Programm für Brasiliens Häftlinge:Wer liest, kommt früher raus

Überfüllte Gefängnisse, Haft unter katastrophalen Bedingungen und Folter sind Alltag für brasilianische Gefangene. Jetzt können sie ihre Haftzeit zumindest ein wenig verkürzen - durch Lesen.

Friederike Hunke

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International spricht von "grausamer, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung"; nicht selten werden in Brasiliens Gefängnissen Häftlinge gefoltert. Insassen in vier staatlichen Haftanstalten haben nun die Möglichkeit, diesem Alltag früher zu entfliehen - indem sie Bücher lesen.

Häftlingsaufstand in Brasilien

In vielen brasilianischen Gefängnissen ist Chaos an der Tagesordnung, so wie hier bei einem Häftlingsaufstand in Porto Velho. Jetzt können Gefangene durch Lesen ihre Haft verkürzen.

(Foto: dpa/dpaweb)

Bis zu vier Wochen Zeit bekommt ein Häftling, um ein Werk über Philosophie, Wissenschaft oder klassische Literatur zu lesen. Anschließend soll er mit einem Aufsatz beweisen, dass er sich wirklich mit dem Inhalt des Buches beschäftigt hat. Dieser sollte möglichst fehlerfrei und in Schreibschrift geschrieben sein. Ränder und Absätze dürfen ebenfalls nicht fehlen.

Mit jedem beendeten Aufsatz werden dem fleißigen Häftling vier Tage seiner Haftzeit erlassen. Da bis zu zwölf Bücher im Jahr behandelt werden dürfen, kann ein lesefreudiger Insasse so seine Haft um insgesamt 48 Tage pro Jahr verkürzen.

Die brasilianische Regierung hat das Programm "Erlösung durch Lesen" erst letzte Woche vorgestellt, es wird allerdings bereits seit 2009 im Gefängnis in Catanduvas praktiziert. Das bestätigte die Pressesprecherin des Justizministeriums, Carolina Valadares nun. Laut Valadares gilt das Gesetz nur für die vier Bundesjustizvollzugsanstalten, in denen Straftäter überwiegend kurzzeitig inhaftiert sind.

Reintegration durch Bildung

"Das Ziel des Programms ist die soziale Reintegration durch Bildung", so Valadares. Gerade für diejenigen, die nur eine verhältnismäßig kurze Haftstrafe absitzen müssen, sei es schwierig, regelmäßige pädagogische Aktivitäten anzubieten. Lesen sei eine gute Methode, um die Insassen fortzubilden und ihnen so zu helfen, "bessere Menschen" zu werden.

Der Anwalt Andre Kehdi aus Sao Paulo leitet ein Bücherspenden-Projekt für Gefängnisse. Er lobte das Programm gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: "Eine Person kann das Gefängnis aufgeklärter und mit einer erweiterten Sicht auf die Welt verlassen."

Das kreative Programm könnte ein erster Versuch seitens der brasilianischen Regierung sein, wieder Herr über die Lage in den Haftanstalten zu werden. Laut Amnesty International kontrollieren vielerorts kriminelle Banden die Gefängnisse, was bereits zu vielen Toten geführt hat.

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