Verfassungsschutzpräsident Fromm tritt zurück:Einer muss den Kopf hinhalten

Das Ausmaß an Schlamperei und Dilettantismus in den NSU-Ermittlungen war im Bundesamt für Verfassungsschutz am Ende einfach zu groß. Dass mit Präsident Heinz Fromm nun ausgerechnet jemand gehen muss, der niemals blind für die Gefahr von rechts war, ist Ironie der Geschichte. Die Ahnungslosigkeit zog sich durch viele Behörden und Ministerien.

Tanjev Schultz

Einer muss nun gehen. Das Versagen der Sicherheitsbehörden rund um die Zwickauer Terrorzelle war bisher ohne personelle Konsequenzen. Jetzt hat der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz sein Amt aufgegeben. Dieses Signal war wichtig, das Ausmaß an Schlamperei und Dilettantismus in Fromms Behörde war einfach zu groß. Den Präsidenten mag keinerlei persönliche Schuld an der Vernichtung wichtiger Akten treffen. Als Chef trägt er aber die Verantwortung dafür, wenn seine Beamten jedes Gespür für korrektes und umsichtiges Verhalten vermissen lassen.

Die Aktenaffäre zeigt erneut, wie schwer der Verfassungsschutz zu regieren und zu kontrollieren ist. Mit Verbergen, Vernichten und Verheimlichen kennen sich die Mitarbeiter des Geheimdienstes allzu gut aus. Umso schwieriger ist es, ihnen beizubringen, dass sie die Demokratie und den Rechtsstaat schwerlich verteidigen können, wenn sie deren Prinzipien selbst missachten - oder sogar verachten.

Es gibt bisher keinerlei Belege dafür, dass hinter der Aktenaffäre ein groß angelegtes Komplott stünde, eine gewaltige Vertuschungsaktion, die den Verfassungsschutz direkt hineinzöge in die rechtsextreme Mordserie der Zwickauer Zelle. Doch viele Bürger halten mittlerweile alles für möglich, der Verfassungsschutz hat in den vergangenen Jahren einfach zu viel Vertrauen verspielt.

Er musste oft auch als verlängerter Arm für fragwürdige Parteienkämpfe herhalten. Es ist schwer zu verstehen, warum der Geheimdienst seine Kraft darauf verschwendet, gemäßigte Politiker der Linken auszuspionieren, während er auf der anderen Seite unfähig war, drei Neonazis aus Thüringen zu finden, die sich mitten in Deutschland versteckten, zehn Menschen ermordeten und etliche Banken ausraubten. Die Ironie der Geschichte will es, dass in Heinz Fromm ausgerechnet ein Mann zurücktritt, dem man nicht vorwerfen kann, für die Gefahren von rechts blind gewesen zu sein. Er hat oft davor gewarnt, die Neonazis zu unterschätzen. Die Politik wollte es nicht immer hören.

Beim Nagelbombenanschlag 2004 in Köln, den - wie man nun weiß - ebenfalls die Neonazis verübten, schloss der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) sofort einen rechtsextremen Hintergrund aus. Zwei Jahre später schwächte sein Nachfolger Wolfgang Schäuble (CDU) den Verfassungsschutz, indem er die Abteilung zur Beobachtung des Rechtsextremismus mit der Abteilung für Linksextremismus zusammenlegte. Fromm warnte ebenso vehement wie vergeblich vor dieser Fusion.

Ahnunglosigkeit in vielen Behörden und Ministerien

Er war ein nach außen stets sehr loyaler Beamter. Zweifel an den Prioritäten der Politik ließ er sich nicht anmerken. Verantwortung trugen jedoch nicht nur die Sicherheitsbehörden, sondern auch die Innenminister. Dieser Vorwurf geht nicht zuletzt an die damaligen Ressortchefs in Thüringen und Sachsen, die es zugelassen haben, dass ihre Polizei und ihr Verfassungsschutz sich gegenseitig belauerten und bei der Suche nach dem Terrortrio völlig versagten.

Heinz Fromm hätte dem Land mit seinem Rückzug also keinen guten Dienst erwiesen, wenn jetzt der Eindruck entstünde, der Hauptverantwortliche des Versagens sei gefunden. Die Ahnungslosigkeit zog sich durch viele Behörden und Ministerien. Und sie zog sich hinein bis in die Büros der Journalisten.

Harsche Kritik kann üben, wer auch zur Selbstkritik fähig ist. Die Medien, einschließlich dieser Zeitung, haben in all den Jahren, in denen die Neonazis mordend durchs Land zogen, keine richtige Idee gehabt, was und wer hinter den Taten steckte. Sie haben in den üblichen Konjunkturwellen über Neonazis berichtet, einige immerhin nach Signalen für einen rechten Terrorismus aus dem Untergrund gefragt. Auch die Journalisten haben zu wenig auf die Stimmen der Türken gehört, die schon früh rechtsextreme Täter vermuteten. Das war ein Fehler.

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