft - aber es gibt in der dunklen und völlig zugekramten Fachwerkstube keine Zauberstäbe, sondern Kinder- und Märchenbücher.

"Das ist auszeichnungswürdig", sagt Alex Kühn. Was genau? "Da stand einfach mal ein Typ mit Rucksack vor der Brückenstiftung und hat gefragt, ob er hier Schokolade machen kann. Und die haben einfach Ja gesagt", sagt Kühn. Der Typ war er selbst. Heute hat er sein Geschäft in der Nähe der Ägidienkirche. Nach links führt eine winzige Gasse zur Gera hinab. Hier soll einst der Augustinermönch Martin Luther um Almosen gebettelt haben. Schokolade war wohl nicht unter den Gaben.

Alex Kühn, keine 40 Jahre alt, trägt eine karierte Schirmmütze. Dazu T-Shirt, gestreiftes Halstuch, Schürze, Dreitage-Bart. Kühn ist Erfurter. Er sei mit seinem Bruder nach der Wende mit einem One-Way-Ticket nach Australien gereist, um die Welt kennenzulernen, erzählt er. Dann holte sie das Heimweh ein. "Erfurt hat uns so gefehlt, dass uns nun keiner mehr wegkriegt." Er wurde damals bei der Stiftung vorstellig und erzählte von seiner Idee, auf der Krämerbrücke Schokolade zu produzieren.

Auf die Frage nach seinem erlernten Beruf gab er an: Grafiker. Dennoch bekam Axel Kühn das Haus zum Goldenen Helm. Der Grundstock seines Unternehmens war eine geschenkte Marmorplatte, und die war wichtig, weil sie Kälte oder Wärme speichert, also kann man die flüssige Schokolade damit temperieren. "Weil ich mir anfangs keine Formen leisten konnte, zog ich die Schokolade auf der Marmorplatte aus und ließ sie trocknen, wie es gerade kam", erzählt Kühn. So sei die "Goldhelm"-Schokoladenform entstanden.

Nun musste er nur noch den Mangel an Form zur Marke erklären. Dazu macht er als gelernter Grafiker seine Verpackungen selbst, und wenn es abends schön mild ist, setzt er sich zu seinen Gästen und singt und spielt Gitarre. Innerhalb von nur sechs Jahren wurde aus dem dilettantischen Einmannbetrieb ein Unternehmen mit 30 Angestellten und zwei Standorten. Die Produkte des Selfmade-Chocolatiers verkauften sich quer durch die Republik.

Kühn freut sich, dass er seinen Lebensunterhalt mit den schönen Dingen verdient: Da gibt es eine weiße Schokolade mit Quitte und Krimsekt. Zwischendurch kommen die klassischen Haselnüsse, dann wieder so etwas Ausgefallenes wie eine Spargelpraline. Und nun auch noch dieses: "Wir haben jetzt eine Stiftungsschokolade gemacht: 50 Cent davon gehen immer an die Stiftung, um die Krämerbrücke zu unterstützen."

Informationen

Unterkunft: Direkt an der Krämerbrücke liegt das IBB Hotel Erfurt, DZ für rund 70 Euro, Tel.: 0361/674 00, www.sorat-hotels.com

Ausstellung: Haus der Stiftungen, Krämerbrücke 31, Dauerausstellung zur Brücke

Geschäfte: www.kleinformat.de; www.goldhelm-schokolade.de

Weitere Auskünfte:Tourist Information, Benediktsplatz 1, 99084 Erfurt, Tel.: 0361/664 00, www.erfurt-tourismus.de

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: