Debatte über Euro-Rettungspläne:"Der Aufruf ist eine Schande"

Scharfe Kritik an den Kritikern: Immer mehr Professoren geißeln den Euro-Appell von 190 Wirtschaftswissenschaftlern um Hans-Werner Sinn als alarmistisch und formulieren Widerreden. Über den großen Aufruhr unter deutschen Ökonomen.

Marc Beise

Am Anfang stand ein Aha-Erlebnis. Der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer las ein Interview seines Münchner Professoren-Freundes Hans-Werner Sinn, in dem dieser vor den Gefahren der jüngsten Euro-Rettungspläne warnte. Krämer war aufgewühlt, und er verfasste einen offenen Brief an die Deutschen gegen eine weitere Vergemeinschaftung der Euro-Schulden. Sinn war sehr einverstanden und der erste Gegenleser, wie andere Unterzeichner auch redigierte er den Text.

Als 40 Unterschriften vorlagen, sandte Krämer den Brief an diesem Dienstag an den großen Kreis deutscher Volkswirte, die im traditionsreichen "Verein für Socialpolitik" organisiert sind. Die Resonanz ist beachtlich, bis heute sind 190 Unterschriften zusammengekommen, und es werden täglich mehr. Viele im Fach angesehene Professoren sind darunter. Andere Koryphäen, auch solche, die als Kritiker der Rettungspolitik bekannt sind, verweigerten sich. Sie stören sich vor allem an der Tonlage des Aufrufs ("geholfen wird vor allem der Wall Street", "zu Lasten der hart arbeitenden Bürger"). Manche, wie der Bonner Geldpolitiker Manfred J.M. Neumann, beklagten Schwächen der Argumentation.

In einer Mail an die Initiatoren des Aufrufs brachte Neumann Beispiele: Wenn in der ersten Fassung des Briefs die Rede sei von "Entscheidungen, zu denen die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen wurde", so müsse man doch sagen: Gezwungen worden sei Merkel nicht. Sie habe eine Abwägung der relativen Kosten getroffen, der man natürlich nicht zustimmen müsse. Man könne sich auch gegen die Einführung einer Bankenunion aussprechen, "sollte aber zuvor verschiedene Argumente kühl abwägen, damit die Leser die kritische Position nachvollziehen können. Beispielsweise wäre eine zentrale Bankenaufsicht, die sämtliche Banken gleich behandelt, m. E. sehr zweckmäßig", so Neumanns Petitum.

Obwohl einige der Formulierungen noch geändert wurden, bleibt Neumann bei seiner Haltung: Ein "gefühlvoller Aufruf der Empörung" sei vielleicht für die Medien interessant, "aber wir Wissenschaftler sollten solche Aufrufe nicht verfassen oder unterzeichnen". Ähnlich und schärfer reagierten andere Kollegen, die vom Handelsblatt und der FTD befragt wurden. "Der Aufruf ist befremdlich", sagt der Brüsseler Ökonom Daniel Gros. "Der Ton erscheint mir vollkommen unangebracht. Eine ökonomische Einordnung fällt mir schwer, denn der Aufruf enthält keine richtigen ökonomischen Argumente." Noch schärfer reagierte der belgische Volkswirt Paul de Grauwe: "Ich bin entsetzt. Der Aufruf ist eine Schande."

Sieben Ökonomen taten sich auf die Schnelle zusammen, um im Handelsblatt eine kurze Widerrede zu formulieren. Bewusst taten sich Vertreter mehrerer Lager zusammen, die eher "linken" Peter Bofinger und Gustav Horn ebenso wie der konservative Friedrich Schneider und die Pragmatiker Michael Hüther und Bert Rürup. Eine Gegenkampagne wollen die Herren nicht starten. "Diese Aufrufe sind doch Quatsch", sagt Rürup. Bofinger hat eine Entgegnung formuliert, die die SZ dem Aufruf der 190 gegenüberstellt.

Am Freitagnachmittag meldete sich eine dritte gewichtige Professorengruppe zu Wort, zu der der Präsident des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, Dennis Snower, ebenso gehört, wie die Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro und die Professoren Michael Burda, Frank Heinemann, Martin Hellwig, Gerhard Illing und Moritz Schularick. Sie wollen dem Eindruck entgegenwirken, die deutschen Ökonomen seien "gegen die Integration des europäischen Finanzsystems und wollen deshalb in konstruktiver Weise erklären, worum es bei einer Bankenunion gehen sollte". Die Süddeutsche Zeitung dokumentiert alle drei Stellungnahmen, damit sich die Leser eine eigene Meinung bilden können.

Der von 190 Ökonomen unterzeichnete Aufruf im Originaltext

Die Widerrede von Peter Bofinger

Vorschlag für eine europäische Bankenunion von Frank Heinemann und Gerhard Illing

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