Bob Dylan im Konzert:Heilige Nebelkrähe

Bob Dylan auf Deutschlandtour: Wie immer werden ein paar Songs verhunzt. Doch es gibt auch genug brillante Momente. Was denkt sich dieser Kerl eigentlich so den ganzen Abend lang, wenn er da oben im grauen Gutsbesitzeranzug auf der Bühne steht?

Joachim Hentschel

Was denkt dieser Typ sich eigentlich? Jetzt mal gar nicht empört oder entrüstet gefragt, sondern ernsthaft, interessiert: Was denkt sich Bob Dylan wohl so, den ganzen Abend lang, wenn er im grauen Gutsbesitzeranzug da oben auf der Konzertbühne steht? Freut er sich, dass so viele gekommen sind und dass es den Zuhörern nicht auf die Köpfe regnet (bis es dann doch noch anfängt, gegen jede Vorhersage, wie immer in der apfelgoldenen Open-Air-Saison)? Überlegt er sich, was er als Nächstes singen soll, sieht er vielleicht sogar irgendwo in der Ferne einen gigantischen, feurigen Weißkopfseeadler am Himmel, auf dessen Schwingen diese irrsinnig vielen Songtexte stehen, die er sich sonst alle merken müsste? Oder fällt ihm einfach nur ein, dass er etwas Wichtiges vergessen hat?

Bob Dylan im Konzert

Übers Ziel hinaus und gleich wieder zurück: Bob Dylan tut, was Bob Dylan tun muss.

(Foto: Ben Stansall/AFP)

Früher, richtig früher, vor 50 Jahren, also in einer ganz anderen Zeit, da hat Dylan viel geredet bei seinen Auftritten. Hat ein bisschen was über seine Lieder erzählt, Witze gemacht. Hat sein Publikum in der unsicheren Sicherheit gewogen, dass er sich damit selbst erklären würde. Die seinem Werk angemessene Rätselhaftigkeit ließ er erst später auf die Leute los, dafür mit aller Wucht.

Im Sommer 2012, am Montagabend in der Zitadelle Berlin-Spandau, beim ersten von vier Deutschlandkonzerten, hätte jedenfalls keiner der 7000 Besucher auch nur annähernd damit gerechnet, dass Bob Dylan von der Bühne herab mehr sagen würde als die Namen seiner Musiker bei der Bandvorstellung zum Schluss. Dass er eventuell ein unveröffentlichtes, neues Stück vorstellen oder überhaupt mal wieder wirklich singen würde, im engen Sinn des Begriffs, anstatt seine Texte mit Donner- und Blitzstimme und ein paar leichten Modulationen zu rezitieren.

Dass an seinem Mienenspiel abzulesen sein könnte, was er über die derzeitige amerikanische Innenpolitik oder den Euro denkt. Und dass es eine größere Programm-Überraschung geben könnte als das schöne Stück "She Belongs To Me", das er seit 1965 zwar schon 226 Mal öffentlich gesungen hatte. Aber seit September 2008 nicht mehr. Wahnsinn, fast vier Jahre lang.

Ende Mai im Weißen Haus hatte Dylan ja extra eine Sonnenbrille getragen. Und dadurch auch wieder verhindert, dass irgendwer irgendwelche Gefühle finden konnte, als er von Barack Obama die Freiheitsmedaille des Präsidenten bekam. Eine Auszeichnung, die ihn nun endgültig in eine Reihe stellt mit Desmond Tutu, Nelson Mandela, Papst Johannes Paul II. und, nun ja, Kirk Douglas. Von denen wiederum keiner einen Grammy hat. Um ein Haar hätte er sogar jüngst den Literaturnobelpreis gewonnen.

"Blowin' In The Wind", Version 1090

Zumindest darüber könnte sich nun endlich mal wieder jemand wundern: dass dieser Dylan, der Dichterfürst und hochdekorierte Soldier of Love, mit 71 tatsächlich noch immer auf Tournee ist, höchstpersönlich bei den Leuten im Heimatwinkel vorbeischaut, in Berlin, Dresden, Bonn, Bad Mergentheim. Im Grunde ist das ja so, wie wenn Walt Whitman auf Lesereise ginge oder Tennessee Williams persönlich ins Dorftheater käme, um seine Stücke vorzuspielen und hinterher eine Wurst zu essen. Sicher kann der Veranstalter einem vorrechnen, wie Dylan mit rund 100 Konzerten im Jahr sein neues Haus in Wisconsin abbezahlt, aber ebenso gut scheint dieser Künstler zu wissen, dass es halt niemals reichen würde, solche Songs einmal auf Band zu singen, festzuklopfen, definitiv hinzuschnitzeln. Dass Musik immer Performance bleiben wird, wenn man sie richtig macht. Sing- und Tanzkunst, Wiederholzwang, also keine Literatur, aber egal.

In Spandau, am Montagabend, beendete Dylan die Show nach gut anderthalb Stunden übrigens mit "Blowin' In The Wind", der laut Statistik insgesamt 1090. Version. Dem Song, den er bereits im August 1963 gespielt hatte, als auch der kleine Bob schon mal in Washington war, beim Bürgerrechtsmarsch, wo er kurz nach Martin Luther King drankam, gleich nach der "Ich habe einen Traum"-Rede, und ins selbe Mikro sang. Da faltet sich die Zeit doch gleich auf Größe eines Papierschiffchens, flupp, und trotzdem: Niemand wundert sich, niemand fühlt sich seltsam. Ehrerbietung hat Bob Dylan seinen Fans - auch wenn allzu oft das Gegenteil behauptet wird - ausgetrieben. Sie finden ihn eher niedlich.

Platz für eine neue Bedeutung

Ansonsten: erstaunlich viele junge Leute da, fast so viel blonde Locken wie weißgraue Pferdeschwänze. Wie immer wurden ein paar Songs verhunzt, aber es gab umso mehr brillante Momente, das alte "Tangled Up In Blue" mit extrovertierter Gestik, das relativ neue "The Levee's Gonna Break" als Swing mit Kapellmeister Dylan am kleinen Flügel. Beim Marathon-Gedicht "Desolation Row" kommt er dann in größte Experimentierlaune, schießt übers Ziel hinaus und gleich wieder zurück, phrasiert, frisiert, dengelt die Strophen, als wolle er den eigenen Worten die alte Bedeutung austreiben, um Platz für eine neue zu schaffen.

Und da schnackelt es dann. Da erkennt man ihn endlich, diesen oft übersehenen Grund, warum Bob Dylan alias Robert Zimmermann alias Heilige Nebelkrähe noch immer all diese Konzerte spielt: weil er sich so gerne selbst zuhört. Weil ein Künstler wie er nur funktionieren kann, solange er am eigenen Körper spürt, wie seine Stimme in den Verstärkern rumort und wütet. Und das geht eben nur auf der Bühne. Solange er lärmt, solange etwas zurückkommt, ein Feedback, ein Beben, eine Erneuerung.

Man könnte sich jetzt aufschwingen und sagen: Bob Dylan, das ist die mythische Stimme, die von Amerika aus auf Reisen gehen muss. Weil sie sich sonst nicht mehr hören könnte. Nicht mehr wüsste, ob sie überhaupt noch da ist, die Deutungshoheit über sich selbst hat. Wahrscheinlich denkt Dylan sogar selbst daran, in den kurzen Momenten, wenn man ihn auf der Bühne lächeln sieht. Aber da hat der Wind die Antwort schon fortgepustet, im Jubel der 7000 Leute steht ein alter Mann mit Gitarre. Und wir wissen lediglich, dass wir ihn wiedersehen werden.

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