Multitasking:Plingpling auf allen Kanälen

Wie irreführend: "Multitasking" galt einst als positive Fähigkeit, zu der angeblich nur Frauen in der Lage sind. Seitdem wir aber gleichzeitig fernsehen, telefonieren und auf einem siebenfach geteilten Computer-Splitscreen chatten, macht sich Ernüchterung breit. Frank Rieger hat einen Essay geschrieben, der das Thema unfreiwillig getreu abbildet.

Johan Schloemann

Das lief ja oft so in der Mediengeschichte: Der Mensch konstruiert Medien und Maschinen zur Datenspeicherung und Datenverarbeitung. Der Mensch ist positiv oder negativ überwältigt, in jedem Fall aber beeindruckt von den neuen Möglichkeiten, die er geschaffen hat. Und dann werden die externalisierten Datenverarbeitungsfähigkeiten der Technik wieder auf den Menschen zurückübertragen - bis man merkt, dass Schöpfer und Geschöpf vielleicht doch nicht auf identische Weise funktionieren.

So geschah es einst mit Schrift, Buch und Film. Und so geschah es auch in den achtziger und neunziger Jahren, als das "Multitasking", ein Begriff aus der maschinellen Datenverarbeitung, zu einer allgemeinen Beschreibung menschlicher Aufgabenbewältigung avancierte. Zunächst war der Begriff meist noch positiv gemeint: "Multitasking" gehörte zu den zeitgemäßen skills in den Bewerbungsunterlagen von Hochqualifizierten, oder man bezeichnete damit die Kunst gleichzeitiger Kindererziehung und Haushaltsführung, zu der angeblich nur Frauen in der Lage sind.

Doch schon in jener Zwischenzeit, als der Siegeszug des Personalcomputers im Gang war, derjenige des Internets aber noch nicht begonnen hatte, traten Warner auf - so publizierte der Businesscoach Dave Crenshaw 1988 das Buch "The Myth of Multitasking: How ,Doing It All' Gets Nothing Done".

Seitdem wir ein Fußballspiel im Fernseher laufen lassen, telefonieren und gleichzeitig auf einem siebenfach geteilten Computer-Splitscreen auf Facebook chatten, einen Flug buchen und sonstwas tun können, folgt wieder auf die Begeisterung, was man (das Gehirn) so alles nebeneinander hinkriegt, die Ernüchterung. Zuerst noch musste man das Vermögen des virtuosen Balancierens bestaunen; und war nicht schon die vormoderne Erinnerungskunst mit ihren gedachten Räumen, Schubladen und Eselsbrücken eine Art von paralleler Datenverarbeitung? Bestand nicht auch früher schon in der komplexen Koordination von Informationen und Handlungen eine Herausforderung, die Organisten, Jongleure, Restaurantköche oder Busfahrer auf ihre Art zu bewältigen hatten?

Dann aber, als man immer mehr Menschen antraf, die keine fünf Minuten Ruhe ertragen können, setzte auch gegenüber dem Echtzeit-Internet-Plingpling die Kritik ein. Die mehrkanalige Beanspruchung - entweder freiwillig aus Präsenzlust oder unfreiwillig als Arbeitsanforderung - sei doch heute so krass geworden, dass Mensch und Kultur verbildet zu werden drohten. Autoren wie Nicolas Carr, Frank Schirrmacher und Christoph Türcke verdammten in den letzten Jahren das digitale Multitasking, zuletzt sang die amerikanische Autorin Susan Cain mit großem Erfolg (man lauscht gern seinem schlechten Gewissen) das Loblied der Stille und Vertiefung.

All diese Interventionen sind der Warnung vor zu viel Ablenkung verpflichtet, wie sie William James in den "Prinzipien der Psychologie" (1890) formulierte: "Die Fähigkeit, eine wandernde Aufmerksamkeit freiwillig zu einer Sache zurückzuführen, immer und immer wieder, ist die eigentliche Wurzel von Urteilsfähigkeit, Charakter und Willen."

Und tatsächlich ist der Befund der neurologischen Forschung eindeutig: "Die menschliche Kognition ist schlecht geeignet zur Beachtung von multiplen Input-Strömen sowie zur gleichzeitigen Ausführung multipler Aufgaben", konstatiert Clifford Nass aus Stanford, der nachgewiesen hat, dass heftige Multitasker irgendwann sogar im Multitasking schlechter werden, das heißt: im Bewerten und Herausfiltern irrelevanter Information. Inzwischen gilt Multitasking im Büro auch als wirtschaftlich ineffizient.

Die digitale Überforderung als unlösbares Flaschenproblem

Die akademische Ausprägung des Multitasking nun heißt Kulturwissenschaft. Das jedenfalls scheint der Bochumer Professor Frank Rieger in seinem gerade erschienenen Essay "Multitasking" vorführen zu wollen. Viele interessante Beobachtungen und Gedanken von der Philosophie bis zur Informatik werden hier angetippt, aber stets so, dass der Text seinen Gegenstand allzu getreu abbildet. Zugegebenermaßen hatte schon die gute alte Philologie vordigitale Verzettelungstendenzen - Kommentare und Fußnoten als mentale Hyperlinks. Aber wie in diesem Opusculum spielerische Referenzen und ernstgemeinte Analysen, die Rezension von Konkurrenzwerken (Torkel Klingberg, "Multitasking", 2008), Referat und Argument, Kulturkritik und Ironisierung der Kulturkritik durcheinandergeraten sind, das kann nur mit gescheiterter Parallelverarbeitung erklärt werden.

Die digitale Überforderung, daran ändert auch Riegers Buch nichts, ist ein unlösbares Flaschenproblem: Zwar ist unser Geist ein Flaschenhals, doch zugleich ist einmal geschaffene Medientechnik ein Geist aus der Flasche, der sich nicht wieder einfangen lässt. So wichtig es ist, dass wir uns über das Wesen und die kulturellen Folgen des Internets verständigen - der Versuch, die Vielzahl von Kanälen zu bewältigen, kann immer nur auf eine Pädagogik der Mäßigung hinauslaufen.

STEFAN RIEGER: Multitasking. Zur Ökonomie der Spaltung. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 136 Seiten, 12 Euro.

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