Mohammed Mursi wird neuer Präsident:Ägypten in banger Erwartung

Mohammed Mursi wird neues ägyptisches Staatsoberhaupt - und es liegt eine gewisse Ironie darin, dass die Muslimbrüder bei der Präsidentenwahl triumphierten: Dass das Parlament aufgelöst und die Verfassung nun vom Militär kontrolliert wird, liegt auch an ihnen. Das Ringen zwischen Islamisten und Militär erreicht nun eine neue Phase.

Sonja Zekri, Kairo

Er war der "Ersatzreifen" der Muslimbrüder für die Präsidentschaftswahl, der konservative Kanalarbeiter, der spröde Apparatschik. Aber jetzt schreibt Mohammed Mursi Geschichte. Jetzt wird er der nächste Präsident Ägyptens, der erste - einigermaßen - demokratisch legitimierte Islamist an der Spitze eines arabischen Staates. Die Folgen der überraschenden Entscheidung der Wahlkommission könnten gewaltig sein für das Land, für die aufgewühlte Region.

Trotz Krise hat Ägypten als eines der wichtigsten Länder des Nahen Ostens Vorbildcharakter. Die Aussöhnung zwischen Islam und Demokratie ist eine globale Schlüsselfrage. Nur haben Ägyptens Muslimbrüder zu deren erfolgreicher Beantwortung seit dem Sturz Hosni Mubaraks wenig beigetragen.

In den letzten überreizten Tagen vor der Wahl haben die Muslimbrüder erneut ihre Integrationsbereitschaft beteuert. Frauen, Christen, Revolutionäre seien in der Regierung denkbar, hieß es. Wenige Stunden darauf verlautete das Gegenteil. Wo auch immer sie in den vergangenen Monaten einen Fußbreit Machtzuwachs ahnten, drängten sie nach vorn. Dass das Parlament aufgelöst und die Verfassung nun vom Militär kontrolliert wird, dass die Generäle überhaupt den fragilen demokratischen Übergang mit so viel Zustimmung aus dem Volk blockieren konnten, ist auch die Folge ihrer Gier. Der künftige Präsident hat seine eigene Entmachtung mit zu verantworten.

Mit den Stimmen von nur 13 der 50 Millionen Wahlberechtigten

Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass die Muslimbrüder nach ihrer erbärmlichen Vorstellung im Parlament nun bei der Präsidentenwahl triumphierten - mit den Stimmen von nur 13 der 50 Millionen Wahlberechtigten. Im Taumel der Möglichkeiten haben sie übersehen, dass sich nicht alle, die ihnen nun ihre Stimme gegeben haben, ein Teheran, ein Riad wünschen. Der Abscheu vor dem Mubarak-Mann Schafik hat ihnen auch jene in die Arme getrieben, die einen Gottesstaat ablehnen.

Mohammed Mursi hat außer seinem Wehrdienst keine militärische Erfahrung. Er hat Mitte der Achtziger in Kalifornien in Raketentechnik promoviert und ein paar Jahre in Amerika gelebt. Nach 60 Jahren wird das oberste Staatsamt in Ägypten damit nicht mehr vom Militär besetzt. Dies, immerhin, ist ein Gewinn. Ob die Ägypter ihn aber mit dem Durchgriff auf ihr persönliches Leben bezahlen müssen, ob die Christen, die Frauen, Liberale nach den Vorstellungen einer fossilierten Ideologie leben müssen, wird abhängen von der Lernfähigkeit der Muslimbrüder wie von der Kompromissbereitschaft der Generäle. Beide waren bislang verschwindend gering.

Dass die Generäle sich überhaupt auf einen Islamisten als Präsidenten eingelassen haben, dürfte mit der Angst vor Unruhen im Falle einer Aberkennung des Wahlsieges zu tun haben, aber auch daher rühren, dass sie ihn für kontrollierbar halten. Das Ringen zwischen Islamisten und Militär erreicht nun eine neue Phase.

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