Permanente Erreichbarkeit:Sklaven des Bildschirms

Arbeit mit Smartphone und Laptop am Feierabend ist riskant: Nicht nur drohen stressbedingte Erschöpfungszustände und Burn-out, auch der Bewegungsapparat ist in Gefahr.

Werner Bartens

Entspannt ist der Urlaub nur, wenn sich eine Strandbar mit Wlan-Hotspot in der Nähe findet. Und an gewöhnlichen Arbeitstagen ist es sowieso zur unausgesprochenen Pflicht geworden, rund um die Uhr am Smartphone oder anderen mobilen Geräten online erreichbar zu sein. Der Arbeitstag endet nie, eine Mail schreiben kann man zwischendurch schließlich immer, natürlich auch am Wochenende. Feierabend mutet mittlerweile an wie ein Begriff aus dem Pleistozän der Angestelltenexistenz. Was für Selbständige wie Angestellte vordergründig nach einer flexiblen, selbst organisierten Gestaltung des Arbeitsalltags klingt, ist jedoch riskant und kann die Gesundheit gefährden.

Deshalb schlägt der Verband der britischen Physiotherapeuten jetzt Alarm: Die heimischen Sonderschichten an Smartphone, Tablet oder Laptop seien "Anlass zu großer Sorge", sagt Helena Johnson, die Vorsitzende des Verbandes. "Ein bisschen Zusatzarbeit zu Hause mag zwar kurzfristig als gelungene Lösung erscheinen, wenn diese Arbeitsverteilung jedoch zur abendlichen Routine wird, kann sie zu Rücken- und Nackenschmerzen führen und stressbedingte Leiden auslösen."

Eine aktuelle Erhebung des Physiotherapeuten-Verbandes unter mehr als 2000 Angestellten hatte ergeben, dass etwa zwei Drittel von ihnen regelmäßig außerhalb der Dienstzeiten weiterarbeiten. Im Mittel verbringen die Büromenschen täglich mehr als zwei Stunden zusätzlich an oder vor den Bildschirmen, obwohl ihre Arbeitszeit eigentlich längst beendet wäre. "Gerade bei mobilen Geräten, die mit einer Hand zu halten sind, wird die Haltung häufig vernachlässigt, und das kann zu Problemen am Bewegungsapparat führen", sagt Johnson. "Reden Sie mit ihrem Arbeitgeber darüber, ob Sie sich unter Druck fühlen und die Extra-Arbeit tatsächlich notwendig ist."

Ob die Gesundheit durch Zusatzarbeit bedroht ist, hängt nicht nur davon ab, wie lange und zu welchen Tages- und Nachtzeiten Mails beantwortet und Telefonate geführt werden. "Hohe Anforderungen an sich machen nicht krank. Es kommt immer auf die eigene Wahrnehmung an", sagt Peter Henningsen, Chef der Psychosomatik an der Technischen Universität München. "Wer den Eindruck hat, die Sache im Griff zu haben, kann es sogar anregend finden und in eine Art Flow kommen, wenn er abends noch Mails erledigt. Fühlt man sich hingegen ausgeliefert, ohne es beeinflussen zu können, drohen stressbedingte Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Leiden, Kopf- oder Rückenschmerzen, wenn man unter Druck Anfragen abarbeiten muss."

Für Arbeitgeber lohnt es sich langfristig auch finanziell nicht, wenn ihre Angestellten zwar permanent erreichbar sind, sich dafür aber ausgelaugt und immer auf Sendung fühlen. Dann drohen nicht nur die unter dem Modebegriff Burn-out zusammengefassten Stress-Leiden, sondern auch Einbußen an Schaffensfreude und Produktivität.

Der Freiburger Soziologe Ulrich Bröckling hat in seinem Buch "Das unternehmerische Selbst" beschrieben, wie aus dem smarten Selbstoptimierer schnell jemand werden kann, der sich als unzulängliches Individuum fühlt: "Wo Aktivität gefordert ist, ist es antriebslos; wo Kreativität verlangt wird, fällt ihm nichts ein; den Flexibilisierungszwängen begegnet es mit Erstarrung; statt sich zu vernetzen, zieht es sich zurück; an Entscheidungskraft fehlt es ihm ebenso wie an Mut zum Risiko; statt notorisch gute Laune zu verbreiten, ist es unendlich traurig."

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